: Johnston - Die traurige Geschichte eines Geheim-Atolls
■ Am Anfang war es ein klitzekleines Atoll im Pazifik/Dann wurde Johnston zur abbaubaren "Guano"-Insel und später als solche von den USA annektiert/Sie unternahmen hier wie sonstwo ...
Von Eckart Garbe
Dreimal die Woche unterbricht die Continental Air Micronesia ihren Flug von Hawaii nach Majuro, Kwajalein, Kosrae, Kolonia, Moen und Guam, um auf Johnston aufzutanken und Expreßpost zu entladen. Bei dem halbstündigen Aufenthalt in sengender Hitze darf niemand ohne Erlaubnis das Flugzeug verlassen - Johnston ist in fremdem Besitz. Seit 1934 verwalten US-amerikanische Offiziere das Gebiet, das sie als nichteingemeindetes Territorium der USA bezeichnen - mit anderen Worten: eine Kolonie, wenn auch extrem klein, extrem abseits liegend. Ein Atoll, das einst aus zwei klitzekleinen Inseln bestand, Johnston und Sand, und aus einem halbrunden Riff, das sich 34 km um beide Sandbänke zieht.
Am Anfang
war Guano
Nach zwei Stunden Flug taucht das fast baumlose Johnston plötzlich am Horizont auf. Die gerade einmal drei km lange Insel hat die Form eines Flugzeugträgers. Hier werden die 395 Tonnen US-amerikanischer C-Waffen, die seit 1967 auf deutschem Boden lagern, vernichtet werden. Der Countdown läuft. Bis zum 30. September soll die giftige Fracht Richtung Südsee entschwunden sein. Aus den Augen, aus dem Sinn. Auf Hawaii spricht Rechtsanwalt Hayden Burgess, Vizepräsident des Welteingeborenenrates, das aus, was viele OzeanerInnen denken: „Das ist die pure Arroganz der Weißen. Die schütten uns an den Strand, was sie zuhause nicht zulassen wollen. Mit Insulanern gehen die um wie mit Dreck.“
1796 wird das damals menschenleere Atoll erstmals rund 717 Seemeilen (ca 1.500 km) West-Südwest von Hawaii durch die Mannschaft des amerikanischen Schoners Sally gesichtet, als deren Schiff dort auf eine Sandbank lief. Am 14.12. 1807 traf dann Kapitän Charles Johnston auf dem britischen Schiff Cornwallis ein und fand Guano, fruchtbaren Vogeldreck, stellenweise bis zu 44 Fuß (ca 13 m) hoch. Doch erst im März 1856 erließen die USA dann das „Guano-Gesetz“, das es ihren Bürgern freiweg erlaubte, unbewohnte, unbeanspruchte Guano -Inseln zu besetzen. Das Gesetz sicherte zugleich zu, solche Inselnahme durch amerikanische Kriegsschiffe zu schützen. Die antikolonialen USA entwickelten nun ihren eigenen Kolonialismus. Sofort versuchten etliche Haudegen namens Ryan, Parker, Byxbee und Stoddard, Guano-Country in ihre Hand zu bekommen und schnell war die US-Navy helfend zur Stelle, als es darum ging, einen Zufahrtskanal in die Lagune zu finden. Schon nach zwei Jahren hatten Matrosen und angeheuerte Kräfte das Guano-Phosphat abgebaut. Als die USA dann 1898 ganz im kolonialen Stil Hawaii übernahmen, kam das Johnston-Atoll definitiv in den US-amerikanischen Machtbereich.
Das Militär
ist sofort da
1926 wurde das Johnston-Atoll, da es dort Zehntausende Fregattvögel, Tölpel und Seeschwalben gab, US-amerikanisches Vogelschutzreservat. Ohne Rücksicht darauf übernahm die Navy das Atoll zum Jahresende 1934 und baute seinen Seeflugzeugen einen Landeplatz. Bis Mitte 1941 verwandelte man Johnston in einen Militärstützpunkt, eine Rollbahn entstand. Man nutzte die Insel nun als Fliegerhorst. Zu Beginn des Pazifischen Kriegs beschoß Japans Marine, auf der Rückfahrt vom Blitzbombardement Pearl Harbors, das Atoll, drehte dann jedoch ab. Die USA bauten nun auf dem flachen Inselchen Sand, etwa drei Kilometer nordöstlich von Johnston Island, ein unterirdisches Lazarett, Treibstofftanks, eine Miniwerft.
Ein Damm verband Sand mit dem Seelandeplatz, die Insel erhielt ein neues Gesicht. Die Navy stationierte U-Boote, die von Johnston aus operierten. Sie weitete die Hauptlandepiste aus auf 5.928 Fuß ( ca 1.778 m). Das Atoll wurde zum Luftkreuz für Material und Truppen, die man zum Einsatz an die wechselnden Schauplätze des Krieges flog.
Nach Kriegsende gab die Navy Sand Island bis auf wenige Installationen auf. 1948 übernahm die US-Luftwaffe Johnston. Während des Koreakrieges baute sie den Flughafen abermals aus. Jahre darauf beginnen die USA ein nukleares Eilprogramm, die Operation Hardtack. Das Kommando auf Johnston geht an den Kommandanten der Joint Task Force Seven. Im Rahmen von Hardtack startet man vom „Redstone Pad“ auf Johnston Island zweimal Raketen mit schweren H -Bomben Richtung All. Das ist Anfang August 1958. Teak und Orange sind die ersten US-amerikanischen Höhentests mit Atomwaffen. Danach erhält die Luftwaffe erneut die Insel, die nun eingeplant ist, um von dort Zielraketen des Nike-Zeus-Programms abzuschießen. Obwohl es nicht dazu kommt, werden bis zum Mai 1962 dennoch große Startplätze mit unterirdischen Serviceräumen gebaut. Das Johnston-Kommando übernimmt nun die Joint Task Force Eight.
Atomtests am
laufenden Band
Das Debakel beginnt am 2.6. 1962 mit Bluegill, einem atombestückten Raketentest, den man noch während des Flugs abbrechen muß. Test Starfish, 19.6. 1962: Die gestartete Thor-Rakete ist nach wenigen Sekunden defekt, schleudert, muß gesprengt werden. Ungewollt explodiert die schwere Wasserstoffbombe im Raketenkopf in etwa neun Kilometer Höhe. Starfish Prime, eine 1,4-Megatonnen-Bombe, die ihren Blitz gut 400 Kilometer hochtreibt, erleuchtet am 9. Juli den Himmel bis nach Hawaii, wo die Menschen in Trauben am berühmten Strand von Waikiki stehen und in die Ferne starren. Das Licht der Straßenlaternen flackert, Alarmglocken schrillen, Sicherungen bersten, Kurzschlüsse in Stromkreisen lösen Feueralarm aus. Starfish Prime lähmt Telefone, Elektrogeräte schalten sich wie von Geisterhand ein. Wie vom Blitz getroffen, brechen stadtteilweit die Stromnetze zusammen.
Nahe Johnston testen die Vereinigten Staaten diesmal von B -52-Bombern aus und auf Raketen Atom- und Wasserstoffbomben. Zehnmal glückt es, viermal mißlingen die Tests. 25.7. 1962, Test Bluefish Prime: Eine atombeladene Rakete gerät noch am Boden in Flammen und explodiert. Und schließlich am 15.10. 1962: Test Bluegill Double Prime mißglückt, als seine atomare Fracht in 33 Kilometer Höhe vorab und unplanmäßig detoniert. Sand Island sowie die Rampen LE-1 und LE-2 wurden durch diese schweren Unfälle massiv verstrahlt. Mehrere Monate wurde intensivst dekontaminiert, doch noch heute zeichnen sich diese Stellen durch deutlich überhöhte Radioaktivität aus.
Die Insel „wächst“
ums Zwölffache
Nach dem begrenzten Verbot von Atomversuchen in Atmosphäre, Meeren und Weltraum wurden 1963 weitere avisierte Tests auf Johnston ausgesetzt. Die USA hielten die Insel dennoch auch danach ausdrücklich in ständigem Bereitschaftszustand. Sie bauten Johnston erheblich aus als Teil ihres Atomtest -Einsatzprogramms. Die abschußbereiten Startrampen des Atomwaffenamts DNA werden modernisiert. Zusätzliche Laboratorien, Montagehallen und Depots werden gebaut. Man baggert im großen Stil die Lagune aus, mit dem Korallengeröll werden die Inseln aufgeschüttet. Lediglich das Inselchen Sand ließen die Ingenieure dieses Mal unberührt, doch Johnston Island, zu Zeiten Kapitän Johnstons gerade mal 74 Morgen klein, nahm jetzt eine Fläche von 1.012 Morgen ein. Akau und Hikina, zwei winzige Inseln nördlich und nordöstlich von Johnston und Sand, wurden 1964 künstlich kreiert. Damit besaßen die USA nun gut zwölfmal die Fläche von einst.
Dank dieses Bauprojekts hatte Johnston mit 2.600 Mann sein absolutes Personalhoch erreicht. Noch 1964 fing die Luftwaffe an, von dem Atoll aus neuartige Antisatellitenwaffen zu testen. Ein Programm, das sie erst einstellte, als Johnston Giftinsel wurde. Parallel dazu simulierte man nun die oberirdischen Atomtestes, die man sich gerade verboten hatte. Die Operationen Crosscheck und Roundup 1964 und 65 fingierten Bombenabwürfe von Flugzeugen aus. In den beiden Folgejahren übte man fiktive Raketenabschüsse, Operationen, die man Windlass und Paddlewheel nannte.
Und dann kommt das erste Giftgas
Okinawa, 8. Juli 1969: In einem unscheinbaren Munitionsdepot des 137. Spezialteams der US-Streitkräfte kommt es während Wartungsarbeiten an Granaten zu einem schweren Unfall. Nervengas vergiftet 23 US-Soldaten und einen Zivilisten. Doch das Vorkommnis bleibt nicht geheim. Als es zu Protesten kommt und weil die USA sowieso die Rückgabe des Archipels Okinawa an Japan nicht verhindern können, entscheidet man noch im Herbst, alle C-Waffen aus Okinawa abzuziehen. Dazu gehören große Mengen Senfgasmunition und die Nervengifte GB und VX.
Das Giftgas und die Chemiemunition werden im Herbst 1971 nach Johnston Island gebracht. Die Aktion nennt sich Operation Red Hat. Es landen VX-Minen M-23, GB-Bomben des Typs MK-0 und MC-1, Granaten M-60 mit Hautgift HD, M-110 mit Hautgift H, M-360 mit GB, M-121 und M-426 in beiden Varianten mit GB und VX. 58.889 M-55-Präzisionsgeschosse treffen ein, gefüllt mit GB, und 13.410 gefüllt mit VX. Hinzu kommt in Behältern Senfgas HD und HT.
Man lagert das gefährliche Gut in einem lagunenseitigen Depot im Insel-Südwesten, das die 267. Spezialkompanie bewacht - eine Einheit, die eine ulkige Sitte pflegt. Das Wachpersonal läuft gelegentlich mit Gasmasken, doch stets mit roten Mützen herum. Das Depot heißt wie die Aktion Red Hat. Eigentlich wollte man die Okinawa-C-Waffen nach kurzem Zwischenstopp auf Johnston möglichst bald ins Umatilla-Depot in Oregon, Festland-USA, verfrachten. Bis dato hatten die US-Streitkräfte ihre alten C-Waffen teils verbrannt, teils vergraben oder in Schiffen einfach an tiefen Stellen im Ozean versenkt. Aufgrund öffentlichen Drucks wurde in den USA durch Gesetz 91-672 untersagt, US -Chemiewaffen aus dem Ausland in US-Bundesstaaten zurückzubringen. Statt dessen sollten sie außerhalb Amerikas bleiben. So wurde Johnston zum permanenten Giftgasdepot. Bob Jones leitet heute einen Supermarkt in Ebeye auf den Marshall-Inseln. Damals gehörte Jones zu den Angestellten auf dem Atol: „Auf Johnston ging es damals chaotisch zu. Da kam aus Okinawa und Vietnam das Giftzeug an und niemand wußte, wie damit richtig umzugehen wäre.“
Evakuierung beim
Orkan Celeste
Bis Jahresmitte 1972 bringen die US-Streitkräfte das Entlaubungsmittel Agent Orange aus Vietnam nach Johnston Island. Es handelt sich um genau 26.300 Faß a 50 Gallonen (eine Gallone ist 3,8 Liter), die man ozeanseitig ins Freie auf den Westzipfel stellt. Kurze Zeit später fegt ein Orkan namens Celeste auf Johnston zu. Die verantwortliche Armeestelle des Western Command in Fort Shafter in Honolulu entschließt sich zu einem drastischen Schritt. Sie schickt Transportmaschinen und evakuiert ausnahmslos das gesamte Personal des Atolls, zu diesem Zeitpunkt etwa 580 Mann, zum Luftwaffenstützpunkt Hickam auf Oahu, Hawaii.
130 Knoten schnell erreicht Celeste Johnston um 14 Uhr am 19.8. 1972. Die Einheit aus Giftgasspezialisten, die Tage danach Johnston Island betritt, trifft auf eine ziemlich lädierte Insel. Das Joint Operations Centre, weiland Haus 20, ein vier Stockwerke hohes Gebäude aus Stahlkonstruktionen, in dem sich Kommandoposten und das Testkontrollzentrum des Atomwaffenamts befinden, ist dem Einsturz nahe. Kasernen und offene Hallen wurden vom Tropensturm so stark beschädigt, daß die damit beauftragte Hauptfirma Holmes&Narver ihren Bautrupps auf dem Eiland monatelang Überstunden zumuten muß. John Van Dyke leitet das Universitätsinstitut für Friedensstudien auf Hawaii und gehört zu den Kennern des Johnston-Geschehens. „Was in einem Bericht des 'Corps of Engineers, Pazific Ocean Division‘, den man seinerzeit im Auftrag des Marine-Testzentrums 'Point Mugu‘ geschrieben hat, ist richtig. Celeste richtete auf Johnston
großen Schaden an.“ 1977: Winde, Wellen und Salzluft haben inzwischen die Tonnen mit den Vietnamherbiziden bearbeitet. Das ein oder andere Faß ist undicht geworden, Unkrautchemikalien laufen aus. Experten entdecken im Boden des Depots 30 Dioxin in Konzentrationen, die akute Gefährdungen ahnen lassen. Kurzerhand chartern die US -Militärs daraufhin das holländische Giftschiff Vulcanus 2, das klammheimlich das Gift aus Vietnam 80 Kilometer windabwärts von Johnston Island auf See verbrennt.
Das Projekt
Jacads wird geboren
Derweil rosten im Johnston-Depot Red Hat in 35 Bunkern und drei offenen Hallen langsam, doch beständig die Okinawabestände. Zudem sehen sich die US-Streitkräfte in Europa und an acht Orten in den USA mit ähnlichen Sorgen konfrontiert. So entsteht 1983 das Johnston Atoll Chemical Agent Disposal System kurz Jacads, dessen Pilotfunktion unter anderem darin besteht, Verbrennungenstechnologien zu testen, die man gegebenenfalls in noch zu bauenden gleichartigen Ofenanlagen an den acht Chemiewaffenstandorten in den USA einsetzen möchte.
Das Jacads-Projekt nimmt nach und nach Gestalt an. Zuerst ist lediglich daran gedacht, jedenfalls offiziell, die Okinawabestände zu vernichten. Sonst nichts. Ingenieure kalkulieren eine Laufzeit von etwa vier Jahren und 355 Zusatzarbeitsplätze auf Johnston Island, Architekten setzen allein die Baukosten auf 258 Millionen US-Dollar fest. Die US-Streitkräfte präsentieren 1983 ihre ersten Umweltverträglichkeitsstudien, die sie in den Folgejahren ergänzen, teils überarbeiten, teils drastisch aktualisieren müssen. Unerwähnt lassen sie, daß Hurrikan Keli sie im August 1984 zwingt, erneut alle 370 Mann auf Johnston zu evakuieren, da hohe Wellen das Atoll überrollen.
Die Bauarbeiten am Jacads-Komplex beginnen 1986 und sind Ende 88 abgeschlossen. Zu diesem Zeitpunkt hat man im Weißen Haus, im Capitol und im Pentagon bereits wichtige Fragen neu entschieden. So haben sich die USA durch Gesetz 99-145 selbst verpflichtet, ihre Altbestände an Chemiewaffen, von bleibenden Reserven abgesehen, bis 1994 zu vernichten. Diesen Termin schieben sie mit dem nächsten Haushalt und durch Gesetz 100-456 dann auf den 30.4. 1997 hinaus.
Das Pentagon schließt daraufhin seine Gutachten zum Chemical Stockpile Disposal Program, also zum Umgang mit den Kampfstoffvorräten in militärischen Giftdepots in den USA, äußerst zügig ab. Von den Gutachtern werden darin die zu erwartenden Risiken eines größeren C-Waffen-Umzugs rundweg als unakzeptabel betrachtet. Um die brisante Fracht nicht durchs Land bewegen zu müssen, wird entschieden, anstelle des Zerstörens an zentralen Orten spezielle Öfen in allen acht USA-Depots zu bauen. Modell dieses Vorort -Verbrennens sollte Jacads sein.
Ofenabfall?
Verklappen!
Zusatzstudien hatten 1988 diverse Möglichkeiten erörtert, wie die Beiprodukte des Jacads-Ofens entsorgt werden könnten. Das Pentagon favorisierte, ohne sich festzulegen, das Verklappen des Unrats auf See, windabwärts etwa zehn Seemeilen südlich Johnston Island. Alle zwei Wochen sollte ein Spezialschiff sich öffnen und Giftlake ablassen. Die dickflüssige Brühe würde sich sofort verdünnen. In Containern einzementiertes Metall, Ofenasche und Fiberglas würden auf den Boden sinken, 2.100 Meter tief. Dies schien den Projektmachern die einfachste und billigste Methode zugleich. Verärgert reagierten sie deshalb, als 1988 in den USA Ocean Dumping verboten wurde. Nun, so hieß es fortan trotzig, müsse man eben allen Abfall eintonnen und kostspielig zu Lagerstätten in den USA verschiffen, die, rätselhaft genug, bislang noch niemand namentlich benannte.
Im Innern
des Monstrums
Die Schlote auf dem Dreieck, das sich mitten auf Johnston ins Lagunenflach lehnt, glänzen rot-weiß. Zu den größten Gefahren dort im Jacads-Komplex, hatten US-Presseleute auf Hawaii gescherzt, gehöre es, sich einen Sonnenbrand zu holen. Im Hitzedunst sieht das C-Waffen-Verbrennungszentrum aus wie ein Riesenindustrieaggregat. Die Hochhitze -Ofenanlage mit den vier Schornsteinen ist das Herz des Ganzen.
Innerhalb des Geländes steht ein Wachhaus, ein Laboratorium und eine Belegschaftsbaracke. Von zwei Tanks abseits des Hauptgebäudes will man das anfallende Abfallprodukt, die breiige Schmutzlake des Giftgasofens, durch eine Pipeline in die Tankfarm pumpen, die am anderen Ende von Red Hat nahe beim West-Kai steht. Bequem könnten Schiffe sie aufnehmen und doch noch in den Ozean kippen, so wie es zuerst und billiger geplant war.
Das Jacads-Gelände befindet sich nördlich des Giftgasdepots. Sein Hauptgebäude besteht aus zwei Stockwerken von zusammen 22.000 Quadratfuß (ein Fuß ca 30 cm) Fläche. Da unkontrollierte Stoffe und Gase nicht nach außen entweichen sollen, hält man den Bau, abgesehen vom Kontrollraum, im Unterdruck. Oberhalb des Kontrollraums gibt es im zweiten Stock Umkleidekabinen und Schleusen, durch die Personal in Schutzanzügen Zugang zu den hochtoxischen Trakten hat.
In dem Jacads-Bau werden Giftgas, Explosivstoffe und Munitionshülsen getrennt, letztere zerteilt und in Öfen dekontaminiert. Die abgesaugten Gase gehen in Flammen auf und die Abgase dessen fließen durch Waschkessel, die sie durch Zusatz von ätzenden Lösungen, beispielsweise Sodium -Hydroxid, Calcium-Hypochlorit und Sodium-Carbonat, chemisch reinigen. Es entsteht eine schleimige Abwaschbrühe, die sich zu Salzen trocknen läßt.
Wenn das Clausen-Gift denn kommt...
Das Jacads-Programm, in seinem bislang bekannten Umfang, hinterläßt zwischen sechs und acht Millionen Gallonen (22,8 bzw. 30,4 Mio Liter) Schmutzbrühe. Darin enthalten sind Spurengifte, etwa Schwermetalle wie Kadmium und Zink. Zum Abfall zählen auch entgiftetes Altmetall, Schlacke und Flugasche, die unverbrannte Stoffe als Umweltdreck samt Dioxin und hochgiftigem Furan mit dem Winde verweht. Elizabeth harding arbeitet für die Umweltbehörde auf den Marshall-Inseln. Sie ist skeptisch, ob die Staaten um die Insel herum überhaupt die relevanten Daten erhalten. „Bislang deutet sich keine Bereitschaft an, uns die Unterlagen zu überlassen, die nötig wären, um da Vorhaben auf Johnston fachgerecht zu beurteilen. In Washington hält man uns sowieso für machtlose Zaungäste, irgendwo weit draußen.“
Um die unheimliche Fracht aus Europa zu entladen, nutzt man die Werft im Nordwesten. Militärpolizei eskortiert sie auf ihrem Weg westlich die Seawall Road entlang, wo sie erst die einst plutoniumverstrahlte und dann die dioxinverseuchte Zone tangiert, bis in die Nähe des Depots Red Hat. Nach längerem Zwischenaufenthalt auf provisorischem Gelände sollen die C-Waffen in den erdbedeckten Iglu-Bunkern verschwinden, die man von dort an ihren wuchtigen Entlüftungsschächten erkennt. Noch fehlt dazu allerdings in sieben Iglus Platz, die längst geräumt werden sollten. Da die Jacads-Brennöfen nicht rechtzeitig angelaufen sind, lagert in diesen Bunkern noch unplanmäßig explosive Okinawamunition. Hastig baut man nun die Zündsätze aus und bugsiert Senfgasgranaten aus diesen Iglus in zwei von drei offenen Metallhallen.
Bis mindestens 1994 soll das Todesgas aus Clausen auf Johnston Island gebunkert bleiben. Denn es dauert etwa drei bis vier Jahre, bis das Gros des rostigen Okinawabestands verfeuert ist. Was aus Europa kommt - die Granaten M-121 und M-426 mit den Nervengiften Sarin und VX - ist im Vergleich dazu noch „gut“ erhalten. Eines Tages treffen diese C-Waffen auf Loren und in Aufzügen im zweiten Stock des Hauptgebäudes ein. Dort befinden sich zwei Großräume, in denen man aus den Granaten, Minen, Bomben und Behältern zuerst die Ringe und Verschlüsse entfernt und dann, sofern noch nicht geschehen, Zünd- und Sprengsätze. Dies geschieht alles mit Hilfe von automatischen, computergesteuerten und fernüberwachten Maschinen. Danach pumpt man den giftigen Kampfstoff ab. Man sticht die Waffen an, Saugstationen ziehen die Giftgase ab.
Dioxin ab durch
den Schlot
Gewöhnliche Munition befördert man auf Bändern zu Vielzweckmaschinen. Zwei Ungetüme zerteilen Granaten, die nach unten plumpsen. Ähnliche Apparate zersägen Geschoßhülsen, die in den Ofen im Erdgeschoß fallen. Auch die Minen werden zerschnitten und sausen, wie anderes Metall, in den ersten Stock. Geschoßspitzen mit Zündern und Treibsätze werden von oben herabgelassen im kleinen Lift zu einem weiteren Extraofen. Ebenfalls noch vom Obergeschoß aus rutschen Packmaterial, Holz oder Laborabfälle in einen ölbefeuerten Ofen.
Unten im Parterre: In einem rotierenden Dekontaminationsofen mit Hochdrucknachbrennern schmelzt man die Metallteile ein und versucht darin zugleich, letzte Giftgasrückstände zu vernichten. Die US-Streitkräfte möchten das verglühte Material noch als Buntmetallschrott nach Hawaii exportieren. Es bleibt als Müll unverkäufliches Alteisen, Fiberglas und Bodenasche. Diese festen Abfälle gleiten via Rutschen in vorgefertigte Zementboxen. In einem anderen, länglichen Ofen, dessen Temperaturen hochfahren bis 870 Grad Celsius, schmort man Treibladungen, Explosivstoffe und alles in den zugeführten Munitionsteilen noch Brennbare, Restgase eingeschlossen.
Neben dem Kontrollraum, von wo aus man alles mit Computern, Sensoren und TV-Kameras überwacht, sind Werkstätten des technischen Personals. Jenseits des langen Munitionskorridors läuft aus drei großen und zwei kleineren Zwischentanks jeweils eine Sorte Kampfstoff in den sogenannten Flüssigofen im Erdgeschoß. In diesem doppelten Giftgasofen, in dem die Gase komplett abbrennen sollen, gibt es zwei Kammern mit starken Flammen. Eine davon funktioniert als Nachbrennofen. Den Flüssigofen muß man stark anheizen, Giftgas darf man lediglich in ganz geringen Dosen einspritzen.
Doch selbst dann lassen sich Abgase nicht vermeiden. Diese giftigen Substanzen, zu denen die gefürchteten Dioxine und Furane zählen, pusten durch die Schlote als Emission in die Luft der ozeanischen Weite. Statt sich durch Wellen und Tiefe schnell zu verwässern, nisten sie sich in die biologisch hochaktive, filmdünne Oberfläche des Meeres ein, den Lebensraum von Mikrolebewesen wie Algen und Larven.
Fazit:
Alles überstürzt
Die Testphase des Jacads-Programms begann 1989 zunächst mit dem Bearbeiten von Attrappen und dann mit Übungsmunition. Echte Tests mit scharfen Giftwaffen fielen mehrere Male aus, weil unausgereifte Technologien Nacharbeiten an Automaten und Robotern erforderlich machten, oder etwa die Software von Computern abstürzte. Problembeladen scheinen auch die Brennöfen zu sein. Die Schwierigkeiten reichen vom Überhitzen des rotierenden Ofens bis zum Freisetzen von unerwarteten Emissionen.
Zu Beginn des Jahres geriet ein Ofen in Brand, lange Umbauten folgten. Von den jetzt 1.230 Mann arbeiten gut 800 an den Ofentests, denn der Kongreß hatte mit Gesetz 101-165 ein Junktim für weitere Dollars gesetzt: Jacads müsse seine Einsatzbereitschaft durch Zerstören scharfer Munition beweisen. Was in 18 Monaten nicht gelang, soll nun am 30. Juni laut Militärmeldung passiert sein: Man verbrannte „erfolgreich“ 15 M-50-Präzisionsgeschosse ohne Rückstände im Schornstein. Anstatt die Öfen zwölf Tage in Betrieb zu halten, brannten sie nur 24 Stunden, aber die Gemüter im Kongreß waren offenbar beruhigt. Das Clausen-Gift kann ruhig kommen. Wie meinte Giff Johnson, Chef des 'Marshall Island Journal‘ treffend: „Das „Verrückte ist, wie überstürzt sich das alles abspielt. Die sonst so sorgsam planenden Militärs müssen von den Politikern völlig überrannt worden sein.“
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