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Inszenierte Rekorde

■ Eine kleine Baugeschichte des KaDeWe

Das hatte man noch nicht

gesehen, damals, im Jahre 1907, als das Kaufhaus des Westens am Tauentzien zum erstenmal seine beheizbaren Tore öffnete. Alles war

nochniedagewesen, gigantisch und wie bei den Amerikanern, nur eben großartiger - eine Konsumkathedrale, die bis heute ihren ersten Platz gehalten hat.

Phantasien in Berliner Superlativen: 1921 schoß Caracciola mit 400 Stundenkilometern über die Berliner Avus. Den Geschwindigkeitsrekord im Schreibmaschineschreiben hält zur Zeit mit 700 Anschlägen in der Minute die Berlinerin Gabriele Monath. Mit 1.002.186 Anschlüssen hatte Berlin 1987 das dichteste Telefonnetz in Deutschland. Etwa 12 Millionen Buchausleihen werden in Berliner Bibliotheken jährlich registriert, und - wie könnte es anders sein - in Berlin steht das größte Kaufhaus Europas, das KaDeWe. Auch dazu Zahlen. Es hat eine Fläche von rund 44.000 Quadratmetern. Das sind mehr als drei Fußballstadien. Die Gesamtnutzfläche beträgt etwa 70.000 Quadratmeter. 44 Rolltreppen und 21 Lifts verbinden die Etagen. 1986 betrug der Stromverbrauch 15 Millionen Kilowattstunden. Rund 2.300 Mitarbeiter erwirtschaften jährlich einen Jahresumsatz von über 400 Millionen DM. Täglich gehen zwischen 60- und 80.000 Käufer und Nichtkäufer ein und aus. Das KaDeWe hat zwei Parkhäuser mit 1.031 Stellplätzen. 250.000 verschiedene Artikel werden angeboten, davon sind 10 Prozent eßbar und von denen wiederum 1.800 aus Käse. Das alles ist einmalig, wunderbar und nur in Berlin zu haben!

Schon die Bauzeit war rekordverdächtig. 1906/7 wurde das von Johann Emil Schaudt geplante Warenhaus in 260 Tagen hochgezogen. Der Bauherr, die „Gesellschaft Kaufhaus des Westens“, hinter der die Firmen Jandorf, Emden&Söhne und die Deutsche Bank mit einem Stammkapital von 2 Millionen Mark standen, katapultierte mit dem großen Kaufhaus das bürgerliche Wohnviertel am Tauentzien zur Hauptgeschäftswelt im Neuen Westen. Die U-Bahnlinie A wurde vom Potsdamer Platz bis zum Knie (Ernst-Reuter-Platz) verlängert. Pferdedroschken und Straßenbahnen rumpelten über den einst ruhigen Wittenbergplatz. Die Stadt dehnte sich. Die Grundstückspreise explodierten. Es wurde spekuliert und abgerissen. „Das bis dahin geltende Gesetz der Entwicklung schien auf den Kopf gestellt“, wunderte sich Max Osborn, „der Verkehr kroch nicht, wie bisher angenommen, gemächlich in der für natürlich gehaltenen Bahn weiter - er machte vielmehr von der Potsdamer Straße aus, wie in unberechenbarer Laune, einen mächtigen Satz zum Wittenbergplatz.“

Schaudt ließ den monumentalen 88 Meter langen und 85 Meter tiefen vierstöckigen Bau - mit einem Zwischengeschoß über der Schaufensterzeile - in Eisenbeton und Ziegelmauerwerk errichten. Die Fassade blieb, ganz im Gegensatz etwa zu Messels Wertheim-Bau in der Leipziger Straße, der durch eine Glasfront und vertikale Pfeilerstruktur die Verbindung zwischen dem wilhelminischen Stil und moderner Ingenieurkunst suchte, eher schlicht und paßte sich der Architektur der benachbarten Wohnhäuser an. Das neue Kaufhaus - ein Warenhauscontainer mit Flächen zur größtmöglichen Nutzung - betonte geradezu seine Geschosse, zeigte eine „ausgesprochene Etagenarchitektur“ (Leo Colze), weil es aus mehreren übereinandergeschichteten Verkaufsgeschossen aufgebaut war. „Mit diesem Bau beginnt“, so Julius Posener, „sich der Typ des Warenhauses durchzusetzen, welcher noch heute vorherrscht und in welchem ein Basargeschoß über das nächste gelegt wird, ohne daß es besondere Räume gibt, wie bei Wertheim die Lichthöfe, der Teppichsaal, der Libertysaal etc.“

Es entstand an der Tauentzien-, der Passauer und Ansbacher Straße eine ebenmäßige geschlossene Front in Muschelkalk, die auf übermäßiges Ornament fast völlig verzichtete und lediglich durch die Risalite und Treppenhäuser, die Säulen am Zwischengeschoß und die stark profilierten Gesimse ihre besondere, abgesetzte Stellung unterstrich. Die Mitte der Fassade nahm der sechs Meter breite rundgebogene Haupteingang ein, dessen Wände mit figürlichem Schmuck verziert waren und der den Charakter einer imposanten Vorhalle hatte. Darüber war die Hauptuhr des Hauses angebracht, eine in Bronze getriebene Riesenplatte mit einem im Durchmesser drei Meter großen Zifferblatt, auf dem sich schwerterähnliche Zeiger drehten, die von zwei Toren flankiert waren. Zu bestimmten Zeiten öffneten sich die Flügeltüren, um ein bronzevergoldetes Schiff, eine vollbeladene Kogge, das Wahrzeichen der „Gesellschaft Kaufhaus des Westens“, mit geblähten Segeln in stolzer Kurve vor dem Zifferblatt zu zeigen. Das hatte man noch nicht gesehen. Ebenfalls neu und nach amerikanischem Vorbild war die Einrichtung einer mechanischen Zentralkasse, die auf einer Gesamtlänge von 18 Kilometern sämtliche Kassen mit Rohren untereinander verband. Nach Art der Rohrpost waren so 154 Kassen mit der Zentralkasse gekoppelt. Das Personal mußte Rechnung und Geld in einer Kapsel an die Zentralkasse abschießen, die dann beides, nach der Buchung, an die Einzelkasse zurückgab. Auch die Kontrolle war superlativisch.

Tauentzien und Wittenbergplatz waren seit Anfang der 20er Jahre zum maßgeblichen Zentrum der Berliner Geschäftswelt im Westen herangewachsen. 1926 wurde das KaDeWe von Hermann Tietz gekauft. Der geschäftliche Erfolg des Kaufhauses hatte eine Erweiterung zur Folge, die 1929-31 wiederum von Johann Emil Schaudt vorgenommen wurde. Schaudt setzt zwei volle Verkaufsetagen auf das Haus, die in der Flucht um zwei Meter gegen den alten Bau zurücksprangen. Darüber kamen zwei Dachgeschosse. Außerdem wurde durch den Abriß von Seitenflügeln und Quergebäuden der Nachbarhäuser in der Ansbacher und Passauer Straße neuer Raum geschaffen für 500 Quadratmeter Fläche pro Geschoß. Durch den Umbau steigerte das KaDeWe seine Nutzfläche von 26.000 auf rund 35.000 Quadratmeter. Daß während der zweijährigen Bauzeit zudem der Kaufhausbetrieb nicht beeinträchtigt wurde, die „schwierige Erweiterung unter gänzlicher Aufrechterhaltung des wimmelden Riesenbetriebs vor sich ging“, war ebenso sensationell wie die magisch wirkende Lichtinszenierung des Hauses bei Nacht. Alle 28 großen Schaufenster und 41 Schaukästen waren mit verspiegelten Leuchten ausgestattet, so daß nur die Dekoration und nicht mehr der Betrachter angeleuchtet wurde. Zudem wurde die Front durch Flutlicht in ein weißes Licht getaucht, das „den Block in ein Traumbild verwandelte“ (Osborn).

Während des Krieges wurde das KaDeWe durch Luftangriffe schwer beschädigt und brannte aus. Eine Sensation war damals der in die Trümmer gestürzte Bomber - ironische Metapher für das Warenangebot jener Zeit -, der weithin sichtbar aus den Ruinen ragte. Der nach der Flucht der Tietz-Erben vor den Nazis ab 1933 zum Geschäftsführer und ab 1938 zum alleinigen Besitzer aufgerückte Georg Karg ließ das KaDeWe 1950, in Anlehnung an die alten Pläne, doch erheblich vereinfacht, rekonstruieren. Die Erdgeschoßfenster waren nicht mehr mit Korbbögen versehen, der Mittelrisalit gar entstellt, weil die beiden Treppenhäuser auf das Niveau der Wand zurücktraten. Auch am Zwischengeschoß waren die Säulen nicht mehr zu finden, statt dessen trennten jetzt zackige Pfeiler die Fenster.

Überhaupt erinnerte der Warenhauskoloß nach seinem Wiederaufbau in Teilen an die gerade in Schutt geschossene Naziarchitektur. Nur Details, wie in der Passauer Straße, bewahren sein früheres Aussehen. Das alles machte den Berlinern natürlich nichts aus. Am Tag der Wiedereröffnung, am 3. Juli 1950, es waren gerade das Erdgeschoß und das Zwischengeschoß fertiggestellt, strömten - auch das ist neuer Rekord - 180.000 Berlinerinnen und Berliner ins KaDeWe. „Wie Raubtiere fielen die Hausfrauen über die Ladentische im Lichthof her“, berichtete der 'Stadt -Telegraf‘.

1977 wurde die Verkaufsfläche erweitert. Jedes Fleckchen wird seither ausgenutzt. Boutiquen zwängen sich nebeneinander; die Räume sind verstellt, nur für den Warenfetisch dekoriert. Die Kassen der VerkäuferInnen sind zu Zahlbastionen geworden, an denen acht Stunden täglich Kundschaft, indirektes Licht, vollklimatisierte Luft und poppige Musikbeschallung ertragen werden müssen. Man leistet sich nun international herumgereichte Designer, die die Schaufenster dekorieren dürfen. „Die Besucher kommen aus allen Teilen der Welt“, heißt es in der Eigenwerbung. Sie rasen zumeist mit dem Expreßlift in die 6. Etage und gucken, riechen, schnüffeln, kaufen, kauen, schmatzen, schlecken, trinken, saufen, rülpsen in der, na was wohl, „größten Lebensmittelabteilung Europas“.

Eingeklemmt zwischen Büroanbauten, Parkhäuser und Tiefgaragen, macht das KaDeWe heute baulich einen recht einfältigen Eindruck. Die Fassade ist durch die Modernisierung verschandelt, die Front im Hinterhof ist hinter Wellblech verschwunden. Viel Wert hat man dagegen auf eine postmoderne Tiefgaragenüberdachung gelegt, damit die Autofahrer trockenen Fußes bis ans Regal treten können. Ganz verschwunden ist das Dach, das hinter vorgeblendeten Ready -mades jetzt eher einem Atomreaktor gleicht als einem Ozeandampfer, als den Max Osborn das KaDeWe einst sah. Eine stampfende Maschine hatte er vor Augen, in der oben - an Deck - die Reichen und Neureichen sich im Warenangebot sonnten, während unten - im Maschinenraum - dafür geschuftet werden mußte.

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In elf Schaufenstern des KaDeWe sind zur Zeit 40 Jahre Berliner Stadtgeschichte dekoriert. Im „Lichthof“ und in der 4. Etage gibt es Ausstellungen zur Chronik des Hauses sowie des Bezirks Schöneberg und Exponate aus den Fünfzigern.

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