Suche nach Vermißten aus Sowjetlagern

■ Innenminister Diestel stellte der Presse UdSSR-Akten über Internierungslager vor

Berlin (taz) - Die beiden deutschen Suchdienste des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) der DDR und der Bundesrepublik sowie das Ostberliner Innenministerium wollen verstärkt nach Personen suchen, die nach 1945 in sowjetischen Internierungslagern auf DDR-Gebiet verschwanden. Wie DRK -Vertreter am Dienstag vor der Presse in Ost-Berlin berichteten, häufen sich Anfragen von Angehörigen.

Innenminister Diestel, der am Wochenende umfangreiches Aktenmaterial über die Lager aus der Sowjetunion mitgebracht hatte, sagte, dieses Kapitel der DDR-Geschichte sei noch bis vor kurzem ein „absolutes Tabu-Thema“ gewesen. Er nannte die Dokumente „erschütternd“. Gleiches gelte für die Sowjetunion, die erst jetzt - dank Perestroika - die Akten freigegeben habe, welche interne Befehle und Einzelheiten über die Internierungslager enthalten. Die Geheimhaltung sei erst vor wenigen Tagen von den sowjetischen Stellen aufgehoben worden.

Den der Presse übergebenen Unterlagen zufolge waren rund 122.000 Deutsche in zehn „Sonderlagern“ inhaftiert (vergleiche taz vom 26.7.90). Die nahezu „preußisch genaue Buchführung“ über die Lager soll nun in Kooperation mit dem Roten Kreuz „zur Aufklärung von Einzelschicksalen“ beitragen. Ob das in Einzelfällen immer möglich sei, bezweifelte Diestel, da die Sowjetunion früher einen Teil der Dokumente vernichtet habe. Insgesamt aber böte das Material „eine solide Grundlage zur Bewältigung der Vergangenheit“.

In den vergangenen Monaten arbeiteten Bürgerbewegungen, Historiker und Medien an der Aufdeckung des Geschehens in den Lagern. Zahlreiche Massengräber wurden gefunden. Nicht wenige DDR-BürgerInnen fordern juristische und moralische Rehabilitierung der Gefangenen, die zum Teil infolge einer „Denunziation und weitergehender unmoralischer Anzeigen“ (Diestel) inhaftiert wurden. Der Minister wollte „nicht ausschließen, daß auch Leute ohne braune Vergangenheit in die Lager gekommen“ seien. Einzelheiten über Schuldvorwürfe der als Kriegsverbrecher Internierten gehen laut Diestel nicht aus den Akten hervor.

Sie enthalten in diesem Zusammenhang lediglich Berufsbezeichnungen. Über die Frage der Rehabilitierung, so Diestel, habe er mit dem sowjetischen Innenminister Vadin Bakatin - „ein moderner Politiker mit dem gleichen rechtsstaatlichen Bewußtsein wie wir“ - noch nicht abschließend geredet.

peb