„Rassismus durch Nichthandeln, Nichtäußern und Nichthelfen“

■ Ein Gespräch mit den beiden Ausländerbeauftragten Anetta Kahane (Ost) und Barbara John (West) über Deutschlandfahnen, das neue Nationalgefühl und den ganz alltäglichen Rassismus in der Stadt / Eine Ausländerbeauftragte als Stadträtin oder Senatorin?

taz: Der nationale Siegestaumel nach der Fußballweltmeisterschaft ist fürs erste wieder verflogen. Uns interessiert trotzdem, was Sie beide empfunden haben, als in der WM-Nacht die „Deutschland-Deutschland„-Rufe schallten?

John: Als ich erfuhr, daß das Freudengeschrei auch von Zerstörungswut und Menschenjagd begleitet war, fühlte ich mich sehr abgestoßen. Was sich am Abend direkt nach dem Spiel im Fernsehen über die Stimmung am Ku'damm gesehen habe, war jedoch Freudentaumel ohne Übergriffe. Ich habe einen jungen Berliner türkischer Herkunft sagen hören, daß er sich über den WM-Sieg gefreut hat. Es hat mich wiederum gefreut, daß die Nation das am Bildschirm sehen konnte.

Kahane: Unsere Ausländer fanden das nicht so erfreulich. Ich habe nichts gegen Feiern. Im Prinzip stört es mich auch nicht, wenn man bei dieser Gelegenheit auch ein Nationalgefühl zelebriert, auch wenn ich das nicht besonders angenehm finde - egal, wo sich das nun abspielt. Für mich wird es dann schlimm, wenn es sich gegen andere richtet. Und genau das ist auf dem Alexanderplatz passiert. Da sind die Vietnamesen gejagt worden. Diese Aggressivität richtet sich ja nicht nur gegen Ausländer, sondern gegen alle, die diesen Nationalismus nicht teilen. Das hat der Zug der Rechtsradikalen zu den besetzten Häusern gezeigt.

Nun ist dieses offen gezeigte Nationalgefühl ein relativ neues Phänomen. Haben Sie, Frau John, keine Angst, daß das umkippen kann?

John: Wir hatten sicher in den letzten Jahrzehnten Berührungsängste mit nationaler Symbolik. Allein das Wort Deutschland oder das Zeigen einer Fahne hat den Verdacht erregt, es könnte sich um einen übertriebenen, ausgrenzenden Nationalismus handeln. Gerade durch die Ereignisse in der DDR im November letzten Jahres hat diese Symbolik eine neue und andere Bedeutung bekommen - nämlich daß man nun zusammenwachsen will und nun zusammengehört. Diese neue Identität muß also nicht automatisch den Ausschluß anderer bedeuten. Nach meinem Verständnis gehören zu diesem neuen Wir-Gefühl besonders auch diejenigen, die schon seit Jahrzehnten bei uns leben. Ich empfinde das so als Deutsche. Ich weiß aber, daß viele Angehörige von Minderheiten sich bei dieser Symbolik ausgeschlossen fühlen. Ich denke, daß die Mehrheitsbevölkerung eine Gespür dafür entwickeln kann und auch entwickelt und bewußt einen Schritt auf die Minderheiten zumacht. In diesem Moment hätte auch diese Symbolik eine neue Bedeutung, nämlich, daß die Bundesrepublik pluralistischer, bunter und vielfältiger geworden ist.

Wo sehen Sie, daß die Mehrheit einen Schritt auf die Minderheit zugeht?

John: Ich meine nicht so sehr Gesetze, da hat sich in letzter Zeit nicht soviel getan. Das kann sich nur im persönlichen Umgang zwischen einzelnen und Gruppen abspielen, und das spielt sich ja auch so ab. Ich denke doch, daß am Sonntag auch viele deutsche und nichtdeutsche Berliner gemeinsam gefeiert haben - sicher auch in Ost -Berlin.

Kahane: Ich sehe das, zumindest für Ost-Berlin, etwas anders. Daß bei uns zum Beipiel Vietnamesen in die Siegesfeiern mit einbezogen wurden, das halte ich doch eher für eine rühmliche Ausnahme. Da spielt ohne Zweifel die momentane Situation eine Rolle: Die Konflikte und der Druck, der im Moment auf die DDR-Bevölkerung auch einbrechen, stellen eine absolute Überforderung dar. Und das drückt sich unter anderem in einer unglaublichen Intoleranz aus. Da liegt ein großer Unterschied zu West-Berlin. Das ist nicht nur ein grundsätzlch deutsches Phänomen, sondern in diesem Fall ein DDR-spezifisches.

Türkische Jugendliche haben vor kurzem in einem Interview geäußert, sie fühlten sich im Zuge der deutschen Vereinigung „wie weggeschmissen“. Vietnamesische oder mosambikanische VertragsarbeiterInnen in Ost-Berlin klagen über die wachsenden Zahl von Übergriffen. Befürchten Sie manchmal, daß Rassismus und Ausländerfeindlichkeit das Klima in der Stadt mitbestimmen?

John: Nein. Es besteht ja gerade bei Medien immer die Lust, die Ausnahme zur Regel zu machen. Die Zahl derjenigen, die sich so ausländerfeindlich äußern, die gewalttätig werden und jeden Anlaß nutzen, ist zum Glück sehr stark begrenzt. Es sind einige hundert Jugendliche - zweihundert oder dreihundert - im Ostteil der Stadt. Wie viele es im Westen sind, weiß ich nicht, vielleicht weniger. Dennoch: Es reicht einer. Und einer ist bereits zuviel. Aber daß solche Leute den Ton angeben oder das Klima in einer Stadt prägen - das ist natürlich eine Übertreibung. Es wird die gemeinsame Aufgabe sein, das mehr und mehr zurückzudrängen. Wie, ist eine große Frage. Wir machen das in Berlin seit Jahren gemeinsam mit verschiedenen Verwaltungen und Organisationen durch Jugendsozialarbeit, Polizei, Schule. Ich nehme an, daß das nun in Ost-Berlin ebenso geschen wird. Darüber hinaus müssen deutliche Signale auch von der Politik gesetzt werden, daß Berlin eine Stadt ist, in der zugewanderte Minderheiten ihren Platz haben, und daß sie hier gleichberechtigt leben. Eine vernachlässigte Minderheit ist sicher eine Gefahr, aber eine vernachlässigte Mehrheit kann sich zu einer Katastrophe auswachsen. Es gilt, beiden gerecht zu werden.

Definieren Sie Rassismus nicht etwas zu eng, wenn Ihnen dabei zu allererst diese wenigen hundert gewalttätigen Jugendlichen einfallen? Was ist mit Stadtbezirksteilen, in denen bis zu 20 Prozent „Republikaner“ gewählt haben? Was ist mit den nicht gewalttätigen Menschen vom Ladenbesitzer bis zur Hauswartsfrau im Kiez, bei denen sich ein abgeschlossenes Meinungsbild aus Haß und Abneigung zeigt? Was ist mit diesem „ganz normalen“ Rassismus in der Stadt?

John: Ich bin entschieden dagegen, Menschen sofort einen Stempel auf die Stirn zu drücken. Ich kenne auch die Menschen, auf die Sie jetzt mit dem Finger zeigen. Es gibt sicher solche Äußerungen - und ich bekomme auch Briefe von solchen Leuten. Sehr oft bitte ich die dann auch zu einem Gespräch. Von daher weiß ich, daß auch hinter solchen Äußerungen eigene Ängste stecken. Deswegen glaube ich, daß so etwas veränderbar ist, wenn diese Menschen nicht von vorneherein verurteilt werden. Das ist oft auch ein Schrei an die Nachbarn, die Politik, weil sie sich irgendwie bedrängt und nicht wohl fühlen. Ich glaube nicht, daß sie vollkommen festgelegt sind auf irgendwelche politischen Bewegungen oder sogar Parteien. Ich bin sicher, daß das Klima sich in den nächsten Jahren nicht von solchen Meinungen wird bestimmen lassen.

Kahane: Ich bin mir da nicht so sicher. Ich will mal hoffen, daß es nicht so sein wird - aber aus meiner Erfahrung in der DDR muß ich erst mal feststellen: Es gibt in Ost-Berlin einen Rassismus, der nicht militant ist; einen Rassismus, der sich zum Teil auch durch Nichthandeln, durch Nichtäußern, durch Nichthelfen ausdrückt. Es ist eine ganz verdeckte Form von Aggressivität - sozusagen ständig unterlassene Hilfeleistung.

Benutzen Sie das Wort „Rassismus“ in Ihrer Arbeit?

Kahane: Nein, nicht sehr gerne. Ich will nicht, daß Kommunikation mit diesen Leuten von vorneherein ausgeschlossen wird. Ich sehe das auch als ein Zeichen von Not an, wenn die Leute so feindselig eingestellt sind. Trotzdem ist es wichtig zu erkennen, was es bedeutet - auch in dieser weniger offenen, weniger militanten Art. Es bleibt aggressiv. Es wird sehr lange dauern, den Panzer der Menschen durchlässiger zu machen. Das ist schwer in einer Zeit, in der ein neuer Nationalismus zwischen Ost und West die Leute genau darin immer wieder bestätigt. Was die DDR -Seite betrifft, ist mir das schon klar, was da mit hinein spielt: Nationalismus, nationale Identität - in der DDR alles bislang nicht erlaubt - dazu Frust, mangelnde Entfaltung und immer noch das Gefühl, Deutscher zweiter Klasse zu sein...

John: Ich sehe aber auch eine ganz andere Erkenntnis wachsen: Viele haben ja bisher an die Formel geglaubt, daß Angehörige einer Sprache, einer Religion, einer Kultur automatisch zusammengehören, also ein Volk sind. Nun haben wir die Vereinigung. Und nun erfahre ich in Gesprächen zum Beispiel mit Kreuzberger Bürgern, daß ihnen vieles auch an den DDR-Bürgern fremd ist. Sie sagen mir im gleichen Atemzug, sie hätten mit ihren türkischen Nachbarn oft viel mehr Gemeinsamkeiten. Das bedeutet doch, daß diese Wahnvorstellung, daß uns allein die gemeinsame Abstammung verbindet, gar nicht stimmt. Die gemeinsamen Bedürfnisse, Nöte und Wünsche, also die soziale Ökologie, prägen viel stärker. Das zwingt zum Nachdenken. Die Menschen erkennen, daß wir uns wohl in Mythen, nicht aber in der Realität eingerichtet haben.

Mit Verlaub, das sind doch Mythen, die politisch zementiert sind. Der Grunddsatz des Völkischen ist nach wie vor herrschender Gedanke in unserer Gesetzgebung, wie das Ausländergesetz wieder zeigt: Die Einbürgerung mit doppelter Staatsbürgerschaft ist weiterhin passe.

John: Das ist eine ganz andere Sache. Wo steht denn, daß die soziale Realität auch in offenen lernfähigen Gesellschaften von der Politik früh erkannt wird. Die Politik läuft dieser Realität schon seit Jahrzehnten hinterher. Das Entscheidende ist doch, daß die Menschen das anders erfahren. Dann wird auch die Politik irgendwann einmal mitziehen, und die Politiker werden nicht mehr soviel Löwenmut brauchen, darauf einzugehen.

Frau John, Sie haben immer gegen das kommunale Ausländerwahlrecht argumentiert. Müssen Sie eigentlich jetzt in dieser neuen Situation, wo die Zeitgeschichte immer schärfere Hierarchien innerhalb der Bevölkerung hervorbringt, ihre Meinung revidieren?

John: Für mich ist das Ausländergesetz ein einziges Argument dafür, daß die Ausländer die volle rechtliche Gleichstellung brauchen. Mein Hauptargument war ja immer, daß das kommunale Wahlrecht kein entscheidender Schritt ist, der die Probleme löst, die mit dem Ausländerstatus besonders für die dritte Generation zu tun haben. Wir müssen statt dessen die Ängste abbauen, die gegen die doppelte Staatsbürgerschaft bestehen. Und hier finden wir auch Bündnispartner bei der deutschen Bevölkerung, nämlich zuerst bei denen, die mit ausländischen Bürgern verheiratet sind.

Frau Kahane, geht bei Ihnen in der DDR das schon eingeführte kommunale AusländerInnenwahlrecht jetzt sang und klanglos unter?

Kahane: Nein, es ist in der Verfassung der Stadt Berlin enthalten, aber nur für die Stadtbezirksverordnetenversammlung, nicht mehr für die Stadtverordnetenversammlung, was ich nicht verstehe.

Glauben Sie persönlich daran, daß es das nach der Vereinigung noch gibt?

Kahane: Wenn ich davon ausgehe, was alles sein könnte, mache ich mich handlungsunfähig. Ich werde mich einfach dafür einsetzen, daß es bleibt.

Wir sind uns in dieser Runde einig, daß der Umgang mit Fremden, aber auch mit ehemals Fremden, die schon jahrzehntelang hier leben, mitentscheidend für die Atmosphäre dieser Stadt sein wird. Was kann man tun, und was tun Sie beide, damit diese Frage auch bei den Regierenden, in diesem Fall den beiden Bürgermeistern, zur Kenntnis genommen wird?

John: Ich habe ein Amt mit vielen Möglichkeiten und einer soliden finanziellen Ausstattung. Wir äußern uns öffentlich zu vielen Fragen, damit im Bewußtsein einer Stadt, die Hauptstadt werden will, auch das kreative Zusammenleben mit Zuwanderern fest verankert ist. Ich glaube, daß alle verantwortlichen Politiker das als etwas Selbstverständliches ansehen. Ich brauche hier nicht mit einer Strichliste herumzurennen, wer sich nun gerade dazu geäußert hat. Außerdem gilt in der Ausländerpolitik - anders als in anderen Politikbereichen - der Satz: Das Richtige tun und nicht darüber reden.

Frau Kahane, reicht Ihnen das, was Herr Schwierzina in seiner Regierungserlärung dazu sagt?

Kahane: Wir haben für ihn dazu eine sehr umfangreiche Zuarbeit geleistet. Er hört leider erst mal nicht auf uns. Ich habe ihm mehrfach gesagt, wie wichtig klare politische Entscheidungen und Weichenstellungen in der Ausländerpolitik in einer Zeit sind, da Berlin Hauptstadt werden will. Wir haben in unserem Konzeptvorschlag für das Ressort einer Ausländerbeauftragten auch noch einmal die Leitlinien für die Ausländer- und Asylpolitik für unseren Teil der Stadt aufgeführt. Aber ich halte programmatische Aussagen von Politikern eben auch für enorm wichtig. Gerade in einem Bereich wie der Ausländer- und Minderheitenpolitik kommt es sehr wohl darauf an, was „Vater Staat“ oder in diesem Fall „Vater Bürgermeister“ dazu sagt, ob sie die Gleichstellung vertreten oder nicht. Daran orientiert sich nun mal ein großer Teil der Bevölkerung.

Zerren Sie denn an Herrn Schwierzina?

Kahane: Ich zerre pausenlos an ihm. Der Mann fällt ja schon fast auseinander.

Wäre Ihnen - und den ImmigrantInnen und Flüchtlingen nicht eher gedient, wenn Frau Kahane Stadrätin und Frau John Senatorin wäre?

John: Und alle anderen Senatsverwaltungen legen dann die Hände in den Schoß. Nein, das widerspräche meiner Auffassung, daß dieses Politikfeld nicht in einer Verwaltung konzentriert sein darf. Wir haben doch schon vierzehn Senatsmitglieder mit hoher Verantwortung für Minderheiten und Integrationspolitik. Damit muß sich zum Beispiel die Jugendsenatorin genauso befassen, wie die Schulsenatorin oder der Bausenator. Ausländerbeauftragte in Ost und West haben wenig Kompetenzen. Das hat Nachteile, aber es hat auch den Vorteil, daß sie keine überschreiten können. Das ist auch unsere Stärke. Ich kann mich mit Vehemenz zu Problemen äußern, die bei einer strengen Eingliederung in eine Ressort gar nicht mehr in meinen Zuständigkeitesbereich fallen würden. Ausländerbeauftragte müssen die Kunst der konstruktiven Einmischung beherrschen und dauernd Bündnisse mit anderen schließen. Als Ressortchefs müßten sie gegen den Rest der Welt kämpfen und meistens auch verlieren.

Dann fragen wir uns aber: Wann kommt endlich in West-Berlin die konzertierte Aktion von Kultur-, Schul- und Jugendsenatorin sowie der Ausländerbeauftragten in Sachen multikultureller Stadtentwicklung? Ich habe nicht den Eindruck, daß hier ein politisches Programm gemeinsam von verschiedenen Senatsverwaltungen durchgezogen wird.

John: Vielleicht haben Sie diesen Eindruck nicht, aber wir machen dauernd gemeinsame Aktionen. Wir arbeiten in fast allen Fragen ressortübergreifend. Das mag vielleicht nicht immer presseöffentlich sein. Aber das ist zur Lösung von Problemen auch nicht notwendig.

Kahane: Ich persönlich habe wenig Lust, mich in Parteipolitik hineinziehen zu lassen. Als Stadträtin müßte ich parteipolitische Koalitionen und Rücksichtnahmen eingehen. Aber ich glaube nicht, daß die Einführung eines Stadtrats- oder Senatorenpostens für Ausländerfragen zu einer unguten Konzentration und damit zur Entlastung anderer Ressorts führen würde. Das Thema bekäme statt dessen eine größere politische Bedeutung, und die anderen Ressorts könnte man trotzdem weiter in die Pflicht nehmen. Gerade bei uns wäre diese politische Gewichtung durch ein Stadtratsamt sehr wichtig, um damit auch ein öffentliches Signal zu setzen.

Das Gespräch führten Andrea Böhm und Thomas Kuppinge