: Die Bespitzelung der Kunst
■ DDR-Graphik „Mutatis Mutandis“ in der Festspielgalerie, Budapester Straße
Observation einer Observation (1983): Dieser Titel eines radierten Zyklus von Carlfriedrich Claus, gezeigt in einer Ausstellung bisher größtenteils unveröffentlicher DDR -Graphiken, weckt in Zeiten, in denen uns Westlern die Stasi -Geschichten in den Ohren dröhnen, in jedem von uns den Spürhund, der die Kunst nach Vorboten des Widerstands abtastet. Vier kleine Radierungen voller vibrierender Strichbündel, in Halbkreisen geschwungen, aus denen überall wie im Kabinett des Dr. Mabuse Augen hervorschauen: Das lese ich zunächst, nicht ohne heimlich-wohliges Gruseln, als surreale Formulierung einer Situation der ständigen Bewachung und Kontrolle. Ohne in Täter und Opfer zu unterscheiden, spiegeln die Blätter ein Gefühl des Verlustes der eigenen Identität in der verinnerlichten Anspannung des Beobachtens, eine stumme Verkümmerung auf den Augensinn, fast schon eine Disposition für den Spitzelblick.
Ja, ja. Also kann Observation einer Observation problemlos unter DDR-Kunst abgehakt werden.
Hätt‘ mich da nicht meine Begleiterin gefragt, ob mir die Radierungen über die Mondfinsternis auch so gut gefallen. Peng! Noch einmal aus der Ferne auf Claus‘ „Observationen“ blickend, richte ich jetzt mein Augenmerk auf die scheibenförmigen Ausbuchtungen, deren Helligkeit und Größe von Blatt zu Blatt variiert. Der Künstler observiert den Sternengucker und setzt seine Arbeit - wie er vom Modell zum Bildobjekt ge langt - in Beziehung zu dem sehnsuchtsvollem Starren des Astronomen auf unerreichbare Ziele. Die Überwindung der Distanz zwischen Sehendem und Objekt, das Sichverlieren im Vorgang des Ganz-zum-Auge-Werdens, liest sich so als poetische Thematisierung einer romantischen Künstlerproblematik. Der einzige, der da den Spitzelblick aufgezogen hat, bin ich, die westliche Kunstbetrachterin.
Der Ausstellungsrahmen in der Festspielgalerie aber begünstigt solche Mißverständnisse. Als Reaktion auf die Änderung der politischen Bedingungen in der DDR entschlossen sich die Berliner Festspiele, ihre nur noch diskontinuierlich genutzte Galerie für ein Jahr Künstlern der DDR zur Verfügung zu stellen, um deren Mangel an öffentlicher Rezeption zu begegnen. Aus der über 10.000 Werke von DDR-Künstlern umfassenden Sammlung des „Zentrums für Kunstausstellungen der DDR“ wurden jetzt Graphiken ausgewählt, die miteinander eine Vergangenheit des Nicht -ausgestellt-Seins teilen. Denn die Arbeiten der 17 Künstler, die nach Westdeutschland oder West-Berlin übersiedelten, waren „vom Tag der Proklamation des Ausreisewunsches an von der öffentlichen Präsentation ausgeschlossen“ (Faltblatt). Der weitere Faltblattext windet sich etwas um das Problem herum, wer denn die zwar verordnete, nicht aber gesetzlich verfügte Verdrängung der Künstler de facto realisierte, wenn nicht eben das „Zentrum für Kunstausstellungen“. So hat die jetzige Präsentation auch den unguten Beigeschmack einer versuchten Rehabilitation.
Der Ausstellungs-Titel Mutatis Mutandis . Nach Änderung des zu Ändernden stellt die Kunstbetrachtung verstärkt unter das Vorzeichen der Jagd nach Geschichte. In die unsinnige Lage, sie seien als unterdrückte Signale eines politischen Kampfes zu lesen, drängte die Bilder zuerst die alte DDR-Kulturpolitik des Verbotes. Diese Lesart setzen Ausstellungskonzepte, die das bisher der Öffentlichkeit Entzogene nun ins Sichtbare wenden, im Grunde fort. Von diesen Bedingungen der Ausstellungsgeschichte zu abstrahieren gelingt kaum. Sie werden zum notwendigen Bestandteil der Kunstwerke.
Vom geschichtsträchtigen Symbolismus völlig überrollt, zeigt sich Andreas Dress. In seiner Radierung Kultstraße (1982) aus dem Zyklus Leib und Idol verramscht er nach dem Kompositionsprinzip der Überhäufung Denkmäler quer durch die Epochen. Doch die Sockel wackeln, die Titanen drohen ihre Last zu stürzen. In seiner blasphemischen Empörung über die Symbole der Macht hat er sich nicht verkniffen, eine nackte Frau auf einem russischen Panzer zu drapieren, das Kanonenrohr zwischen den gespreizten Beinen. Allein seine intendierte Kritik an der ideologisierten Bildsprache bleibt platt, weil er keine andere Sprache als eben jene der Symbole zur Verfügung hat.
Gregor Torsten Kozik spart aus mit dunkler Kohle geschwärzten Flächen die hellen Silhouetten von bewegten und bedrängten Figuren aus. Die Körper dieser Schemen erscheinen ausgeblendet, verleugnet. In diesen Leerraum projiziert er mit wenigen Linien Situationen des Kampfes, der Zerstückelung und gewaltsamen Verdrehung der Glieder. Doch er läßt diese expressiven Bilder schmerzhafter Auseinandersetzungen nicht für sich stehen, sondern lädt sie mit pathetischen Titeln auf, die ihnen zugleich politische Eindeutigkeit verleihen: Die Schändung der Mutter . in memoriam an alle K-Lager (1979).
Erzählerisch und noch immer den expressiven und realistischen Traditionen der zwanziger Jahre verbunden, sind auch die Arbeiten von Ellen Fuhr, Hubertus Giebe mit seinen Blechtrommel-Illustrationen, Dieter Goltzsche und Bernd Schlothauer. Doch die Ausstellung verweist auch auf die Existenz eines abstrakten, sich der Geschichtsverwertung entziehenden Spektrums in der Kunstszene der DDR. In Tuschzeichnungen sucht Michael Morgner, der sich etwas mühsam von geometrischen Grundfiguren löst, nach kalligraphischen Kürzeln, nach knappen und subjektiven Gesten. Robert Rehfeldts Kombinationsdrucke erinnern an Collagen und Frottagen von Max Ernst. Er rahmt Landschaften von Rauhheiten, Knittrigem, Gerastertem mit kleinen Bildfeldern, deren Muster und Strukturen an archaische Kultstätten und mikroskopische Vergrößerungen von Zellen erinnern. So könnte ein Bilderatlas entstehen, der erträumte und geschaute, große und kleine Kosmen durchkreuzt.
„Interessant und lehrreich“ sei die standardisierte Floskel für eine positive Ausstellungsbewertung im DDR-Jargon, hat mir meine Textchefin, Frau Riedle, erzählt. Interessiert und lernwillig wage ich ein Resümee dieses Ausstellungsbesuches: Vielleicht sollte man sich von Claus‘ Himmelsbeobachtung und Rehfeldts Abtauchen in eine phantastische Kosmologie zu einer Perspektive der Distanz ermutigen lassen, um sich in der Betrachtung der DDR-Kunst von der zwanghaften Suche nach linearen polithistorischen Interpretationen zu lösen.
Katrin Bettina Müller
Mutatis Mutandis in der Festspielgalerie, Budapester Straße 48, Berlin 30 bis 12. August, täglich von 12 bis 19 Uhr.
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