Schweden: Ausweisung jüdischer Flüchtlinge?

■ Regierungsbeschluß: Es gibt keine ausreichenden Asylgründe / Flüchtlingsbehörde: „Richtige Juden suchen in Israel Schutz“

Aus Stockholm R.Wolff

150 jüdischen Flüchtlingen aus der Sowjetunion droht die Ausweisung und Abschiebung zurück in dieses Land. Dies, nachdem die schwedische Regierung Ende letzter Woche in einem Musterverfahren einen ersten Ausweisungsbeschluß erlassen hat. Begründung: Juden in der Sowjetunion erlitten keinerlei Verfolgung durch Staatsorgane. Sofern sie im gesellschaftlichen Leben Nachteile erlitten, erfülle dies mangels staatlicher Veranlassung - keinen Asyltatbestand.

Irina Jevrejnova, die jüdische Asylsuchende, gegen die der erste Ausweisungsbeschluß erlassen wurde, ist zwischenzeitlich untergetaucht, um sich einer möglichen Verhaftung und Abschiebung zu entziehen. Ihrem Anwalt, Bo Thoren, ist bislang keine Ausweisung in die Sowjetunion bekannt geworden, er rechnet aber offensichtlich mit einem raschen Zugriff durch die Behörden: „Dabei ist die gesamte Argumentationskette des Einwandereramtes unschlüssig und rechtlich zweifelhaft.“ Für angreifbar hält er nicht nur die Beurteilung der Lebenssitutaion von JüdInnen in der Sowjetunion, sondern das „Israelargument“ der Behörde.

Mit der Möglichkeit, nach Israel emigrieren und dort in Sicherheit leben zu können, hatte nämlich die Flüchtlingsbehörde die negative Asylentscheidung zusätzlich begründet. Marianne Brunfelt, Abteilungschefin beim Einwandereramt: „Richtige Juden reisen doch nach Israel aus. Dorthin können sie faktisch ganz offiziell von der Sowjetunion auswandern. Außerdem nehmen die sowjetischen Behörden mittlerweile sowohl in den Schulen, als auch bei Arbeitsplätzen besondere Rücksicht auf jüdische Staatsbürger. Verfolgung? Das sind doch nur kleine Grüppchen, wie bei uns die fremdenfeindlichen Organisationen.“ „Völlig falsch“, für Anwalt Thoren, „denn Antisemitismus wird zumindest in den Großstädten in geradezu organisierter Form betrieben und hat praktisch auch Rückendeckung von 'oben‘, jedenfalls seitens der örtlichen Behörden. Polizei und Miliz sind weder willig noch in der Lage, gegen die antisemitischen Ausschreitungen und Drangsalierungen vorzugehen.“ Die judenfeindliche „Pamjat“ werde völlig verharmlost, vergleiche man sie mit den fremdenfeindlichen Aktivitäten in Schweden. Boris, ein jüdischer Flüchtling, der auch in der vergangenen Woche eine abschlägige Entscheidung auf seinen Asylantrag erhalten hat und nun mit einem Ausweisungsbeschluß rechnen muß, bestätigt dies: „Kommt es zu Auseinandersetzungen mit Pamjat, werden nie deren Angehörige bestraft. Der Schluß kann ja nur sein, daß Pamjat so etwas wie eine halboffizielle Organisation ist, die unter dem Schutz der Behörden steht.“

Auch daß viele JüdInnen gerade nicht nach Israel auswandern wollen, weil sie die dortige militarisierte Gesellschaftsordnung ablehnen, ist für Thoren eine Frage, die eigentlich keiner Diskussion bedürfen sollte: „Wohnen etwa alle Deutschen in Deutschland?“ Doch die Regierung in Stockholm kann gerade bei diesem Punkt auf ein bemerkenswertes Statement der israelischen Botschaft verweisen: „Für uns gibt es generell keine jüdischen Flüchtlinge“, so Presseattache Yigal Gaspi, „weil alle Juden in Israel willkommen sind. Es ist für alle am besten, sich hier anzusiedeln.“ Die jüdischen Asylsuchenden scheinen auch sonst der israelischen Botschaft recht ungeliebt zu sen. Caspi: „Wir glauben nicht, daß irgendein Jude in der Sowjetunion asylrelevant gefährdet ist - trotz aller antisemitischen Propaganda.“

Noch bis Ende letzten Jahres war es für sowjetjüdische Flüchtlinge in Schweden unproblematisch, Asyl zu erhalten. Eine Verschärfung des Asylgesetzes und eine offensichtliche Neueinschätzung des Antisemitismusproblems in der UdSSR durch die schwedische Regierung haben dies geändert. Eine Neueinschätzung, die stark umstritten ist. Bengt Westerberg, Vorsitzender der oppositionellen Volkspartei, spricht von einem Skandal, sollten wirklich Ausweisungen durchgeführt werden: „Kirchen werden vandalisiert, Flugblätter mit schlimmsten antisemitischem Inhalt offen verteilt, Davidsterne an Häuser geschmiert, und Gorbatschow hat zwei berüchtigte Antisemiten in den Präsidialrat aufgenommen.“ Er wolle zwar keine Parallelen zwischen der heutigen Sowjetunion und Nazideutschland ziehen, aber „auch damals haben gerade bei uns viele den Informationen über die Judenverfolgungen in Deutschland nicht geglaubt.“

Helsinki (dpa) - Zu einem heftigen Konflikt zwischen der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) und der finnischen Regierung hat am Mittwoch die Entscheidung Helsinkis geführt, die Ausreise sowjetischer Juden über Finnland nach Israel zuzulassen. Der PLO-Sprecher in Finnland, Zuheir-al-Wazir, bezeichnete die Genehmigung des Transits durch Finnland als „Unterstützung einer militärischen Aktion“ und bezog sich dabei auf die Ansiedlung jüdischer Emigranten aus der UdSSR in den von Israel besetzten Gebieten.