Deutsch-deutscher Streit um Uni-Stellen

■ Berlins Humboldt-Universität will über 200 Stellen ohne öffentliche Ausschreibung neu besetzen / Humboldt-Uni-Mitarbeiter befürchten, daß „Günstlinge des alten Regimes“ bevorzugt werden / Westberliner Akademiker wollen auch mitreden

Von Axel Kintzinger

Berlin (taz) - Heinrich Fink hält die Fahne der „DDR -Identität“ wacker hoch - auf dem Gebiet der Hochschulpolitik: „Wir sind doch kein Indianerstamm, sondern eine eigenständige Universität in einem eigenständigen Staat!“ Der Theologie-Professor ist Rektor der altehrwürdigen Berliner Humboldt-Universität und kann überhaupt nicht verstehen, warum sich der Westberliner Wissenschaftssenat, der Akademische Senat der Freien Universität Berlin und die Öffentlichkeit über eine Liste aufregen, die für Fink Ausdruck größter Normalität ist. Es geht um die „öffentliche Bekanntgabe der von den Sektionen und Fakultäten vorgeschlagenen Kollegen für eine Berufung im Jahre 1990 zum Professor bzw. Dozenten“ an der Hochschule. Wie bisher an DDR-Hochschulen üblich, verzichtet man auch diesmal auf eine öffentliche Ausschreibung der zu besetzenden Stellen und läßt eine an der Hochschule selbst zusammengestellte Liste an den zuständigen Minister gehen, damit dieser sie abzeichnet. Das aber will man im Westen nicht hinnehmen, muß doch schon bald ein Gesamtberliner Wissenschaftssenat die knappen Mittel für den Hochschulbereich auf die drei Universitäten der Stadt verteilen.

Fink will von so weitreichenden Überlegungen jedoch nichts wissen und verbietet sich die Einmischung aus dem Westen lautstark. Einige Mitarbeiter der Humboldt-Uni sehen das anders. In einer anonymen Erklärung, viele befürchten Repressionen bei Veröffentlichung ihrer Namen, kritisieren sie: „Abgesehen von der Anzahl der Berufungen...ist weiter zu bemängeln, daß die in den Wissenschaftsbereichen noch vorherrschenden Vertreter des alten Regimes versuchen, ihren Günstlingen noch schnell zur Karriere zu verhelfen.“ 95 Professoren und 107 Dozenten sollen bis September berufen werden - allesamt auf „frei gewordene Stellen“, wie Fink der taz versichert. Bei der Zusammenstellung dieser Liste ist die zu erwartende Kritik offenbar mit bedacht worden. So findet sich unter den zukünftigen Professoren unter anderem auch Rudolf Bahro, der im Fachbereich Slawistik zum Professor für Sozialökologie berufen werden soll. Und auch der für die Hochschulen zuständige Minister, der parteilose Hans-Joachim Meyer, soll zum ordentlichen Professor im Fach Englisch berufen werden. Von diesen Feigenblättern solle sich jedoch, meinen die anonymen Mitarbeiter der Humboldt -Uni nicht täuschen lassen: „Die meisten“ der zu Berufenden seien nämlich „bewährte SED-Kader, wie zum Beispiel Gerd Schlenker als ehemaliger Mitarbeiter im ZK der SED.“ Das Mißtrauen auch gegen Rektor Fink resultiert aus dessen Personalpolitik der letzten Monate. So hatte er sich als seinen Stellvertreter ausgerechnet den vorherigen Sekretär der dortigen SED-Kreisleitung, Hubatsch, ausgesucht.

Schon zu Beginn dieses Monats hatten diese Pläne den Hochschulbereich in West-Berlin auf den Plan gerufen. So hatte der Akademische Senat der Freien Universität ohne Gegenstimme eine Resolution verfaßt, die an Meyer und Fink verschickt wurde. Darin äußert das Gremium Bedenken, „wenn am Beginn einer gemeinsamen Berliner Hochschulpolitik mit einem Berufungsschub von mehr als 200 Hochschullehrern Tatsachen geschaffen werden, die die weitere Entwicklung der Berliner Hochschulen präjudizieren“. Was die West -Wissenschaflter besonders wurmt: Die Berufungsliste wurde verfaßt, ohne die angekündigte Diskussion über die zukünftige Aufgabe und den dazugehörigen Haushalt der Humboldt-Uni abzuwarten. Schon Ende Juni hatte der Staatssekretär in der Westberliner Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung, Hans Kremendahl, vor den „fatalen Folgen“ der Umsetzung dieser Berufungsliste gewarnt. In einem Brief an DDR-Vizebildungsminister Kallenbach bat er „nachdrücklich“ darum, die Berufungsvorschläge zurückzuziehen. Nun ist DDR -Bildungsminister Meyer an der Reihe. Er hat seinen Westberliner Kollegen zwar einen auch weiterhin intensiven Meinungsaustausch in Sachen Zukunft der Berliner Hochschulen versprochen, doch zu einer generellen Ablehnung der Berufungsliste war Meyer bislang nicht zu bewegen. „Jeder einzelne Fall wird gründlich geprüft“, heißt es aus dem DDR -Bildungsministerium.

Auf Westberliner Seite befürchtet man das Schlimmste und ringt um Verständnis. So will FU-Präsident Dieter Heckelmann versuchen, „Verständnis dafür aufzubringen, daß eine Westberliner Hochschule die Einhaltung bewährter Berufungsgrundsätze, wie sie durch das Prinzip der Fremdberufung aufgrund Ausschreibung und institutsübergreifender Begutachtung der Bewerber geprägt sind, beachtet wissen will“. Heckelmanns Kollege Fink dagegen weiß noch gar nicht, ob er das westdeutsche Berufungsprozedere überhaupt richtig finden soll: „Vielleicht ist ja auch das der DDR besser, dann sollten Sie das übernehmen.“