In Berlins Bauwirtschaft boomen die Baustoffpreise

■ Preisniveau weit über Bundesdurchschnitt / DDR-Baukombinate trotz niedriger Löhne nicht konkurrenzfähig / Facharbeiter wandern in den Westen ab

Aus Berlin Claudia Wuttke

Die Bauwirtschaft in Ost und West kann derzeit nochmal tief Luft holen: Weder kam es östlich der Elbe zu dem erwarteten Einbruch westlicher Planierraupen, noch bestätigte sich die Angst der Westberliner Bauunternehmer aufgrund des geringen Lohnniveaus „vom Osten überrannt zu werden“, wie der persönliche Referent des Bausenators im Westteil Berlins, Zipser, formulierte. Wer allerdings den längeren Atem haben wird, ist schon jetzt absehbar.

Zwar, klagt der Sprecher des Landesverbandes der IG Bau Steine Erden, Vouilleme, fänden seit Inkrafttreten der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion verstärkt Facharbeiter aus der DDR in West-Berlin eine Anstellung. Dies ginge aber noch nicht zu Lasten der ortsansässigen Beschäftigten. Trotzdem lag die Zahl der registrierten Arbeitslosen im Bauhauptgewerbe in West-Berlin Ende Juni 1990 bei 6.800 gegenüber 6.774 im Vorjahresmonat. Gleichzeitig stiegen die Beschäftigtenzahlen jedoch um 500 an.

„Die Arbeitskräfte sind aus OstBerlin und dem Umland abgeschöpft worden“, kommentiert der Sprecher des Bausenators, Wöhrle. Eine Untergrabung der Tariflöhne befürchtet er nicht. Schließlich müßten Westunternehmer alle Arbeitskräfte tariflich entlohnen, so daß sie das Lohngefälle - ein Facharbeiter-Ost verdient derzeit im eigenen Land 40 Prozent weniger als sein Kollege im Westen in der Regel kaum gewinnbringend ausnutzen können. So liegt die Vermutung nahe, den Zuschlag bei öffentlichen oder privaten Aufträgen erhielte fortan die Konkurrenz aus der DDR. Dem ist aber nicht so - aus vielerlei Gründen.

Kombinatskolosse nicht konkurrenzfähig

An erster Stelle wird dabei immer wieder die Größe der DDR -Betriebe genannt: Kombinate mit 2.000 bis 3.000 Beschäftigten, seien nach Meinung Witts von der Berliner Fachgemeinschaft Bau, einfach nicht konkurrenzfähig. Selbst wenn die Lohntüte der VEB-ArbeiterInnen am Monatsende nur halb so voll wäre wie die eines Westberliners, so rechnet sich diese Differenz nicht mehr, da die Beschäftigtenzahlen des westlichen Unternehmens bei gleicher Produktivität ein Viertel oder gar ein Fünftel unter DDR-Standard liegen. Will die östliche Bauwirtschaft im freien Spiel der Kräfte überleben, dann muß sie zunächst Entlassungen vornehmen. Wird der „Entflechtungsprozeß“ nicht schnell vollzogen, dann drohe, so Wöhrle, der Bauwirtschaft ein ähnlicher Kollaps, wie ihn der Handel erfahren habe.

Doch die Probleme der Kombinate beschränken sich nicht bloß auf die Eroberung neuer Märkte, sie bangen auch um ihre derzeitigen Anteile. Die DDR war bisher konkurrenzloser Anbieter von Baustoffen wie Kiesel und Sande für die westliche Enklave. Ihre Monopolstellung ließ sie sich gut bezahlen: Die Baustoffpreise lagen in West-Berlin in der Vergangenheit etwa 25 Prozent über dem Bundesdurchschnitt. Statt einer Angleichung an das Bundesniveau stiegen die Baustoffpreise pünktlich zur Einführung der D-Mark -Wirtschaft nochmals um bis zu 40 Prozent an. Die Ursache hierfür, analysiert der Bauexperte im Ostberliner Magistrat, Adam, sei der Subventionsabbau im Verkehrswesen.

Auch der Transport der Baustoffe mit der Reichsbahn kostet heute das 4,3fache. Die Lohnkosten werden, so erfordert es die betriebswirtschaftliche Maxime, auf die Baustoffpreise umgelegt. „In Berlin tobt ein Baustoffkrieg,“ so tobt auch Zipser. Er empfehle den ansässigen Unternehmen einen „Baustoffboykott“ gegenüber der DDR. Die Firmen sollten sich nach neuen Zulieferbetrieben in „Polen, Dänemark oder Schweden umschauen“. Das täten sie bereits, bestätigt die Wenzel Tiefbau KG.

Und wie ist es um die östliche Bauwirtschaft im eigenen Ländle bestellt? Vor allem: katastrophal! Seit dem 1. Juli sei in der DDR ein Auftragseinbruch von 35 Prozent zu verzeichnen, erläutert Dr. Stipelmann vom Hauptverband der deutschen Bauindustrie. Das alte Einnahmesystem sei zusammengebrochen, das neue funktioniere noch nicht.

Die Ausschreibung neuer Bauaufträge der öffentlichen Hand wird bis auf weiteres verschoben. Den Kommunen stehen faktisch noch keine Mittel zur Verfügung, mit denen sie haushalten können. Das leuchtet ein, denn die Länder, deren Zuweisung als größter Posten in den Gemeindeetat eingeht, wurden eben erst gegründet. So kommt es gar nicht erst zu einer Konkurrenzsituation, in der sich die DDR-Unternehmer im eigenen Staat mit den Kontrahenten aus dem Westen messen müßten.

Die unsichere Finanzlage der DDR gebiete den Westberlinern unternehmerische Vorsicht. Die Firma Wenzel KG, die in Angermünde jüngst ein Straßenbauvorhaben abgeschlossen hat, erwartet jedenfalls vorerst keine Expansion in Richtung DDR. Nach den Beobachtungen Zipsers allerdings setzt „Ost jetzt voll auf West“.

Bereits im Vorgriff auf die Währungsunion habe beispielsweise der Bezirk Potsdam Bauaufträge mit Rechnungstellung zum 1.07. in D-Mark an westliche Unternehmer erteilt. Diesen Vorgang mag dort in der Betriebsverwaltungsabteilung Bauwesen aber niemand bestätigen.

Ansonsten spricht auch kaum jemand von dem durch den Osten initiierten Bau-Boom. Schließlich, so unterstreicht Stipelmann, sei der Baumarkt ein regionaler, und die bundesdeutsche Bauwirtschaft verfüge nicht über ausreichend freie Kapazitäten. Die künftige Zusammenarbeit wird sich seiner Meinung nach hauptsächlich auf den Transfer von Technologie, know-how und auch Kapital gegen Unternehmensbeteiligung beschränken.

Beschränken? Was bliebe denn sonst noch? Vorausgesetzt die Anschubfinanzierung klappt, würden die Leute immerhin Arbeit finden, argumentiert Herr Witt von der Fachgemeinschaft Bau in Berlin. „Ob nun in einem VEB Kombinat oder unter richtigem Namen“, das sei ja dann nicht mehr so entscheidend.