Ende der Staatskultur

■ Der DDR-Schriftstellerverband vor dem Zusammenbruch?

Der DDR-Schriftstellerverband steht vor dem Zusammenbruch. Das jedenfalls prophezeit sein Vorsitzender, der Lyriker Rainer Kirsch, für den Fall, daß die Ankündigung des Haushaltsausschusses der Volkskammer wahrgemacht wird: Künftig sollen staatliche Subventionen für die Künstlerverbände entfallen. Ohne diese Finanzmittel aber, so Kirsch, sei der Verband ab Ende August nicht mehr arbeitsfähig. Werden die Schriftsteller jetzt also Putz machen, wie Müllwerker, Metaller und Magistratsangestellte in den Streik treten? Werden sie für ihre sozialen Rechte kämpfen, den Erhalt ihrer Arbeitsplätze oder zumindest attraktive Umschulungsprogramme fordern? Werden sie sich an die kämpferische Frage von Christa Wolf auf dem Schriftstellerkongreß im März erinnern: „Warum sollten also wir gleich kollektiv den Kopf verlieren, uns selbst aufgeben, unsere Geschichte, unseren Mut und unser Selbstbewußtsein, auch unsere vielgeprüften Erfahrungen im Ausnutzen von Widersprüchen bei den Regierenden - bloß weil die Mächte wechseln, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen?“

Wenn die Konfliktbereitschaft des DDR -Schriftstellerverbandes am Verlauf seiner Märztagung zu messen wäre, bliebe es allerdings bei einer Presseerklärung. Damals jedenfalls war die überfällige Debatte über die großenteils schändliche Rolle des SED-geführten Verbandes seit seiner Gründung am 22.5.1952 ausgeblieben. Statt über eine Institution von Intellektuellen zu diskutieren, die Literaten wie Reiner Kunze, Sarah Kirsch, Günter Kunert, Klaus Schlesinger, Klaus Poche und selbst Stefan Heym ausgeschlossen hat - Jurek Becker kam dem Ausschluß durch Austritt zuvor -, stand schon im März die Angst vor der neuen Macht im Mittelpunkt. Die umstandslose Gleichsetzung der alten Einparteienherrschaft mit den Bedingungen einer parlamentarischen Demokratie suggeriert, daß die Distanz zwischen Gesellschaft und staatlicher Macht in beiden Systemen gleich ist. Diese Verdrängung der eigenen Geschichte von Repression und Zensur veranlaßte selbst das DDR-Wochenblatt 'Sonntag‘ zu dem Urteil, „der Schriftstellerverband dürfte mit diesem Kongreß seine Chance zu neuer Unschuld endgültig verloren haben“.

Die verpaßte Chance einer Selbstauflösung des „unheimlichen Verbandes“ (Jurek Becker) rächt sich nun. Soziale Interessen mischen sich auf fatale Weise mit politischen. Die Rhetorik von „Kulturabbau“ und „Zusammenbruch“ verdeckt, daß der DDR -Schriftstellerverband, jahrzehntelang Tränke parteifrommer Kälber, längst zusammengebrochen, will sagen: nicht mehr zu retten ist. Erst mit einem radikalen Neuanfang können die Interessen von Schriftstellern glaubwürdig und wirkungsvoll artikuliert werden.

Reinhard Mohr