Souveränität und Wahlkampf

■ Kohl in Moskau

KOMMENTAR

In dem gehetzten Tempo des Zusammenschlusses der beiden deutschen Staaten ist der Besuch Kohls in Moskau terminlich zwischen dem Weltwirtschaftsgipfel in Houston und den Zwei -Plus-vier-Verhandlungen, die am Dienstag in Paris fortgesetzt werden, eingeklemmt. Auch für die „Souveränität“ des künftigen Deutschland ist offenbar Hast lebenswichtig.

Die Bundesregierung dringt auf die volle Souveränität, d.h. die Ablösung der Rechte der vier Siegermächte des 2.Weltkrieges. Die drei Westmächte verstehen darunter die möglichst vollständige Einbindung Deutschlands in übergreifende Sicherheitsstrukturen, aber auch das Recht der Nato, überall ihre Truppen stationieren zu dürfen. Dahinter steckt sowohl strategisches Ausgreifen wie Furcht vor deutschen Selbstläufen. Was Margret Thatchers politischer Vertrauter Ridley öffentlich zu sagen wagte, denken wohl viele. Angesichts der neuen Großmäuligkeit, die der deutschen Öffentlichkeit den Charakter einer Versammlung aufgeblasener Ochsenfrösche verleiht, kann man das sogar verstehen.

Kohl selbst hat das Glück, daß ihm kaum jemand seine Ungeschicklichkeiten übel nimmt. Der Versuch, sich sowjetische Zugeständnisse durch wirtschaftliche Hilfe zu erkaufen, wurde von der Sowjetunion zurückgewiesen. Etwas anderes hätte sich keine Regierung, die einen Rest von Selbstachtung hat, öffentlich leisten können. Gorbatschow muß überdies gegenüber den noch mächtigen Konservativen im eigenen Land außenpolitisch Erfolge vorweisen. Da die Nato bisher nur freundliche Absichtserklärungen abgegeben hat, steht auch er unter Druck.

Geld löst also auch hier nicht alles. Kohl reiste zwar mit gefüllten Taschen nach Moskau, aber ihr Inhalt war schon bekannt: 5 Milliarden DM Kreditgarantien und 1,25 Milliarden DM Stationierungskosten für sowjetische Truppen in der Noch -DDR in diesem Jahr. Sicherlich wird die künftige deutsche Regierung auch den Truppenabzug finanzieren müssen.

Letztlich jedoch verfolgt die Bundesregierung zwei weitere Strategien. Eine wirtschaftliche Unterstützung der Reformen in der Sowjetunion stabilisiert Gorbatschow und sichert die außenpolitische Entspannung. Schließlich wäre die glatte außenpolitische Abwicklung des Einigungsprozesses ein Pfund, mit dem Kohl im kommenden Wahlkampf wuchern könnte. Und darauf kommt es ihm, wie man weiß, vor allem an.

Erhard Stölting, West-Berlin