Kohl besucht Gorbatschow: Hilfe als Schmiermittel für die Einheit

■ Sicherheitspolitische Vorbehalte sollen mit dem Wirtschaftshilfeprogramm abgekauft werden

Berlin (taz) - Als erster Regierungschef nach dem westlichen Wirtschaftsgipfel wird Bundeskanzler Kohl am Samstag nach Moskau reisen, um die Positionen Gorbatschows auf den jüngsten Konferenzreigen auszuloten und sowjetisches Entgegenkommen im Vereinigungsprozeß der deutschen Staaten zu forcieren. Ganz einfach wird Kohls Versuch nicht werden, die sicherheitspolitischen Vorbehalte Moskaus gegen den entstehenden gesamtdeutschen Staat auszuräumen, da weder der Wirtschaftsgipfel in Houston noch die Nato-Tagung eindeutige Signale an die Sowjetunion erbracht haben.

Die von Moskau und Ost-Berlin geforderte Umwandlung des westlichen Militär- in ein politisches Bündnis wurde in London zwar angekündigt, ein konkreter Fahrplan steht aber aus. Widersprüchlich blieb auch die Haltung der westlichen Wirtschaftsgiganten gegenüber der Sowjetunion. Zwar wird in den Sonntagsreden die herausragende Bedeutung der Perestroika für den osteuropäischen Umbruch immer wieder beschworen, doch die konzertierte ökonomische Stützung des sowjetischen Reformprozesses war in Houston nicht konsensfähig.

Genau diese Chance will Kohl bei seinem Besuch nutzen, um die sicherheitspolitischen Forderungen, die der sowjetische Außenminister Schewardnadse beim 4+2-Treffen in Berlin noch einmal bekräftigte, zu moderieren. Neben dem beschlossenen Fünf-Milliarden-Kredit bringt er ein im Bundeswirtschaftsministerium geschnürtes Hilfsprogramm mit.

Schwerpunkt des Programms soll eine deutliche Steigerung der sowjetischen Erdgas- und Erdölexporte der Sowjetunion sein, um ihr die beim Wirtschaftsumbau dringend benötigten Devisen zu verschaffen. Die Bundesregierung plant auch, die Reformkommission des Kreml und die zentrale staatliche Planungsbehörde GOSPLAN bei der Ausarbeitung neuer weiterreichender Reformschritte umfassend zu unterstützen. Gedacht ist etwa an die Entsendung von Experten aus deutschen wirtschaftswissenschaftlichen Instituten und hochrangigen Praktikern.

Neben einer Importausweitung will die Bundesrepublik zur Überwindung der bestehenden technischen Probleme bei der Förderung von Erdöl und Erdgas beitragen. Auch über die Vorfinanzierung der notwendigen umfangreichen Investitionen durch zweckgebundene, von der Bundesregierung verbürgte Kredite soll in Moskau Thema sein.

Bonn will Moskau auch Hilfe zur systematischen Vorbereitung der Modernisierung von Industriebetrieben, der Verbesserung des Umweltschutzes und der Einführung ressourcensparender Verfahren geben.

Das Programmpapier sieht ebenfalls vor, daß deutsche Consulting-Firmen in Zusammenarbeit mit sowjetischen Partnern die Voraussetzungen erarbeiten, um die Versorgungslage zu verbessern, Importe zu senken und Exporte von Fertigwaren zu ermöglichen.

Der Bundesverband der deutschen Industrie plant nach Angaben des Wirtschaftsministeriums ein Ausbildungs- und Beratungsprogramm. Die Vermittlung technischer Kenntnisse soll stärker mit den Erfordernissen der Praxis verknüpft werden. Der Ostausschuß der deutschen Wirtschaft hat die Entsendung von Betriebsberatern nach Moskau, Leningrad, Kiew und Minsk vorgeschlagen, die sowjetischen Unternehmen bei der Suche nach geeigneten Geschäftspartnern in der DDR, der Bundesrepublik und in der EG helfen sollen. Das Wirtschaftsministerium prüft derzeit die finanzielle Absicherung dieser Programme.

Wie schon der bereits abgesegnete Bonner Milliarden-Kredit zielt das Hilfsprogramm auf das sowjetische Einlenken bei den 4+2-Verhandlungen, die am 17.Juli in Paris fortgesetzt werden. Die Sowjetunion besteht bislang auf einer verbindlichen Festschreibung der gesamtdeutschen Truppenstärke auf maximal 250.000 Mann sowie auf einer Gleichrangigkeit der Bündnisverpflichtungen der beiden Staaten auch nach der Vereinigung. Zudem beinhaltet die Moskauer Verhandlungslinie Übergangsfristen für die Beibehaltung alliierter Vorbehaltsrechte auch nach der Vereinigung. An diese Positionen will Bonn den Hebel ansetzen: Die deutsche Truppenobergrenze soll nach den Wünschen des Verteidigungsministeriums auf 400.000 festgelegt werden. Zudem soll der vereinigte Staat ohne Übergang die volle Souveränität erhalten, womit de facto die von Moskau geforderten Bündnisverpflichtungen gegenüber dem Warschauer Pakt hinfällig werden.

Angesichts der Brisanz dieses Forderungskataloges für die sowjetischen Sicherheitsinteressen bleibt fraglich, ob die bislang bekannten Details der Bonner Wirtschaftshilfe ausreichen, die Sowjetunion zum Einlenken zu bewegen. Vieleicht wäre der Kanzler doch gut beraten, sich den jüngsten SPD-Vorschlag zu eigen zu machen, der eine Verdoppelung der Bonner Blanko-Hilfe auf zehn Milliarden vorsieht.

eis