„Die Nachrichten erreichen den Westen oft nur in entstellter Form“

■ Lazara Popescu, Vorsitzende der Bergarbeitergewerkschaften Olteniens, über die Gewerkschaftsbewegung in Rumänien, die Rolle der organisierten Arbeiter bei der Niederschlagung der Proteste gegen die Regierung Iliescu am 14.Juni und über die Zukunft der rumänischen Bergbauindustrie

INTERVIEW

Laura Popescu, in Kuba geboren, lebt seit 28 Jahren in Rumänien. Zum Studium war sie ans Bergbau-Institut in Petrosani geschickt worden, wo sie ihren späteren Ehemann kennenlernte. Sie absolvierte ein Studium an der Fakultät für Elektro-Ingenieurswesen und war danach in Erschließung, Projektierung und in der Ausbildung tätig. Vor der Revolution bekleidete sie kein politisches Amt.

Die Initiative zur Gründung der „Liga der Bergarbeiter“ ging vom Kombinat Rovinari aus. Dort war am 15.Januar eine Gewerkschaft gegründet worden; weitere Gründungen in anderen Bergbaurevieren des Schiltals folgten rasch, und die Gewerkschaften schlossen sich zur „Liga“ zusammen. Gemeinsam mit ähnlichen Ligen aus anderen Landesteilen bildeten sie dann die „Föderation der Bergarbeiter-Gewerkschaften Rumäniens“. Die Gewerkschaften wollen sich mit der Funktion eines „Transmissionsriemens“ zwischen Führung und Arbeitern, die sie im Ceausescu-System zu erfüllen hatten, nicht mehr begnügen - ihr Verhältnis zur regierenden „Front der nationalen Rettung“ ist allerdings sehr eng.

taz: Frau Popescu, wie sind sie Chefin einer 35.000 Mann starken Gewerkschaft geworden?

Popescu: Unmittelbar nach der Revolution im Dezember letzten Jahres wurde uns Werktätigen klar, daß wir uns organisieren mußten - in einer Gewerkschaft mit einer neuen Vision, demokratisch aufgebaut und durch Wahlen an der Basis legitimiert. Ausgehend von den Kombinaten hat sich so von unten die „Liga der Bergarbeitergewerkschaften Olteniens“ formiert, deren Vorsitzende ich heute bin. Die Wahl fiel auf mich, weil ich für meine kämpferische Einstellung bekannt bin.

Wie hoch ist der Organisationsgrad?

Um die 98 Prozent.

Gehören dazu auch die Führungskader?

Ja, allerdings wird das nicht so bleiben. Schließlich gibt es da einen Interessengegensatz. In Zukunft werden die Leiter und Manager in der „Industrie- und Handelskammer“ ihre Vertretung haben.

Und die wird dann Ihr Verhandlungspartner sein?

Ja, genau. Die Konflikte bestehen heute in der Regel zwischen den Arbeitern und dem Verwaltungsrat. Wenn die Betriebsgewerkschaften in einem solchen Streitfall nichts erreichen, wenden sie sich an die „Liga“. Die ist sehr mächtig, sie vereinigt die Gewerkschaftsorganisationen von 25 Betrieben.

Gibt es in Rumänien eigentlich schon ein Streikrecht?

Bislang liegen nur Gesetzentwürfe vor. Das Parlament wird sich in naher Zukunft mit ihnen befassen.

Hatten die neuen Gewerkschaften bei der Erarbeitung dieser Entwürfe ein Mitspracherecht?

Bisher nicht. Deshalb haben wir ja auch die ursprünglichen Entwürfe abgelehnt. Sie entsprechen nicht unseren Vorstellungen und sind noch grundsätzlich zu ändern. Sie stammen übrigens noch vom alten Arbeitsministerium. Schreckliche Sachen stehen da noch drin.

Wie stellen Sie sich die künftigen Eigentumsstrukturen im Bergbau vor?

Obwohl der Bergbau staatliches Monopol bleiben wird, muß er sich dem Markt öffnen. Er muß rentabel werden, neue Technologien und ein modernes Management und Marketing müssen eingeführt werden. Eine neue Preispolitik ist dringend geboten, die nicht künstliche Preise festlegt, sondern den Gesetzmäßigkeiten der Ökonomie Rechung trägt.

Rentabilisierung heißt in vielen Fällen die Stillegung von unrentablen Gruben...

Nein, nicht unbedingt. Für unser Land ist es ökonomisch viel vorteilhafter, eigene Kohle zu fördern, als Kohle auf dem Weltmarkt einzukaufen.

Aber ohne Arbeitslosigkeit wird eine rentablere Grundstoffindustrie nicht zu haben sein...

Ja, das wissen wir. Aber eines der wichtigsten Mittel bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit wird die Reprivatsierung selbst sein, die neue Arbeitsplätze schaffen wird. Bei uns liegen ja noch so viele Ressourcen brach! Das ausländische Kapital, auf das wir warten, kann sich bei der Rentabilisierung bestehender oder der Schaffung völlig neuer Industrien engagieren.

Die Ereignisse Mitte Juni in Bukarest haben Rumänien in der westlichen Öffentlichkeit nicht gerade gut dastehen lassen...

Die Nachrichten erreichen den Westen oft nur in entstellter Form. Als am 13.Juni das Innenministerium, das Polizeipräsidium und das staatliche Fernsehen organisiert angegriffen wurden, haben die Sicherheitskräfte überhaupt nicht oder nur mit Verspätung eingegriffen.

Immerhin handelt es sich um drei der bestbewachtesten Gebäude der Hauptstadt...

Deshalb wurde auch Innenminister Chitac entlassen.

...und es gab mindestens sechs Tote, eine große Zahl von Verletzten...

Die gehen nicht auf das Konto unserer Bergarbeiter. Aber es bleibt natürlich die Frage, warum die Polizei vor den Angreifern zurückgewichen ist, warum da Polizeischüler und keine erfahrenen Einheiten eingesetzt wurden.

Ist die Frage auch für Sie offen?

Ja, ich räume ein, daß da noch einiges aufklärungsbedürftig ist.

Interview: Gregor Mayer