Chaos in Manaos

■ oder „Das Fantom in der Oper“ - Die Bremer Version

Das Bremer „Fantom in der Oper“ braucht keine zweistündigen Maskenbildner-Exzesse, bevor es gräßlich aussieht, und ein Heldentenor ist es auch nicht. Ersteres ist von Vorteil, denn die langnasige venezianische Halbmaske tut's ebenso gut. Die stimmlichen Unzulänglichkeiten nicht nur des Phantoms sind zwar eher ein Nachteil, aber beides, der Mangel an opulenter Perfektion und echten Opernsängern, erzwingt andere Qualitäten: Witz nämlich, Persiflage, Selbstironie.

Das Bremer Phantom spukt nicht in Paris, und es ist nicht nur scharf auf die junge Sängerin. Sein Haus steht in Manaos, wo die Kautschukbarone Ende des 19.Jahrhunderts einen unglaublichen Boom erlebten. Sie feierten ihn in ihrer Luxusoper, mit italienischen Primadonnen, hier La Malva und LaSilva, und übergewichtigen Tenören. Erst als es 1907 einem findigen Engländer gelang, Gummibaumsamen aus dem Lande zu schmuggeln, begann der Verfall der Stadt: Chaos in Manaos.

Der Bremer Autor Jürgen Alberts läßt sein Phantom als Handlanger der aufsteigenden Drogenbosse morden, hilfsweise, denn am Ende schießen sie sich den Weg in die Oper frei. Die Angst geht um in Manaos? Man glaubt es nicht so recht: Grelle Travestie, munterer Rap-Gesang und Cavoeiro -Tanzeinlagen sorgen fürs Bunte, und auch der böse Blick nach Hamburg fehlt nicht, sondern ist Teil des Musicals. Sein Ziel ist das aufgeblasene Millionending des Friedrich Kurz in der Neuen Flora, das sieben Jahre lang ausverkauft sein muß, um die immensen Kosten wieder einzuspielen.

In Bremen hatten die Initiatoren knappe 100.000 D-Mark aufgebraucht; erstaunlich, wie wenig dazu gehört, witziger zu sein als die öde Selbstfeier der Möchte-gern-Großen, die zusammengesuchte Opernimitationen als Musical ausgeben. Im „Modernes“, einem Kinosaal, saust denn auch nicht der Kristallkronleuchter von der Decke, sondern ein Knochengerippe wie aus dem Kaspertheater. Wenn von der „höchsten Lust“, dem „gekauften Erfolg“ oder der „Moral von der Geschicht'“ gesungen wird, die es nicht gibt, ist der Spaß am Spiel mit den großen Gefühlen und den bitteren Tatsachen spürbar, und die wenig gekonnte Choreographie nebst einigen Längen fallen weniger ins Gewicht.

Hier wird gesungen und gesagt, um was es geht: „Ein Flop in der Oper bringt rasch den Ruin“ und „ein Mord füllt schnell alle Kassen“, und um die Kassen zum Klingeln zu bringen, sind manchem alle Mittel recht. Auf der Bühne ist das erst dann unverzeihlich, wenn es, wie in Hamburgs kaltem Pracht -Phantom, sterbenslangweilig ist und nur vom perfektem Einsatz der Mittel lebt, sodaß selbst eine Panne zur Gnade wird.

Die Bremer Phantom-Persiflage - Regie: Frank Jungermann hat ihre Mittel längst nicht ausgeschöpft. Doch das kurzweilige Libretto, die musicalreifen Songs und die vielfältige und eingängige Musik (Michael Jaschke und Jan Christoph) bieten gute Möglichkeiten, millionenschweren Superproduktionen den Spiegel vorzuhalten, preisgünstig und allemal treffender als die Farbeier auf Hamburger Premierenschickies. Nach dem Motto: Schafft ein, zwei, viele Phantome!

Lore Kleinert