„Die wollen jetzt nur noch Männer“

■ Immer mehr Frauen in der DDR werden erwerbslos / Besonders hart trifft es die älteren, die alleinerziehenden und die Frauen auf dem Land

Von Ulrike Helwerth

Berlin (taz) - Die Wurzener Kreistagsabgeordnete Katharina Kämpfe startete im Juni ihre erste öffentliche Aktion gegen die Arbeitslosigkeit: Über die Lokalzeitung lud sie zu einem Treffen in den Kreistag, um „ohne Tabu“ über das wachsende Problem zu sprechen. Es kamen über 200 Betroffene, die meisten Frauen. Inzwischen hat sich in Wurzen (bei Leipzig) die erste Arbeitslosen -Selbsthilfegruppe gegründet.

Die Initiative der Kreistagsabgeordneten kam gut an bei den Teilnehmerinnen, die sich vergangene Woche bei der Gleichstellungsbeauftragten des Ostberliner Magistrats trafen. Thema der Arbeitsgruppe: Was tun gegen die wachsende Frauenerwerbslosigkeit? Praktische Aktionen gegen die Resignation sind da wie Strohhalme, an die frau sich klammert angesichts der Woge, die die Arbeitsplätze in der DDR wegzuspülen droht.

Die Krise hat die Frauen besonders hart getroffen: Während im April und Mai noch deutlich mehr Männer als Frauen arbeitslos wurden, zeigen die jüngsten Zahlen der „Zentralen Arbeitsverwaltung der DDR“ (Stand Juni 1990), daß der Anteil der Frauen „erheblich angestiegen“ ist. Von 42% Ende Mai auf 49% Ende Juni, bei anhaltender Tendenz. Noch sind die Statistiken nur nach Regionen, nicht nach Branchen aufgeschlüsselt. Nicht nur im Arbeitsministerium wird damit gerechnet, daß die „traditionellen Frauenindustrien“ wie Textil, Leder, Nahrung weitgehend zusammenbrechen werden. Bereits Ende April erhielt der Arbeitslosenverband einen Hilferuf vom Generaldirektor des VEB Kombinats Baumwolle: Fürs zweite Halbjahr 1990 hätte die Baumwollindustrie so gut wie keine Aufträge mehr. 64.000 Beschäftigten, vorwiegend Frauen, drohe die Arbeitslosigkeit.

In anderen Frauenbereichen wie Dienstleistungen, Handel, Banken, Versicherungen sieht Gunda Maintz, persönliche Referentin von Arbeitsministerin Hildebrandt, die Arbeitsplätze nicht so stark gefährdet. Denn in diesen Branchen bestünde ein großer Nachholbedarf. Doch es zeichnet sich bereits ab, daß nun Männer verstärkt in diese einst unattraktiven Beschäftigungen drängen. Befürchtungen, die auch Ute Kretzschmar, Mitarbeiterin in der Gleichstellungsstelle im Ostberliner Magistrat, bestätigt. In Ost-Berlin Arbeitsämtern stellte sie fest, „daß Frauen praktisch nicht vermittelbar sind“. Dort, wo früher vorwiegend Frauen gesucht wurden, „wollen die jetzt nur noch Männer“.

Der Anteil der weiblichen Arbeitssuchenden betrug im Juni 58,2% und damit fast 10% mehr als im Vormonat. Gunda Maintz hält diese Zahlen „auch für positiv“, denn sie zeigten, daß Frauen „aktiv an ihrem Recht auf Arbeit festhalten“. Die hohe Frauenerwerbsquote - rund 80% der Frauen im erwerbsfähigen Alter waren in der DDR bisher berufstätig werde sich nicht halten lassen.

Frauen über 45: Stiefkinder der Nation

Besonders hart trifft es dabei Frauen um 55, also fünf Jahre vor dem Rentenalter. Ende Juni waren in dieser Altersgruppe 4.840 Frauen, aber nur 1.900 Männer arbeitslos gemeldet. „Frauen ab 45 Jahren haben auf dem Arbeitsmarkt überhaupt keine Chancen“, sagt Marie-Anetta Beyer, Berliner Sprecherin des Arbeitslosenverbandes. Früher hätten Betriebe ihre RentnerInnen schon mal gebeten: „Bleib doch ein bißchen länger.“ Heute aber „wollen die nur noch Jung-Dynamische bis 30“. Die Frauen über 45 fühlten sich als „Stiefkinder der Nation“, weil an ihnen alle sozialpolitischen Maßnahmen vorbeigegangen seien. Denn als sie jung und ihre Kinder klein waren, gab es noch kein Babyjahr, keinen Ehekredit, keine kostenlose Pille. Viele dieser Frauen kündigten jetzt selbst oder ließen sich „freiwillig“ in den Vorruhestand schicken, erzählt Gisela Ehrhardt vom Institut für Soziologie und Sozialpolitik an der Akademie der Wissenschaften. „Im Moment mag die Arbeitslosigkeit finanziell günstiger sein als der Vorruhestand, was sich langfristig negativ auf die Rente auswirkt“, warnt die Professorin.

Ende Juni waren 27.493 Jugendliche bis 25 Jahre arbeitlos. Immer mehr Lehrstellen werden abgebaut, vor allem in den traditionell weiblichen Ausbildungsberufen wie zum Beispiel Sekretärin. Viele Azubis werden nach der Lehre nicht übernommen. Wie jene 17jährige, die nach ihrer Ausbildung in einer LPG gefeuert wurde. Ein doppelter Verstoß gegen das Arbeitsgesetzbuch. Die junge Frau war schwanger und genoß daher einen besonderen Kündigungsschutz. Ihre Mutter wandte sich an den Arbeitslosenverband. Das Arbeitsgericht wurde bemüht, die Tochter wieder eingestellt - für die Dauer ihres Kündigungsschutzes, genauer: für ein halbes Jahr.

Leicht verringert hat sich laut Statistik der Anteil der Alleinerziehenden an den Arbeitslosen. Ende Juni waren es 5%, davon über 95% Frauen. Die Gleichstellungsbeauftragten im ganzen Land machen dennoch die Erfahrung, daß Alleinerziehende und Mütter mit Kleinkindern besonders schlecht wegkommen. Sabine Schenk vom Institut für Soziologie an der Humboldt-Universität beschreibt die heutige Einstellungspolitik der Betriebe so: „Bloß keine Frauen, und schon gar keine mit kleinen Kindern.“ Marie -Anetta Beyer hat aber festgestellt, daß gerade viele Frauen mit kleinen Kindern unter ihrer Arbeitslosigkeit zunächst gar nicht so leiden, eher sogar aufatmen, weil ihnen zu Hause genug Arbeit bleibt. Aufgefallen ist ihr auch, daß Frauen leichter über ihre Arbeitslosigkeit sprechen als Männer und sie auch nicht als einen so großen persönlichen Makel empfinden. „Wer Arbeit will, der findet sie auch.“ Leider sei dieser Trugschluß über die kapitalistische Gesellschaft trotz oder gerade wegen der langjährigen offiziellen Propaganda auch in den Köpfen der DDR -Bevölkerung, erklärt die Sprecherin vom Arbeitslosenverband.

Hoffnungen auf

den Westen

Obwohl Teilzeitarbeit in der DDR-Wirtschaft in den letzten Jahren als „volkswirtschaftliche Verlustzeit“ nicht gern gesehen wurde, waren doch rund 28% der erwerbstätigen Frauen weniger als die gesetzlich vorgeschriebene Wochenstundenzahl beschäftigt. Als Arbeitslose sind sie nun angeschmiert. Viele bekommen gerade mal das Mindestarbeitslosengeld von 495 DM, manche nicht einmal das. Wie jene Alleinerziehende, die mit zwei kleinen Kindern, eines davon schwerstbehindert, eine Teilzeitbeschäftigung in Heimarbeit erhielt. Monatslohn 500 Mark. Zum 31. Juli wurde ihr gekündigt, jetzt bekommt sie nur 320 DM Unterstützung. Aber auch viele einst vollbeschäftigte Frauen kommen nicht über die 495 DM Arbeitslosengeld. Zum Beispiel 70% aller Industriearbeiterinnen: Ihr Bruttoverdienst lag nämlich unter 900 Mark.

Mies dran sind auch die Frauen auf dem Land. Katharina Kämpfe erzählt, daß sich die LPGs in ihrem Landkreis in Auflösung befinden. Das Land geht an die alten Besitzer zurück, die Spekulanten stehen schon bei Fuß. Viele „Feldfrauen“ sind bereits arbeitlos oder werden in Kurzarbeit geschickt. Auf ihren Eiern oder Kaninchen, bisher ein erkleckliches Nebeneinkommen, bleiben sie jetzt sitzen. „Für diese Frauen gibt es keine Beschäftigungsalternative, schon deshalb, weil sie kaum eine andere Ausbildung haben“, so die Kreistagsabgeordnete.

„Wir merken jetzt, daß Kapitalismus und Gleichberechtigung sich ausschließen“, sagt Brundhild Friedel von der Gleichstellungsstelle der Stadt Dresden. Herta Kuhrig, langjährige Vorsitzende des „Wissenschaftlichen Rats der Frau“ an der Akademie der Wissenschaften und einst stramme Propagandistin der SED-Frauenpolitik, ist da anderer Meinung. Jahrzehntelang habe sie genau das nachweisen müssen und dies „eine ganze Zeit auch mit Überzeugung getan“. Doch die Linke und die Frauenbewegung in der BRD hätten durchaus ein paar Erfolge vorzuweisen. Resignation sei also trotz harter Bedingungen fehl am Platze. Merkwürdig hoffnungsvoll wird auf diesem Arbeitstreffen der Gleichstellungsbeauftragten auf die BRD geblickt. Die Erwartungen richten sich auf das Arbeitsförderungsgesetz, auf ABM-Stellen, auf Umschulungs- und Weiterbildungsprogramme freier Träger, auf Nachbarschaftsvereine und Selbsthilfeprojekte. Daß dies alles nur kosmetische Pflästerchen für die Massenarbeitslosigkeit sind, wissen die Frauen zwar, aber was sonst sollen sie den Besucherinnen raten, die ihnen bei den Sprechstunden die Büros einrennen und fragen: Was kann ich tun, ich bin arbeitslos? Marina Burger, Gleichstellungsbeauftragte aus Chemnitz, hat sich zum Beispiel dafür stark gemacht, daß im dortigen Arbeitsamt ein Kinderzimmer eingerichtet wird. Die Idee dafür hat sie von einem Besuch in der BRD mitgebracht, zusammen mit dem Eindruck, daß es dort in allen Behörden solche Einrichtungen gibt. Damit „die Muttis“ die stundenlange Warterei „in aller Ruhe“ überstehen können.