Neu in der Schauburg: „Drugstore Cowboy“

■ High sein, frei sein

Ein Gesicht füllt die gesamte Leinwand aus. Sein Mund bewegt sich nicht, und doch hören wir die Stimme des jungen Mannes. „Ich war mein ganzes Leben ein Junkie. Junkie sein ist ein Fulltime-Job, harte Arbeit. Die Kamera zieht auf, und erst jetzt wird ersichtlich, daß Bob (Matt Dillon) in einem Krankenwagen liegt. Er denkt über sein bisheriges Leben nach, das Regisseur Gus Van Sant in seinem zweiten Kinofilm Drustore Cowboy in einer Rückblende aufrollt.

Portland, Oregon, 1971. Sex, Drugs und Rock 'n‘ Roll dominieren auch an der amerikanischen Westküste den Alltag vieler junger Menschen. Während ersteres und letzteres vergleichsweise einfach erhältlich ist, gestaltet sich die Beschaffung von Uppers, Downers, Speed, Kokain, Morphium oder einer anderen Droge weitaus schwieriger. Bob und seine vierköpfige Gang nehmen alles. Geschluckt, geschnupft oder gespritzt wandert jede erdenkliche Präparat-Kombination in den Blut-Kreislauf, um „ein warmes Kribbeln in der Vene zu erzeugen, das dann im Kopf explodiert.“ Man betritt dazu einfach einen drugstore, Nadine (Heather Graham) täuscht einen epileptischen Anfall vor und Bob räumt die Schubladen leer.

Van Sant hat es vermieden, dem Genre Drogenfilm ein moraltriefendes Kapitel hinzuzufügen. Bobs Abkehr vom Dauerrausch am Ende des Films ist zwar ein Zugeständnis an die öffentliche Moral der USA und somit auch an die davon abhängige Produktionsgesellschaft, doch Drugstore Cowboy geht neunzig Minuten in die Vollen. Nadeln, die in abgebundene Armbeugen stechen, enervierende Verkaufsgespräche oder brutale Polizei-Razzien beherrschen den Tagesablauf der Drogenfreaks. Kameramann Robert Yeoman hält dabei nicht einfach drauf, sondern verwendet für verschiedene Filmebenen spezifische Techniken. Schnell vorbeiziehende Wolken und rennende Uhren symbolisieren das verschwommene Zeitempfinden der Junkies, Luftaufnahmen mit langen Schwenks entzerren ihre eingeengte räumliche Wahrnehmung für die Zuschauer.

Von Ängsten und Polizei verfolgt, irrt das Quartett durch Oregon, um sich „vom Druck des täglichen Lebens zu befreien“. Doch der Druck in die Vene ist das Ziel. Daß alles damit enden kann, beweisen Bremer Statistiken ebenso wie Drugstore Cowboy. J.F.Sebastia