De Maiziere fordert Signal der Nato

■ Außenpolitische Regierungserklärung des DDR-Ministerpräsidenten / Die Nato soll in ein politisches Bündnis umgewandelt werden / Blocküberwindung statt Blockverschiebung / Parteifreunde pikiert

Berlin (taz) - DDR-Regierungschef Lothar de Maiziere hat in seiner gestrigen Regierungserklärung vor der Volkskammer die Nato aufgefordert, sich von einem militärischen zu einem politischen Bündnis zu wandeln. Mit Verweis auf die Veränderungen innerhalb des Warschauer Paktes, dessen militärische Funktion faktisch beendet ist, meinte de Maiziere an die Nato gewandt, der historische Augenblick erfordere „ein politisches Signal“. Die Nato müsse sich als Bündnis demokratischer und freiheitlicher Staaten im umfassenden Sinne verstehen und sich „in Struktur und Strategie grundlegend reformieren“. Das bedeute unter anderem, daß sich das westliche Bündnis von der Strategie der flexible response, dem Ersteinsatz von Atomwaffen sowie der Doktrin der Vorneverteidigung verabschieden müsse. Damit erneuerte der Ministerpräsident die Regierungsposition wie sie auch im Koalitionsvertrag festgelegt wurde. Ob es sich dabei um verbindliche, nicht verhandelbare Bedingungen für die Bündniszugehörigkeit eines deutschen Gesamtsstaates handelt, ließ de Maiziere allerdings offen.

Zwar dürften die Bündnisverpflichtungen der DDR gegenüber dem Warschauer Pakt nicht zu einem Hindernis auf dem Weg zur deutschen Einheit werden; umgekehrt gelte aber auch, daß der Einheitsprozeß nicht auf eine Beeinträchtigung der Sicherheitsinteressen hinauslaufen dürfe. Die Veränderungen in Europa müßten auf eine „Blocküberwindung, nicht Blockverschiebung“ hinauslaufen. Die östliche Allianz müsse behutsam und mit Hilfe der DDR verändert werden.

De Maiziere bezeichnete die KSZE als ideale Form, die Einigung Deutschlands mit der Neugestaltung Europas zu verbinden. Deshalb müsse die KSZE in den Rang einer völkerrechtsverbindlichen Institution erhoben werden.

Seinen Parteifreunden ging de Maizieres Nato-kritischer Unterton sichtlich zu weit. Beifall erntete er hauptsächlich von SPD, PDS und Bündnis, während sich bei den Abgeordneten von CDU und DSU kaum eine Hand rührte. Die Stimmung die dort vorherrscht, brachte ein CDU-Abgeordneter auf den Punkt: Im Vergleich zur bisherigen Warschauer-Pakt-Zugehörigkeit fühle er sich „als Demokrat in der Nato sehr viel wohler“.

Anders als de Maiziere, der einen völligen Verzicht auf Lagerung, Stationierung, Herstellung oder Transit von ABC -Waffen forderte, hielt DSU-Fraktionschef Walter Atomwaffen „noch nicht für verzichtbar“.

Der Bündnis-90-Abgeordnete Gerd Poppe nahm de Maizieres Reformforderung an die Nato auf, formulierte jedoch im Gegensatz zum Regierungschef unmißverständlich: „Solange die Nato offensiven Charakter hat, kommt ein Eintritt für uns nicht in Frage.“ Doch die originellste Begründung für sicherheitspolitische Rücksichtnahme auf die Sowjetunion lieferte nicht Poppe sondern ein Liberaler: „Die deutsche Seele ist der sowjetischen sehr nahe.“

Verteidigungsminister Eppelmann hingegen hatte da anderes zu berichten: In den letzten Wochen sei es verstärkt zu Ausschreitungen der Bevölkerung gegen sowjetische Soldaten gekommen. „Das Problem wird immer akuter und droht eine politische Tragweite gesamteuropäischer Dimension anzunehmen“ meinte der Minister in der aktuellen Fragestunde des Parlamentes. Als Beispiel für zunehmende Gewalttätigkeit gegen sowjetische Soldaten nannte Eppelmann eine Demonstration von 1.500 DDR-BürgerInnen vor einem sowjetischen Flugplatz. Dabei seien Flaschen und Steine auf die Soldaten geworfen worden. Eine Eskalation sei nur verhindert worden, weil sowjetische Offiziere ihren Untergebenen die Waffen abgenommen hätten.

Es gebe derzeit verstärkte Kontakte zwischen den sowjetischen Verantwortlichen und dem Verteidigungsministerium, um Schlimmeres zu verhüten. Zwar sei eine Reduzierung der sowjetischen Truppen geplant. Doch der Rückzug der sowjetischen Soldaten in ihre Heimat werde mindestens vier Jahre in Anspruch nehmen.

Zur Zukunft der NVA erklärte Eppelmann, er könne sich eine Reduzierung auf 60-70.000 Mann vorstellen. Zur Zeit stünden 97.000 Mann unter Waffen.

eis