Koalitionsstreit um Wahlmodus

■ SPD und CDU in der DDR streiten sich um den zweiten Staatsvertrag / Umstritten ist vor allem die Fünf-Prozent-Hürde / SPD will mehr Profil zeigen / Zusätzliche Wirtschaftshilfen gefordert

Aus Berlin Brigitte Fehrle

Die Regierungsparteien in der DDR haben sich bei den Verhandlungen zum zweiten Staatsvertrag am Thema Wahlmodus festgebissen. Die SPD beharrte auf ihrer Forderung nach einem einheitlichen Wahlrecht mit einer Fünf-Prozent-Hürde für gesamtdeutsche Wahlen. Die CDU fordert eine Drei-Prozent -Klausel. Der Koalitionsausschuß ging am Montag nacht ohne Ergebnis zu Ende.

Der DDR-Staatssekretär und Delegationsleiter bei den Staatsvertragsverhandlungen Krause (CDU) schloß gestern eine Kampfabstimmung zum Wahlmodus in der Volkskammer nicht mehr aus. Wenn im Koalitionsausschuß keine Einigung erzielt werden könne, müsse das Parlament entscheiden, sagte Krause. Die CDU werde nicht von ihrer Vorstellung abweichen. Die Fünf-Prozent-Hürde bedeute für die DDR-Bürger faktisch eine 22-Prozent-Hürde. In der Konsequenz blieben vier von den zwölf Millionen Stimmen der DDR Bürger für ein gesamtdeutsches Parlament ohne Einfluß. Gleichzeitig wies er Vorwürfe des SPD-Vorsitzenden Thierse zurück, in den Verhandlungen mit der Bundesregierung würden sozialdemokratische Positionen nicht genügend berücksichtigt. Thierse verlangte, künftig alle wesentlichen Verhandlungsschritte vorher in Gesprächen mit der SPD zu klären. Die SPD werde dafür sorgen, daß ihr Profil kenntlich bleibe. Spekulationen, es könnte zu einem Bruch der Koalition kommen, wie es der wirtschaftspolitische Sprecher der DDR-SPD, Bogisch, am Montag in Bonn angedeutet hatte, hält Thierse für unwahrscheinlich.

Profil in den kommenden deutsch-deutschen Verhandlungen will die SPD vor allem auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik zeigen. Gestern stellte Bogisch, gemeinsam mit seinem West -Kollegen Wolfgang Roth ein Programm Arbeit und Umwelt für die DDR vor. Der Umweltbereich werde sich nicht marktwirtschaflich aus sich selbst sanieren, sondern benötige Anstöße von außen, sagte Roth. Die beiden wirtschaftspolitischen Sprecher ihrer Fraktionen forderten zeitlich befristete Sonderabschreibungen für Investitionen in der DDR. Roth nannte es „unerträglich“, wenn das ehemalige Zonenrandgebiet und West-Berlin mehr gefördert würden als die DDR.

Im Streit um die Fünf-Prozent-Klausel hat als erster prominenter West-Sozialdemokrat Peter von Oertzen für ein unterschiedliches Wahlrecht für die BRD und die DDR plädiert. Er kritisierte die starre Haltung seiner Partei und warf ihr vor, sie lasse sich von „banaler kurzfristiger Parteitaktik“ leiten. Nach seiner Ansicht könne es nicht im Interesse der SPD liegen, die Bürgerrechtsbewegungen, die bei einer Fünf-Prozent-Hürde keine Chancen hätten, in die Arme und auf die Listenplätze der Grünen zu treiben.