Der Wirtschaftsgipfel als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme

■ Tausende wurden angeheuert für die größte Selbstdarstellung in der Geschichte Houstons

„Hier in Houston haben sich der US-Wirtschaftssekreti Bra... Scheiße! Alles aus! Kamera neu!“ Zum vierten Mal hat sich der Nachrichtensprecher vor der Kulisse der nächtlichen Downtown-Silhouette verhaspelt. Im Vordergrund zittert der gestreßte Nachrichtenmann vor den beleuchteten Plexiglasskulpturen mit den Nationalfarben der sieben führenden Industrieländer. Im Hintergrund glimmen die Wolkenkratzer der texanischen Ölmetropole in der nächtlichen Schwüle. „Okay Leute, take five! Hier in Houston...“ Die mexikanische Familie, die scheu an der Seite steht, weiß nicht so recht, was sie von dem surrealen nächtlichen Spektakel vor dem Pressezentrum halten soll. Sollen sie lachen oder wie alle anderen „Houstonians“ auf ihre Ausrichtung des Wirtschaftsgipfels stolz sein? Denn der „Economic Summit“ ist die größte Selbstdarstellung in der Geschichte der viertgrößten US-amerikanischen Stadt und vermutlich auch die derzeit größte Arbeitsbeschaffungsmaßnahme im Land.

Tausende von Angeheuerten und Freiwilligen sind seit Monaten mit der Organisation des Gipfels beschäftigt, der längst selbst zum Industriezweig geworden ist. Die rund 4.000 Journalisten werden mit allem möglichen Kitsch beschenkt und kulinarisch vollgestopft, als gelte es jegliche verbalen Äußerungen zu verhindern. Allerdings ohne Erfolg. Denn noch haben sich die sieben Regierungschefs kaum die Hände geschüttelt, da halten die Unterlinge der Regierungsapparate schon ein „Briefing“ nach dem anderen, um auch noch die letzte Klarheit über das, was hier wirklich verhandelt wird, zu beseitigen. Da wird Eintracht vorgegeben, wo Zwietracht herrscht, und dann doch wieder eine aufwiegelnde Bemerkung ins Gipfelgeschwätz gestreut, um dem Gegner im Poker um die sowjetische Wirtschaftshilfe oder das Handelsabkommen (Gatt) eins auszuwischen. Und nicht nur im Speisesaal des Pressezentrums frißt die hungrige Medienmaschine, was sie vorgeworfen bekommt.

Abseits dieser gekünstelten Öffentlichkeit arbeiten unterdessen sogenannte „Gipfel-Sherpas“ an den rhetorischen Spitzfindigkeiten der Abschlußkommuniques, um das resultierende Nichts möglichst eloquent zu formulieren. Und dennoch entwickelt dieses Ritual am Ende immer wieder eine politische Dynamik, der sich dann Partner oder Gegner nicht mehr entziehen können. So geriet die hier neben den sieben Nationen ebenfalls vertretene EG nach einer Generalattacke der US-Delegation bei den umstrittenen Agrarsubventionen in die Defensive, was Folgen für den Verlauf der „Uruguay -Runde“ haben wird. Und die Bundesregierung mußte angesichts der US-Reaktion ihre Hoffnung auf „Dollars für Gorbi“ schon am Eröffnungstag aufgeben. Allerdings ließe sich ein solcher Austausch zwischen den Länderdelegationen der G-7-Gruppe auch weniger aufwendig organisieren. Am Ende wird auch dieser Wirtschaftsgipfel einem Elefanten gleichen, der nach langem Weh(en)-Geschrei wieder eine Maus gebiert. „Hier in Houston hat der amerikanische Wirtsschaftssekribaer... Aus! Aus!

Rolf Paasch, Houston