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Länderklausel: Zweifelhafte Gleichheit

■ Die sogenannte 49er Regelung hilft den Kleinen, aber schafft unterschiedliche Bedingungen

Aus Bonn Ferdos Forudastan

In der Kontroverse um das Wahlrecht haben sich die Parteien hüben und drüben geeinigt - zumindest auf ein einheitliches Wahlrecht in einem gemeinsamen Wahlgebiet. Hinter der Formel vom einheitlichen Wahlrecht im gemeinsamen Wahlgebiet aber steckt - nichts. Oder jedenfalls nichts, was den leidigen Streit um die Modalitäten der ersten gesamtdeutschen Wahl schlichten könnte. Die zerstrittenen Politiker haben nur beschlossen, daß es ein Wahlgesetz für BRD und DDR zusammen geben wird - statt zwei getrennten. Ob die DDR vor oder nach der Wahl beitritt und welche Sperrklausel gilt In diesen beiden, einzig wesentlichen, Fragen haben sich die Kontrahenten noch immer nicht angenähert.

Im Gegenteil. „Keine Lösung“, so beschied am Freitag knapp und bündig Wolfgang Thierse, Vorsitzender der SPD-Ost den neuen Vorschlag von CDU/CSU/DSU bezüglich einer Sperrklausel. Die Konservativen sind nun, mehr oder weniger offen, für die sogenannte 49er Regelung. Würden sie sich durchsetzen, gälte - ähnlich wie bei den ersten Wahlen 1949

-am 2. Dezember die Fünfprozentklausel nur bezogen auf das jeweilige der dann 16 Bundesländer.

„Halten Sie das wirklich für gerecht? Ich nicht“, so kommentierte der SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel dieses Modell. Was wohl hinter seinem Unbehagen steckt: Mit Hilfe dieser länderbezogenen Sperrklausel käme die - in Berlin sehr starke PDS - sicher ins gesamtdeutsche Parlament; die Bürgerrechtsbewegung mit ihrem recht starken Rückhalt in Mecklenburg hätte eine reelle Chance; die Grünen würden besser abschneiden als mit der von der SPD geforderten bundeseinheitlichen Fünfprozentklausel. Überdies kämen die in Sachsen beliebte DSU und die in Bayern sehr erfolgreichen Republikaner ins Parlament. Die Bauchschmerzen des Hans -Jochen Vogel und seiner Partei mögen bei der Diskussion dieses „49er-Modells“ keine Rolle spielen. Bedenkenswerte politische und verfassungsrechtliche Probleme birgt es allerdings dennoch. Ein Beispiel: Bei der ersten gesamtdeutschen Wahl erhält eine Partei in Bremen mit ungefähr 22.000 Stimmen knapp über fünf Prozent. Dies reicht - anders als manche Gegner der länderbezogenen Sperrklausel behaupten - noch nicht für den Sprung ins Parlament, weil dort nur eine beschränkte Zahl von Mandaten zur Verfügung steht. In den restlichen 15 Bundesländern müßten sich mindestens noch 60.000 WählerInnen für die Partei entscheiden: Erst eine Gesamtsumme von etwa 80.000 Stimmen reicht voraussichtlich zum Einzug ins Parlament. Demgegenüber müßten für die gleiche Partei in Nordrhein -Westfalen fast 20 mal soviele Menschen wie in Bremen (also rund 400.000) votieren, um sie über die länderbezogene Fünfprozenthürde zu hieven. Eine Partei, die überhaupt keinen regionalen Schwerpunkt hätte, sprich nicht in einem Land die fünf Prozent schafft, bundesweit aber auf 4,9 Prozent kommt, bliebe draußen.

„Die Länderklausel verletzt den Gleichheitsgrundsatz“, so wetterte gestern Wolfgang Thierse. In der Tat würde diese Sperrklausel den in Artikel38 Grundgesetz festgeschriebene Grundsatz der Gleichheit der Wahl auf jeden Fall berühren. Verfassungsrechtlich unhaltbar ist sie allerdings nur, wenn sie diesen Grundatz auch verletzt. Und dies wiederum, ist nur dann der Fall, wenn keine höherrangige Verfassungsbestimmung, als es der Gleichheitsgrundsatz ist, die Ungleichbehandlung gebietet. Mit welchem Argument eine eventuelle Klage abgewiesen werden kann, prüfen die Politiker noch. Gehandelt wird das „Gebot der Einheit“, festgelegt in der Präambel des Grundgesetzes. Zur Legitimierung herangezogen wird aber auch „der föderale Aufbau der Bundesrepublik“ - sprich die Länder sollten via Länderklausel stärker berücksichtigt werden. Warum dies allerdings bei einer Bundestagswahl geschehen muß, hat bisher kein Vetreter dieser Begründung erläutert.

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