Nadelkünstler und Körperschrift

■ Ein Bericht über Berliner Tätowierer nebst einer kleinen Theorie der Nadelschrift

„Jeder sollte ihren/seinen Körper als ein preisloses Geschenk betrachten... als eine erstaunliche Arbeit der Kunst, von unbeschreiblicher Schönheit und Meisterschaft jenseits des menschlichen Maßstabs, und so empfindlich, daß ein Wort, ein Atemzug, ein Blick'nay, ein Gedanke ihn verletzen könnte.„

(Nikolas Tesla

„Short ist the pai

and long is the ornament.

(Tätowier-Gesang

Da ist ein Name, der immer wieder genannt wird: Schulzke. Hat sein Studio im tiefen Neukölln. Die Glästür ist verschlossen, es muß geklingelt werden. Ergibt sich die Zeit, auf Schilder im Fenster zu achten. „Hier wachen ein Mastino und ein Bull-Terrier. Viel Spaß.“ Es wird dann geöffnet, gebeten, Platz zu nehmen, und der Blick fällt als erstes auf... - Kennt ja wohl jeder, diese Porzellanleoparden, stehen immer in den Schaufenstern von Einrichtungshäusern rum. Zeugnisse kleinbürgerlicher Perversionen. Halluzinierst sie zwischen Topfpalmen und weitläufigen Wohnlandschaften. Verwesung liegt in der Luft eines Sommertages. Ältere Damen in luftigen blaugeblümten Kleidern beim Kaffeeklatsch. Eine tätschelt gedankenverloren den Schädel eines solchen Porzellanraubtieres, verstaubend im Sommerlicht... Herr Schulzke ist Tätowierer von Beruf.

Es gibt SchriftstellerInnen, die das Schreiben, das Gestalten von Symbolen, auf eine archaisch-fundamentale Art ausüben, die bedeutungsvolle Zeichen nicht über die Megamaschine gesellschaftlichen Diskurses, sondern direkt ins Fleisch kerben.

Für das Roro-Volk gelten alle Nichttätowierten

als nicht existent

Charles Darwin sagt es kurz und bündig: „Es ist, von den Polarregionen im Norden bis zu Neuseeland im Süden, kein einziges großes Land zu nennen, in dem sich die Eingeborenen nicht tätowieren.“ Für diese sogenannten Primitiven kommt dem Tätowieren auf verschiedenste Weise enorme Bedeutung zu. Sie betrachten zum Beispiel (ein)gezeichnete, (ein)gekerbte Gestalten als reale Entitäten, die nicht Dargestelltes repräsentieren, sondern mit ihm auf eine akausale, synchronizistische Art in Verbindung stehen. Wenn sie die Haut, Grenze zwischen physischem Selbst und dem Außen der Welt, tätowieren, dann besiegeln sie die Beziehung (Transferstellen) zwischen menschlicher Person und (metaphysisch bedeutsamer) Natur. Zweifellos regeln auch bei den Eingeborenen die Zeichen die Ordnung des Sozialen und die Rolle des Körpers - wie das der symbolische Kode in den alphabetisierten Kulturen tut. Das Roro-Volk Neu-Guineas erachtet alle Nichttätowierten als nicht existent, als „roh“, rohes Fleisch. Die Tätowierten dagegen heißen „gekocht“. Und nur durch das „Kochen“ erlangt der Mensch seine soziale Identität.

Die Regel ist, daß mit dem Einbrechen der Pubertät, der Fähigkeit zu libidinöser Ekstase also, die ersten Tätowierungen erfolgen und ein Name verliehen wird. Das geschieht während eines Zeit und Raum transzendierenden Rituals. Der Körper wird modifiziert, „beschrieben“, und nun erst ist der Initiierte Mensch und Mitglied der Gesellschaft.

Die Zeichen in der Haut tragen zur Identitätsbildung bei. Erlebnisse von persönlichem Interesse werden vertieft, die gewünschten Fähigkeiten von Totemtieren fixiert. Schließlich dienen Namen und Tätowierungen nicht nur als Bindeglied zwischen Körper und Welt, sondern auch zwischen Person und dem Metaphysischen - schützen vor bösen Geistern, die den „gekochten“ Menschen auslöschen wollen. Die Ainu-Frauen leben in der Gewißheit, daß ihnen die Schwester des Gottes Ainoina verriet, daß alle Göttinnen tätowiert seien. Wenn die Dämonen kommen und die Tätowierungen der Ainu-Frauen bemerken, so denken sie, Göttinnen gegenüber zu stehen, und fliehen. Lame Deer, „seeker of visions“, weiß zu berichten: „Die meisten von uns haben tattoos auf ihren Handgelenken - nicht solche wie eure Seeleute, Dolche, Schwerter und nackte Mädchen -, nur einen Namen, einige Buchstaben oder Zeichen. Viele Indianer glauben, daß die 'Geisterfrau‘, die den Weg zum Reich des Jenseits bewacht, dich nicht passieren läßt, wenn du keine solchen Zeichen auf dem Körper hast. Sie wird dich statt dessen von einer Klippe stoßen. Dann mußt du ewig als Geist über die Erde streifen. Nun, vielleicht ist es nicht so schlecht, ein Geist zu sein. Aber wie du siehst, sind meine Arme tätowiert.“

Der Körper erlangt durch die Einschreibung nicht nur eine soziale und kulturelle Existenz und Bedeutung. Manche der body modifications dienen auch eher praktischen Zwecken. Da betrachten viele Stämme die tattoos nicht nur als Zeichen sexueller Existenz, sondern auch als sexuell stimulierend. Andere bearbeiten den Leib explizit zur Forcierung von Sexualität. Paolo Mantegazza beschreibt in Sexual Relations of Mankind alte indische Prostituierte, die kleine goldene, silberne oder bronzefarbene Glöckchen verkaufen. Diese werden in die Haut des Mannes eingenäht und verursachen eine enorme Schwellung des gesamten Genitalbereichs. Mantegazza nennt auch den ampallang. Das ist ein Stäbchen aus Kupfer, Silber oder Gold, das quer durch den zuvor operativ entsprechend vorbereiteten Penis gesteckt wird. Beide Enden des ampallang krönen kleine Kugeln. Mantegazza läßt die Frauen der Dayak sagen: „Die Umarmung ohne dieses Ornament ist wie Reis, mit ihm aber schmeckt sie wie Reis, gewürzt mit Salz.“

Sinn und Kraft verbergen sich hinter einem Flechtwerk von Zusammenhängen. Dies begriffen auch die christlichen Missionare - diese ungeheure Avantgarde der humanistischen Moderne - sofort. In The Body Decorated schreibt Victoria Ebin: „Nahezu überall, wohin die Missionare gingen, versuchten sie den Menschen, auf die sie trafen, ihre eigene Vorstellung des physischen Leibs aufzuprägen. Um die traditionellen Glaubensvorstellungen der Eingeborenen zu zerstören, erschien es ihnen angebracht, die Praxis des Rituals, der body decoration zu verbieten.“ Geschichtsphilosophische Strategie des Körpers.

Ein Zitat Hermann Melvilles schließlich faßt das Gesagte zusammen: „Diese Tätowierungen waren das Werk eines weggegangenen Propheten und Sehers seiner (Queequegs) Insel, der durch/mit diesen hieroglyphenartige(n) Zeichen eine komplette Theorie des Himmels und der Erde und eine mystische Abhandlung über die Kunst, zur Wahrheit zu gelangen, auf seinem (Queequegs) Körper ausgeschrieben hatte, so daß Queequeg in der Gesamtheit seiner Person ein sich entfaltendes Rätsel darstellte/war; ein verwunderndes Werk in einer Ausgabe; dessen Mysterien aber selbst er (Queequeg) nicht lesen konnte, obschon es doch sein eigenes lebendiges Herz war, welches gegen sie schlug; und diese Mysterien waren also letztlich dazu bestimmt, mit dem lebenden Pergament, in das sie eingeschrieben waren, zu verwesen - und so für immer ungelöst zu bleiben.“

Ein raumzeitlicher Quantensprung nach vorn - in die moderne, westliche Zivilisation hinein. Neben den Seeleuten, die sie mit nach Amerika und Europa brachten, gelten vornehmlich Knastinsassen als Träger von Tätowierungen, und umgekehrt gelten Tätowierungen als Indizien für Knast. Bei beiden Gruppen lassen sich noch einige traditionelle Kontexte ausmachen: das Markieren eines einschneidenden Erlebnisses, die Zeichnung für eine Gruppenzugehörigkeit, die versuchte Bindung und Manifestierung von Wünschen, des Imaginären.

Auch die biker, die Motorrad-clans, haben die Tradition, sich mit bunten Zeichen zu markieren. Und verschiedene Geheimgesellschaften (okkulte wie kriminelle) und Zunftbrüderschaften (z.B. Dachdecker und Zimmermänner) pfleg(t)en die körperliche Einschreibung als Kennzeichen der Teilhabe an symbolischer Ordnung. Doch erscheint dem Chronisten fraglich, ob diese eher verdeckten Spuren, das von Berlins Tätowierern einstimmig bestätigte - ansteigende Interesse an Körpermodifikationen erklären. Insbesondere Mitglieder sogenannter Jugendkulturgruppen wie Punks, Skinheads, Rockabillies usw. lassen die Männer mit den sterilen High-Tech-Tätowiernadeln an ihre Haut heran. Ein Grund könnte die Körperobsession unserer Gesellschaft sein, die „Körperkultur“.

Über den bewußtlosen, ohnmächtigen Körper wird in Zeichen, dem symbolischen Kode, verhandelt. Die - sprachlichen Diskurse dienen der Stabilisierung sozialer Verhältnisse. Den Körper behandelt dementsprechend jedeR als ein Abbild der Gesellschaft. Jacques Lacan hat es einzigartig verstanden, die heutige Beziehung zwischen Sprache/Bewußtsein und dem Körper zu formulieren: „Der Körper ist wie ein Satz, der in separate Teile gebrochen werden kann, so daß sein wahrer Inhalt in einer endlosen Serie von Anagrammen wieder zusammengesetzt werden kann.“ Was also tun mit dem fraktalen Leib?

Dick Hebidge schreibt in seinem brillanten Essay über die Jugendkultur Hiding in the Light, daß „Jugend“ nur dann öffentlich präsent sei, wenn sie ein Problem darstelle, wenn sie sich manifestiere als

„über die Stränge schlagend, sich verweigernd durch Rituale, seltsame Kleidung, bizzare Attitüden, durch das Brechen von Regeln, Flaschen, Fenstern, Köpfen - durch rhetorisches Herausfordern des Gesetzes. Wenn ungehorsame innerstädtische Jugendliche, genauer, wenn ungehorsame innerstädtische arbeitslose Jugendliche auf symbolische und tatsächliche Gewalt zurückgreifen, spielen sie mit der einzigen Macht, die ihnen zur Verfügung steht: der Macht aufzuregen. Der Macht einer Pose - einer Pose der Bedrohung. Weit davon entfernt, den gesunden Menschenverstand zu verlieren, verhalten sie sich in Übereinstimmung mit einer Logik, die offensichtlich und manifest ist - daß eine Bedingung ihres Eintretens in den Bereich der Erwachsenen, des Feldes der öffentlichen Debatte, dieses Ortes, wo die wirklichen Dinge wirklich passieren, die ist, daß sie als erstes die symbolische Ordnung herausfordern müssen. (...) Die Jugendsubkultur (...) übersetzt die Tatsache sorgfältigen Beobachtetwerdens in die Lust des Gesehenwerdens. (...) Wenn Teenager wenig besitzen, so besitzen sie doch zuletzt ihren Körper. Wenn Macht sonst nirgends ausgeübt werden kann, so kann sie doch zuletzt hier ausgeübt werden. Der Körper kann dekoriert und verschönert werden wie ein geliebtes Objekt. Er kann zerschnitten, er kann „gekocht“ werden wie ein Stück Fleisch. Der Körper wird die Rückzugslinie, wo die öffentliche Verantwortung/Überwachung/Delegierung nicht mehr greift. (...) Sie unterbrechen den Fluß des Images, spielen Images zurück, Images des Jugend als Ikone.“

Nun sind ja Images (fraktaler Körper) nach Baudrillard unsere wahren Sexobjekte geworden, die Objekte unseres Begehrens. Es ließe sich also formulieren, daß sich der „Aufstand der Zeichen“ auf die fraktalen Leiber ausgedehnt hat. Daß die tattoos ein Spiel der Identifikation mit einem Objekt sexuellen Begehrens, einem Image, sind. Daß sie aber auch eine Form der von Foucault eingeforderten Strategie sind, eine neue Individualität zu entwickeln, die sich dem politischen double bind der simultanen Individualisierung und Totalisierung moderner Machtstrukturen versage. Tags und tattoos eignen sich nicht zu Diskursen und Aufklärungsromanen, sie sind unartikuliert wie das Fleisch selbst.

„Intimschmuck lassen sich nur Leute gestandenen Alters machen“

Bei Herrn Schulzke, dem Tätowierer, stehen also zwei Porzellankampfhunde! Und Herr Schulzke will nicht mit dem Chronisten plaudern. Wegen der Linkslastigkeit der taz. Politik aber interessiere ihn nicht. Ich wollte aber gar nicht wissen, ob er Landowsky, Diepgen oder Pätzold Intim -tattoos verpaßt hätte. Man solle lieber den Mittelweg suchen - er legt ausdrucksstark die Hände aneinander -, und die Menschen - ja ja, die Menschen! - würden sich besser verstehen. Gut gesagt! Mit Porzellankampfhunden in Neukölln ist der friedliebende Schulzke der reinen Kunst des Tätowierens verschrieben!

Hängo sitzt im Norden Berlins, Mierendorffstraße. Inmitten der 10.000 Motive, die seine Wände schmücken, stellt sich heraus, daß Hängo Fußballweltmeisterschaft schauen will und deshalb wenig Zeit hat. Ob er auch Intimschmuck anfertige? Ja, das Interesse sei mäßig ansteigend. Ob es bestimmte Gruppen gibt, die signifikant auftreten? Nein, das Interesse an tattoos, steigend, verteile sich auf alle Bevölkerungsschichten. Intimschmuck würden sich allerdings meist erst Leute gestandenen Alters anfertigen lassen. Um der Aufklärungspflicht nachzukommen: Wie es denn mit Aids -Infizierung sei?

Da steht denn Hängo vor mir, älterer Mann mit langen Haaren und Bart, der Bauchansatz hedonistischer Praxis füllt das bedruckte T-Shirt, ich denke, wie schön, daß Berlin Frührentnern den Raum gewährt, daß sie die Attitüde des Steppenwolf-Harley-Davidson-Leder-Nieten-born-to-be-wild

-outcasts pflegen können; erbaue mich an Phantasien von jugendlichen Weddingern und Tempelhofern, die sich verschwitzt und ein wenig aufgeregt in Hängos Laden tummeln, sich durch die Vorlagen vollbusiger Weiber und manieristischer Drachen wühlen... und dann kommt der Spruch. Im 20 Quadratmeter großen Raum, holzimitatgetäfelt, mit beeindruckenden Diplomen an den Wänden, versucht Hängo Seriosität. Ja ja, nein nein, was heißt hier Aids?! Sensationsgeile Presseberichte... dem wäre gar nicht so, nicht wahr, sterile Nadeln, Ultraschall, Gummihandschuhe. Und die Tätowierfarben sind reine Naturpro dukte!

In der Perleberger Straße, Nähe Sputnik-Wedding, befindet sich eine Dependance von Webers Tätowierstudio. Hier arbeitet sein ehemaliger Lehrling Tom, der nun selbst an der Nadel ausbildet. Ja, er könne bestätigen, daß immer mehr Leute an tattoos Interesse fänden. Die Technik sei auch besser geworden, es sei heute möglich, viel exakter zu arbeiten. Nein, ein typischer Kundenkreis sei nicht festzumachen, es kämen halt Punks, Skinheads - in letzter Zeit weniger, Rockabillies, alle eben. Ob er auch schon mal ganz spezifische Tätowierungen für eine Gruppe angefertigt habe? Ja - er zeigt ein Foto -, die drei hätten sich alle das gleiche Motiv mit Datum einschreiben lassen. Wir blättern die anderen Fotos durch, stoßen auf das einer Frau, die stolz lachend ihren vollkommen tätowierten Unterleib präsentiert. Schillernde Farbenpracht. Intimschmuck und Intim-tattoos? Damit will er beginnen, die Nachfrage sei groß. Irgendein besonders beliebtes Motiv? Nun, die Vorlagen ähnelten sich ohnehin sehr; wonach die Leute verlangten, das sei Tod, Totenköpfe und solche Sachen. Und „magische“ Tätowierungen? Einige Male, umgedrehte Pentagramme und so. Teufelszeug. Im übrigen lösten die tattoos, die Einschreibungen, eine Sucht nach mehr aus. Was übrigens auch die anderen Meister der Nadel bestätigen.

Weber schließlich betreibt sein Tätowierstudio im Kreuzberger Kiez, Ohlauer Straße. Ausgehängte Flugblätter rufen zum Widerstand gegen die Reglementierung des Motorradfahrens auf. Andere fordern deutlich: Heroindealer raus! In dem winzigen, rustikal gestylten Laden kommt der Chronist zunächst mit Bobo, einem weiteren Angestellten Webers, ins Gespräch. Ja, er habe schon „magische“ Motive tätowiert. Weber dagegen wird später sagen, Unsinn, wie das? Magische Motive? Aberglauben! Ein junger Mann betritt das Studio, wird darauf verwiesen, er möge sein ungeformtes Begehren in den tattoo-Zeitschriften identifizieren. Eine junge Frau möchte eine Frau mit Schmetterlingsflügeln auf ihrem Körper sehen. Wie alle anderen gibt auch Weber als Beweggrund seiner Kunden die Lust am Körperschmuck an.

So weit die informelle Erarbeitung authentischer Handwerkskunst. Nun gibt es aber auch subkutane Strukturen. Der Autor weiß von Tätowierern, die kein Studio besitzen, die keine Eintragung in den „Gelben Seiten“ vorweisen können - und die Angst haben, entdeckt zu werden. Ich erzählte allen Nadelkünstlern folgende kleine Geschichte. Ein Freund von mir, in einer süddeutschen Kleinstadt wohnend, ließ sich einmal tätowieren. Der Nadelmann wies ihn eindringlich darauf hin, er dürfe niemandem verraten, wer denn dies feine tattoo gearbeitet hätte. In dieser Stadt gab es einen Tätowierer, der das Monopol auf Körpermodifikation besaß. Sein Monopol stützte sich auf eine biker-Truppe in seinem Rücken, die jeden Konkurrenten vom Markt blies. Ob so etwas auch in Berlin vorstellbar sei?

Verschlossene Türen, die sich nur auf Klingeln hin öffnen oder auch nicht. Hängo sagt vage, man müsse Konkurrenten mit anderen Mitteln ausschalten, mit Werbung beispielsweise. Von Tom erfahre ich, ja schon, das hätte es früher wohl mal gegeben. Doch sollten irgendwelche Gangs ruhig kommen, Weber würde seinem Kunden Schutz garantieren. Der selbst meint, gelegentlich wäre schon mal „gepreßt“ worden.

Der Körper kann dekoriert, verschönert, zerschnitten werden

Und unter den Tätowierten kursieren Geschichten von zerbrochenen Fingern, von Leuten, die aus der Stadt getrieben wurden. Da heißt es, Tätowierer hätten eben das Monopol und könnten sich deshalb alles leisten. Und immer wieder Schulzke. Er habe einem Mädchen quer über den Hals ein Out here tätowiert, als sie ihm unter die Nadel gekommen war. Ein Freund Bobos wollte gerade anheben, dem Autor mehr von Schulzkes Methoden zu berichten, als er leider unterbrochen wurde. Was sich sagen läßt: Dieser Name hat einen merkwürdigen Einfluß auf jedes Gespräch. Da wird gemunkelt, angedeutet, doch „man will ja nichts gegen die Konkurrenz sagen“.

Was aber ist mit der Konkurrenz außerhalb der abgesteckten Claims? Mit denen, deren psychische Unversehrtheit nicht durch irgendeine Schutzstaffel gesichert wird? Die etablierten Tätowierer Berlins fürchten sich verständlicherweise - vor Dilettanten, die das Fleisch verstümmeln und den Ruf der Branche ruinieren. Es gibt z.B. einen, dessen Tätowierungen heißbegehrt sind. Die Leute stehen bei ihm Schlange, da seine tattoos, sagen sie, „leben“ und er als einziger um die magischen Traditionen und Qualitäten der körperlichen Einschreibung weiß. Seine Arbeiten beweisen Talent; und hoffentlich ist genau dies der Grund, weshalb er weltweit immer nur befristet wirken darf. In Berlin jeweils drei Wochen pro Jahr.

Nun konnte mir leider kein einziger eine schöne Anekdote liefern. Das gilt es hiermit nachzuholen. Die Kugel, die den Ersten Weltkrieg auslöste... - durchdrang, nach dem offiziellen Autopsiebericht, den Kopf einer Schlange, die den Leib von Franz Ferdinand schmückte. Zapata, der mexikanische Rebell, sagte einmal: „Mich mit dem piercing (Intimschmuck) zu zeichnen, das piercing, das war und ist Bestandteil meiner Politik - der Politik der Devianz. Meine piercings sind meine 'Waffen‘ im Kampf gegen die autoritären/konformistischen Tendenzen Amerikas, die versuchen, die Bevölkerung von individueller Initiative und Pluralismus abzubringen.“

Und Jack Armstrong berichtet folgendes kleine Erlebnis: Er tätowiert auch den Penis, manchen seiner Kunden kommt es dabei (dieser Aspekt der Lust an Einschreibung, bedeutungsvoller Modifikation der Haut kommt hier etwas zu kurz). Armstrong hat auch seinen eigenen Penis tätowiert. Er sagt: „Frauen scheinen diese tattoos wirklich zu verstehen. Wenn sie stöhnen: 'Wow, Mann, du hast dieses tattoo wirklich tief in mir drin!'“ Und das Wort ward Fleisch. Schließlich gibt es noch Deborah Valentine und ihr kleines Problem: „Ich hatte immer Schwierigkeiten mit einem vaginalen Orgasmus, bis ich einen Schwanz mit ampallang fickte. Aber sieh dir an, was passierte, als ich ihn zu blasen versuchte: Ich mußte zwei neue Goldkronen bekommen der ampallang hatte meine Backenzähne zerbröselt.“

R.Stoert