Litauens Soldatenstreit

■ Parlament in Vilnius verabschiedet Wehrpflichtgesetz / Starke Emotionen in der Bevölkerung gegen Sowjetarmee

Moskau/Vilnius (dpa/taz) - Das Parlament Litauens hat am Dienstag ein „zeitweiliges Militärpflichtgesetz“ verabschiedet. Auf seiner Grundlage soll eine eigene litauische Behörde für Landesverteidigung entstehen. Vorgesehen ist eine allgemeine Wehrpflicht von 12 Monaten, Hochschulabsolventen sollen 6 Monate dienen. Mit dieser Initiative ist ein erneuter Konflikt mit den sowjetischen Militärbehörden vorprogrammiert, die die neue Behörde und deren Kompetenzen ebensowenig anerkennen werden, wie sie selbst von der litauischen Regierung anerkannt sind.

Der Wehrdienst in der sowjetischen Armee war und ist eines der umstrittensten Probleme innerhalb der litauisch -sowjetischen Beziehungen. Seit Gründung der Unabhängigkeitsbewegung Sajudis wurden litauische Wehrpflichtige häufig in weit entfernten Sowjetrepubliken ausgebildet und dort verhöhnt, verprügelt und systematisch benachteiligt. Mehrere Todesfälle litauischer Rekruten allein in diesem Frühjahr verbitterten die Öffentlichkeit. In einem ihrer ersten Gesetzgebungsakte nach der Unabhängigkeitserklärung suspendierte daher das litauische Parlament das sowjetische Wehrpflichtgesetz. Die Regierung folgte mit einem Appell an die Jugend, die Gestellungsbefehle für den Frühjahrstermin nicht zu beachten, und setzte alle Zahlungen an die sowjetischen Wehrämter aus. Im Frühjahr desertierten zahlreiche litauische Wehrpflichtige. Letztlich haben nur 23 Prozent der „Gezogenen“ den Wehrdienst angetreten.

Die Durchsetzung der Wehrpflicht rangierte deshalb auch ganz oben bei dem sowjetischen Ultimatum vom 13.April. Die litauische Regierung hat bei ihren diversen Kompromißvorstellungen zur Aussetzung der bereits angenommenen Gesetze auch stets ihren Suspendierungserlaß einbegriffen. Dabei stellte sie aber die Bedingung, daß der Wehrdienst in Litauen abgeleistet werden müße und daß ein ziviler Ersatzdienst vorzusehen sei. Dieser Kompromiß sollte erst nach Beginn der Verhandlungen zur Unabhängigkeit in Kraft treten. Nachdem das litauische Parlament die Rechtsfolgen der Unabhängigkeit zeitweilig ausgesetzt hat und mit der allmählichen Beendigung der Blockade die Voraussetzungen für Unabhängigkeitsverhandlungen geschaffen worden sind, ergibt sich eine neue politische und juristische Lage. Litauen hat - von der Sowjetunion unwidersprochen - erklärt, daß die Suspendierung der Unabhängigkeitserklärung das Land nicht in den Status einer Sowjetrepublik zurückversetzt, also auch sowjetische Wehrpflichtgesetze nicht wieder automatisch in Kraft gesetzt sind. Beiden Seiten stehen also komplizierte Verhandlungen für eine Übergangslösung bevor.

CS