Häufiger Krebs durch Seveso-Dioxin

■ Bei der Firma Boehringer wurde jahrzehntelang das hochgiftige Dioxin freigesetzt / Ehemalige Beschäftigte erkranken häufiger an Krebs / Hamburger Gesundheitsbehörde veröffentlicht Studie

Von Gabi Haas

Hamburg (taz) - ArbeiterInnen des 1984 in Hamburg stillgelegten Boehringer-Werks, die mit besonders dioxinhaltigen Stoffen hantiert hatten oder dort besonders lange beschäftigt waren, sterben öfter an Krebs als die Durchschnittsbevölkerung.

Das ist das brisante Ergebnis einer Studie des Hamburger Arbeitsmediziners Prof. Alfred Manz, die gestern von der Hamburger Gesundheitsbehörde veröffentlicht wurde. Letzte Zweifel über die krebserzeugende Wirkung des Seveso-Dioxins TCDD beim Menschen dürften damit in der internationalen Fachwelt endgültig ausgeräumt sein.

Über dreißig Jahre lang wurden im Hamburger Boehringer-Werk Pflanzenschutzmittel hergestellt, wobei das Supergift Dioxin in großen Mengen freigesetzt wurde. Besonderen Belastungen waren diejenige Arbeiter ausgesetzt, die schon vor 1956 im Betrieb arbeiteten, bis nämlich das im Stammwerk Ingelheim produzierte und zur weiteren Verarbeitung nach Hamburg gelieferte Trichlorphenol gestoppt wurde. Trichlorphenol enthielt extrem hohe Konzentrationen des TCDD. Grund für diese Entscheidung war damals das gehäufte Auftreten einer berüchtigten Hautkrankheit: Die Chlorakne gilt heute als untrügliches Zeichen für eine schwere Dioxinvergiftung.

Die statistische Auswertung der bisherigen Sterbefälle unter den insgesamt 1.520 ehemaligen Boehringer -ArbeiterInnen ergab ein doppelt hohes Krebsrisiko für jene schon vor 1956 Beschäftigten. Eine auffallend höhere Krebssterblichkeit wurde auch bei den Frauen und Männern festgestellt, die mehr als 20 Jahre in der Firma arbeiteten oder in besonders stark belasteten Betriebsteilen beschäftigt waren. Grundsätzlich konnte keine organspezifische Wirkung festgestellt werden - mit einer Ausnahme: Frauen starben überdurchschnittlich häufig an Brustdrüsenkrebs.

Die vor allem für die Anerkennung von Berufskrankheiten durch die Berufsgenossenschaft wichtige Untersuchung soll noch weitergeführt werden. So soll geklärt werden, ob andere bei Boehringer aufgetretene Stoffe wie Benzol oder Trichlorethylen bei der Entstehung der bösartigen Tumore mitgewirkt haben. Untersucht werden soll auch, ob andere, bei den ProbandInnen verstärkt aufgetretene Erkrankungen wie Nerven- und Hirnschäden, Bronchitiden und Leberschäden mit den Boehringer-Giften zusammenhängen.

Ein Ergebnis der Sterblichkeitsstudie hat sich möglicherweise noch mindernd auf die Krebsrate ausgewirkt: Ein ungewöhnlich hoher Prozentsatz der bei Boehringer beschäftigten Männer, nämlich 19 Prozent der Verstorbenen, schied durch Selbstmord aus dem Leben. Niemand weiß, ob sie nicht später auch an Krebs erkrankt wären.