In jedem Fall Hoden von vorn

■ „Boys of Summers Past“ von Keith Ingermann in der Galerie Janssen

Eigentlich bin ich ja fachfremd, wenn es um schwule nackte Männer geht; aber Mann ist Mann, und Frau ist auch noch da, und so wollen wir's mal versuchen. Da sitzt der nackte Knabe von sechzehn Jahren auf mit Trotteln verzierten bunten Matratzen, kostet 17.400 DM, pliert geradeaus in die Kamera dieser photorealistischen Naivmalerei, die eben noch die schwarzen Umrisse hat, und der Pars pro toto ist formal rührend akzentuiert vom angewinkelten Bein, der Bauchlinie mit schwarzer Haarnaht und all den süßen trotteligen Kuschelkissen. Da möchte Mann doch gleich ... Aber was weiß ich? Daneben ist einer liegend in die Kissen gegossen, er hat greifbar-kräftige Körperabteilungen, an vielen Stellen schwarze Haare und eine nur vorläufige Passivität. Ein anderer sitzt in denkerisch-versonnener Pose mit Frontaleinblick. Allesamt genitale Expositionen an warmen Tagen. Brünette Südseejünglinge, mal mit Löwe, mal mit drei Affen, mal vor dem Urwald, wo ich doch so ganz auf blau und blondäugig spezialisiert bin, mir vor lauter Dusseligkeit immer so schmale Hemden ausgesucht habe - tja, zur Strafe stolpere ich nun über Stiernacken, Neandertalerblick.

Keith Ingermann hat anatomisch differenzierte Studien an 14 - bis 21jährigen getrieben und diese in wuchtige, mit Gold verzierte Holzrahmen gesteckt: schwarz umgrenzte Figuren, aufgestützt liegend, sitzend, stehend, im Dreiviertelprofil, in der Frontale, schräg von hinten, so daß man/frau in jedem Fall Schamhaar, Penis, Hoden von vorne oder von hinten zu sehen bekommt. Ob es Beschneidungen gegeben hatte, kann ich nicht so recht beurteilen, ich glaube aber ja. Die Gesichtsausdrücke der Jünglinge sind in den meisten Fällen geistesabwesend-meschugge; sie wirken insgesamt wie Vorbildentwürfe einer noch zu fertigenden Kasperlepuppe vom Prototyp eitel-passiver Schwulnarzißt. Boys to take.

Lebenskontext haben diese Sexobjekte nämlich überhaupt keinen, meistens betreiben sie ihre Pose vor schlichtem weißem Hintergrund, einmal sitzt ein Turbanboy auf einer blau-grünen Majolikakacheltreppe, hat sich den Penis aufs Bein gelegt; in einem runden Bild hat ein Sitzender ein pinkfarbenes Handtuch und selbst einen Hut auf ... Oder zwei Stehende tragen Transparentumhänge unten herum und Papageien auf den Schultern. Eine etwas symbolträchtigere Variante ist die Kombination Turbanboy mit Löwe, da hat der Südseeschönling quasi sein Alter ego abgetreten an den König der Steppe, und dieser schaut majestätisch-wissend -autoritär, während das liebe Kind vom Menschengeschlecht nur zu träumen braucht.

Ja, auch der Dschungelboy hat Schamhaar und den koketten Schmollmundblick, Mogli jedenfalls war's nicht.

Die Zeichnungen von Keith Ingermann zeigen dieselben Posen

-ohne Farbe; es sind auch mal zwei oder drei Jungen auf einem Bild, gelegentlich mit einer zarten Berührung, etwa an der Schulter; und sie kosten allesamt ein bißchen weniger als bunt ...

Ingermann hat eine wunderbare thematische Tradition im Rücken, namentlich einen gewissen Herrn Baron Wilhelm von Gloeden, der als Photograph zur Jahrhundertwede zum Beispiel ein Buch Akte in Arkadien zusammenstellte (heute: Die bibliophilen Taschenbücher). Er kam siebzig Jahre vor David Hamilton und stellte 14- bis 17jährige nackte Jungs vor Steinmauern, gab ihnen Blüten ins Haar und träumerisch abgewandte Blicke. Ihr passives „griechisches“ Posieren hatten nicht nur den Zweck, anatomische Betrachtung möglich zu machen, und so geht wohl das Leben ...

Die Griechen jedenfalls waren präziser in der Aktion und gaben ihrer Vasenmalerei Bildunterschriften wie zum Beispiel Ein Mann befingert den Penis eines Knaben (Homosexualität in der griechischen Antike von K.J. Dover). Das griechische Schönheitsideal waren „starke Gesäßbacken“, die die Jungs von Ingermann auch alle haben, jedenfalls soweit ersichtlich; außerdem waren die Griechen sehr differenziert darin, wie dünn, lang, kurz so ein Penis zu sein habe, auch das soll auf den Vasen, eben auch je nach Alter des betreffenden Besitzers, zu erkennen sein. In der Photographie des Baron von Gloeden ließ sich ja nicht viel mogeln, Ingermann jedenfalls verzichtet auf Unterschiede, bei ihm sind sie alle eher groß als klein und schön deutlich ausgezeichnet ...

Wo die Griechen noch moralisch werteten in bezug auf das Verhältnis Knabe-Mann - ein Prostituierter als Knabe war natürlich weniger wert als ein erotischer Gespiele, der dafür kein Bargeld nahm -, fällt dies Problem für die abbildenden Künstler weg. Sie haben „Modelle„; auch in der 'BZ‘ gibt es „Modelle“, und da dürfen wir nur noch raten. Ingermann jedenfalls nennt sie alle liebevoll beim Namen: Ali, Fabrizio, Maharenda, Roberto, Günther, Dominique, Georgio und Mario und viele mehr, und alle sehen sich so ähnlich ...

Keith Ingermann zu guter Letzt lebt in Monte Carlo. Er hat ausgedehnte Weltreisen hinter sich und auch dankbare Erinnerungen an einen Rolls-Royce, der ihm in einem indischen Palast zur Verfügung stand, und nun ist er glücklich über Ausstellungen unter der Schirmherrschaft von Prinz Rainer und bemalte auch das Eingangsportal des Garibaldi-Schlosses. Es geht ihm gut. Den Berlinern geht es auch gut, aber sie sehen sich die Malerei von Keith Ingermann eigentlich wenig an.

Sophia Ferndinand

Noch bis 1.9. in der Galerei Janssen, Pariser Straße 45, Berlin 15; Montag bis Freitag von 11 bis 18 Uhr 30, Sonnabend bis 14 Uhr.