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Schuß in die Pulverkammer

■ „Die Explosion des Parthenon“ im Antikenmuseum

Action im Antikenmuseum: Gegen Ende der zwölfminütigen Diaschau zur Explosion des Parthenon knattern die Bildmagazine wie verrückt durch die Projektoren, um uns in einem rasenden Blitzgewitter abwechselnd die immer größer werdende Kanonenkugel, die in der Nacht vom 26. zum 27. September 1687 das Dach des Parthenon durchschlug und in der darunterliegenden Pulverkammer eine Explosion auslöste, und den im Feuerschein aufglühenden Tempel mit den stürzenden Säulen selbst vor Augen zu führen. (Verglichen mit diesem Tempo war die Diaschau zur Grabkammer des Sen-nefer im Ägyptischen Museum, die ihre Bilder in Rekordzeit doppelt so schnell wie den Text verschoß, harmlos.)

Interdisziplinarität hat Konjunktur. Während archäologische Denkmodelle, wie das von den Ablagerungen der Epochen, allenthalben durch kulturhistorische Texte geistern und die zeitgenössische Kunst sich in der Nachahmung ausgegrabener Artefakte und archäologischer Darstellungsformen gefällt, bemüht sich die alteingesessene und echte Archäologie, mit dramaturgischen Tricks a la Hollywood die Lebendigkeit ihrer Maulwurfswissenschaft zu beweisen.

So wartet eine Sonderausstellung in der Abgußsammlung antiker Plastik über Sokrates in der griechischen Bildniskunst nicht nur mit einem rekonstruierten Grundriß des Athener Staatsgefängnisses auf, „in dem Sokrates gefesselt die letzten Wochen seines Lebens verbrachte“, sondern stellt (in einer Fotografie) auch gleich eine Reihe „kleiner Giftbecher“ zur Schau, die, im Gefängnisareal ausgegraben, vermutlich zur Verabreichung des Schierlingsgiftes dienten, mit dem sein Leben zu beenden auch Sokrates gezwungen wurde. Während diese Illustration des überlieferten Selbstmordes des Philosophen eine Episode am Rande der Ausstellung bleibt, bilden in der Explosion des Parthenon nicht weniger als vier massive steinerne Kanonenkugeln von der Beschießung der Akropolis 1687 und zwei damals abgesplitterte Marmorbruchstücke den Mittelpunkt der Ausstellung. Die übrigen Exponate, nicht ganz so aufregend authentisch, bestehen größtenteils aus Zeichnungen der griechischen Archäologen T. Tanoulas und M. Korres, die die Geschichte der Akropolis von dem Steinbruch, in dem der Marmor gebrochen wurde, und der hypothetischen Darstellung eines Krans von der Baustelle des Tempels vor über 2.000 Jahren bis zum Zeitpunkt der Explosion rekonstruieren. Fotografien verschobener Säulentrommeln und zerbrochener Platten dokumentieren die Deformationen des Bauwerkes in den 2,5 Sekunden der Explosion.

Dabei betont diese etwas verunglückte Konkurrenz zum filmischen Historienspektakel den Moment der Explosion nicht allein zur populistischen Anmache des Publikums. Zurechtgerückt werden soll auch unsere Wahrnehmung antiker Trümmerlandschaften, deren Verfall oft als Zeichen von Alter und historischer Distanz gelesen wird und als Chiffre ihrer Erhabenheit gilt. Die Ruinenseligkeit der deutschen Romantik hat dazu beigetragen, die wechselvolle Geschichte der Akropolis zwischen Antike und Gegenwart vergessen zu machen.

Die Akropolis war aber in den Kriegen der Kreuzfahrer, während der Kämpfe um die Vormachtstellung im Mittelmeerraum, im Orienthandel eine begehrte Festung. Als Sitz für Bischöfe und florentinische Fürsten, als Kirche und zur Moschee umgebaut, hatte sie ständig wechselnde Besetzer. Im Krieg zwischen den Venezianern und den Türken, die sich als Herren über die Athener in der Akropolis eingerichtet hatten, kam es zu jener Belagerung, die mit dem Schuß in die Pulverkammer endete, die unter dem Dach des ehemaligen Tempels untergebracht war. Der militärische Nutzen dieses Sieges war zweifelhaft; denn da die Venezianer nicht über die personellen Kräfte verfügten, Athen besetzt zu halten, evakuierten sie die griechische Bevölkerung und zogen sich zurück. Nur Mangel an Zeit, Arbeitern und Ausrüstung verhinderte, daß sie die Akropolis vor ihrem Rückzug sprengten, damit sie nicht wieder von den Türken eingenommen werden konnte.

Mit jenem Schuß wurde das Monument der Antike für die nächsten Jahrhunderte zum Steinbruch, aus dem sich europäische Reisende bedienten, vor allem der Skulpturenschmuck wurde verschleppt. Die Venezianer achteten den Tempel zwar noch nicht als großangelegtes Zeugnis der Vergangenheit, schätzten aber doch schon seine Kunstwerke, die sie, soweit beweglich, mitnahmen. Sie scheiterten allerdings an dem Gewicht des Giebels, der bei ihrem Versuch der Demontage herabstürzte und sich als zu schwer für den Transport erwies. Dieses Problem löste dann Lord Elgin im neunzehnten Jahrhundert, der, als Antikenbegeisterung endgültig in Plünderung umgeschlagen war, die Giebelskulpturen ins Britische Museum brachte.

Katrin Bettina Müller

Die Explosion des Parthenon im Antikenmuseum, Schloßstraße 1, Berlin 19 bis 23. September, Mo. bis Do. 9 bis 17 Uhr, Sa. und So. 10 bis 17 Uhr, Freitag geschlossen.

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