Spielfreude und Abenteuerlust

■ The Cream - Last Concert, NDR 3, 21.35 Uhr

Als sich Eric Clapton, Jack Bruce und Ginger Baker im Juli 1966 zu „The Cream“ zusammenschlossen, wußten sie zwar, daß sie sich gegenseitig äußerst sympathisch waren, und hatten große Lust, gemeinsam zu musizieren, aber sie besaßen keinen blassen Schimmer, welche Art von Musik sie eigentlich machen wollten. Clapton hatte bei den Yardbirds und bei John Mayall eine solide Bluesgitarre im Stile seiner amerikanischen Vorbilder, die seltsamerweise allesamt den Namen King trugen, gespielt, Bruce bei Manfred Mann brav den Baß gezupft, und Baker war bei der Graham Bond Organization für die rhythmische Zertrümmerung der Trommelstöcke zuständig gewesen - mit anderen Worten, alle drei waren gewöhnt, daß andere bestimmten, wo es lang gehen sollte. „Lange Zeit war es für uns sehr schwierig, eine Richtung zu finden“, wie es Eric Clapton ausdrückte.

Ein anderes Problem war, daß sie bis dahin ausschließlich als Instrumentalisten tätig gewesen waren und sich keiner so recht getraute, seine Stimme zu erheben. Schließlich wurde beschlossen, daß Bruce und Clapton sich mit dem Singen abwechseln sollten, und zu ihrem Erstaunen stellten sie fest, daß es gar nicht mal so übel klang. Dennoch behaupteten böse Zungen lange Zeit, daß ihre langen Instrumentalpassagen nur dem Umstand geschuldet waren, daß sie den Beginn der nächsten Strophe möglichst weit hinausschieben wollten.

In ihrer Orientierungslosigkeit griffen sie anfangs auf bewährte Kompositionen von Leuten wie Willie Dixon, Muddy Waters oder Robert Johnson zurück, reicherten ihr Repertoire aber nach und nach mit eigenen Werken an. Zunehmend begannen sie sich freizuspielen. Waren ihre ersten Langspielplatten noch dem üblichen Songschema verpflichet, machten von ihren Konzerten bald wahre Legenden die Runde. Nicht genug damit, daß Ginger Baker so versiert mit seinen Trommelstöcken herumwerfen konnte, daß sie immer wieder in seine Hände zurückflogen, verblüfften sie die Zuhörer mit ausufernden Improvisationen, wie sie bis dahin in der Rockmusik unbekannt gewesen waren. Jack Bruce leistete für den Rock das, was Charlie Mingus längst im Jazz getan hatte, er etablierte den Baß als vollwertiges Soloinstrument, und Claptons Gitarrespiel verließ alle vertrauten Bahnen und verband sich mit Baß und Schlagzeug zu pulsierenden Tonkaskaden, denen flugs das Etikett „progressive Musik“ angeheftet wurde.

Mit ihrem Doppelalbum Wheels Of Fire, das eine sechzehnminütige Fassung von Spoonful und ein viertelstündiges Schlagzeugsolo namens Toad enthielt, sprengten sie endgültig die bisherige Struktur der Popmusik, in der die Single stets über die Langspielplatte geherrscht hatte und in derem Zentrum die Hitparade stand. „Die Hitparade ist anti-musikalisch und anti-fortschrittlich. Sie ist veraltet“, sagte Clapton apodiktisch und plädierte dafür, anstelle der Singles zum selben Preis LPs zu verkaufen.

Bis Ende 1968 erzielte „The Cream“ mit seiner unkommerziellen Musik gewaltige kommerzielle Erfolge und spielte beständig vor ausverkauften Häusern, dann hatten die drei genug voneinander und von ihrer Musik. Die Kreativität war dahin, ihre Improvisationen gerieten zur bloßen Reproduktion eingespielter Klangmuster. Die Band stagnierte und am 26. November 1968 zogen Clapton, Bruce und Baker die Konsequenz und gaben ihr Abschiedskonzert. In der Londoner Royal Albert Hall führten sie noch einmal alles vor, was sie zu einer der einflußreichsten Gruppen ihrer Ära gemacht hatte: Spielfreude, Abenteuerlust, ein untrügliches Gefühl für Rhythmus und Harmonie, technische Brillanz.

Der englische Regisseur Tony Palmer dokumentierte das Ganze mit der Kamera und schuf so einen einzigartigen Film, der die drei Protagonisten auf einem künstlerischen Niveau zeigt, daß sie im weiteren Verlauf ihrer Karrieren nie wieder erreichten. Die optischen Spielereien möge man Palmer gnädigst verzeihen. So etwas galt damals als Kunst.

Matti Lieske