Vom Lichtspielwesen

■ DEFA-Souvenirs: Geschichte und Geschichten aus der Babelsberger Traumfabrik

Eine Serie von Christoph Busch, Teil 3

Seit Anfang Juli ist die DEFA eine GmbH. Sie darf in der nächsten Saison noch sechs waschechte DDR-Filme produzieren, aber das Rezept für die Zukunft lautet: Auslandsaufträge. Als erster kam Loriot. Er dreht in Babelsberg „Papa ante portas“. Dennoch warten viele DDR-Filmschaffende zur Zeit auf ihre Entlassungspapiere: Die Zukunft der DEFA ist undurchsichtig. Eine Ursache sind Nachwirkungen der Vergangenheit: Abgestufte Privilegien, Konflikte zwischen „Künstlern“ und Belegschaft, zwischen ästhetischem Anspruch und Schrebergartenpflichterfüllung. Das DDR-Filmwesen war eingeklemmt zwischen Zensur und der Kunst der indirekten Rede einerseits und den soliden Arbeitsbedingungen andererseits. Christoph Busch hat für seine fünfteilige Serie (jeweils donnerstags) in den Annalen gekramt, Experten konsultiert und mit Mitarbeitern gesprochen. Heute: der böse Westen, die DEFA auf dem Dorf und der erste Liebesfilm.

„Er stand schon um halb elf vor dem Tageskino 'Luna‘ in der Potsdamer Straße in Westberlin, obwohl die erste Vorstellung erst um elf beginnt. Er mochte zwölf Jahre alt sein... Sohn des weißen Teufels, mindestens drei Tote, das besagten die Bilder, die der Junge mit zusammengekniffenen Augen ansah.“ Diese westliche Kinderschänderei beobachtet der östliche 'Filmspiegel‘ 1954. Über die schrecklichen Folgen informiert uns 1970 Sozialistisches Filmbild und Menschenkunst am Beispiel Zur Sache Schätzchen. Martin, der Schwabinger „Gammler“ und Filmheld, „hat kein Verhältnis zur Arbeit und zeichnet sich demzufolge durch eine Interessenarmut aus, die der Film noch kultiviert“. So sind sie, die Westfilme: Sie verführen die Jugend und „hindern den braven Bundesbürger, das teuflische Spiel der Bonner Herren zu durchschauen und sollen ihn reif machen zur 'Verteidigung‘ der abendländischen 'Kultur'“.

Das Buch Lebendige Leinwand wußte allerdings 1958 zu berichten, daß im Westfilm nicht alles tote Hose ist: „Die Ehe des Dr.med.Dannewitz (1956, Regie: Rabenalt), ein bewegender Film, der gegen die unwürdige Bezahlung der Ärzte in der Bundesrepublik portestiert und zeigt, wie ein junger Arzt aus einer Notlage heraus an den Rand des Verbrechens gerät.“ Solche Ausnahmen von der Regel kamen zustande, weil „die CDU-Diktatur noch nicht so weit gefestigt war, um das demokratische Mäntelchen fallen zu lassen“.

So böse der Westen ist, so gut ist der Osten - organisiert: 1955 sollen etwa 5.400 „Filmaktive“ gemeinsam mit den Kreislichtspielbetrieben (KLB) dafür sorgen, daß die „Heranführung der Bevölkerung“ an die richtigen Filme klappt. „Unser Kampfziel im Bezirk Neubrandenburg ist ein Durchschnittsbesuch von 35 Prozent der Gesamtbevölkerung“, verpflichtet sich 1960 die Abteilung Kultur beim Rat des Bezirks Neubrandenburg und trägt den Film Ein Menschenschicksal, wenn's sein muß, sogar im Rucksack über das Land, als der Filmwagen wegen Schneeverwehungen auf der Landstraße nicht vorwärts kommt. „Die werktätigen Bauern brauchen hinter der Stadt nicht mehr zurückzustehen“, denn der Film findet sie auch im letzten Dorf.

Manchmal aber zu spät. Dann läuft die Wochenschau, die zum verstärkten Bemühen in der Heuernte aufruft, „wenn die Kühe bereits die Hälfte davon aufgefressen haben“, klagt der 'Sonntag‘. Das 'Bauernblatt‘ ist empört, was da, egal wann, seinen Weg aufs Land findet: „So ist zum Beispiel Die rote Lola nicht dazu angetan, einer werktätigen Einzelbäuerin Antwort auf die Fragen ihres Lebens zu geben oder die Landjugend in unserem Sinne zu erziehen.“ Solche Pannen werden durch Fantasie ausgeglichen. Schlägt da doch ein gewitzter Bürger auf einem kulturpolitischen Forum vor, die schlechten Filme in dem Kino mit den guten Sitzen laufen zu lassen und umgekehrt. Auch der Typ Servicekino wird probiert, und der 'Filmkurier‘ schwärmt schon 1960: Im Kino -Tanz-Cafe laufen die Filme „bei geringem Saallicht, damit die Bedienung mit Kaffee, Wein, Sekt und Bier sowie sonstigen Näschereien“ erfolgen kann. An drei Abenden in der Woche „spielen die Klubhaus-Rhythmiker ab 19 Uhr zum Tanz. In den Tanzpausen werden ebenfalls Kurzfilme gezeigt...“

Die charmante Pädagogik hindert die DDR-BürgerInnen nicht, scharenweise Westkinos und -filme zu besuchen. Monatlich verschwinden beispielsweise 1957 etwa 800.000 „Ostbewohner“ im Dunkel Westberliner Kinos. Als 1956 Bonjour Katrin mit Frau Valente in Halle läuft, stehen die ersten Kunden der Karten wegen schon um 4.30 Uhr vor der „Schauburg“. Von Prügeleien um Karten und Melancholie bei Kartenlosigkeit berichten die Zeitungen: „Daß dabei sogar verlorengegangene Frauenhandschuhe durch die Luft flogen, sei nur am Rande vermerkt.“

„Sollte es uns nicht zu denken geben, daß wir kaum 'Publikums-Lieblinge‘, kaum Stars haben (wobei Stars ohne 'Unwesen‘, ohne übertriebenen 'Kult‘ keineswegs etwas Verwerfliches sind, sondern dem Bedürfnis des Publikums nach direktem Kontakt mit Kunst und Künstlern, dem Bedürfnis, die Vollbringer künstlerischer Leistungen zu verehren, entgegenkommt)?“ fragt Karl-Eduard von Schnitzler 1956 frei heraus.

Eine Antwort versucht Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase fünf Jahre später auf dem Schriftstellerkongreß: Weil ein primitiv soziologisches Verfahren bei der Darstellung des Menschen angewandt werde, „fehlen die Menschen, die Leidenschaften fehlen, die Konflikte“. So werden Fertigmenschen produziert, die „statisch und entwicklungslos, daher uninteressant, daber nicht identifizierbar“ sind, pflichtet Autor Günter Kunert bei und vergleicht den Kinobesuch mit dem „von Tante Emma und Onkel Karl, die immer dasselbe reden und tun“. Dabei habe der Zuschauer beim Besuch des Kinos an der Ecke „eigentlich was anderes erwartet“, schallt es sogar aus dem 'Neuen Deutschland‘: Der Zuschauer „weiß, wie hoch der Schornstein ist - er selbst hat ihn erbaut. Aber wie tief ein menschliches Herz sein kann“, das wolle er im Film erleben.

Liebende trifft die sozialistische Methode und die Abwesenheit einer psychologischen Dimension besonders hart. 14 Tage vor dem 17.Juni 1953 verkündet 'Neues Deutschland‘ die Richtlinien der Verkehrspolitik: „Die Liebeskonflikte der sozialistischen Gesellschaft entstehen im Wachstumsprozeß der Menschen, wenn zum Beispiel der eine nicht Schritt hält oder der andere zu rasch vorauseilt... Zugleich erkennt man, welche Perspektive die Liebe im Sozialismus hat. Allein aus dem Wettlauf zwischen zwei Liebenden... entstehen völlig neue Gefühle,... die zwei Menschen tief miteinander verbinden und sie zugleich mit der Gesellschaft verknüpfen“ denn „das kleine und das große Glück, die wohnen als Brüder beisammen, und den Himmel, den holen wir uns herab, doch zusammen, zusammen, zusammen!“ reimt konsequent und mit dem eigenen Titel Das kleine und das große Glück, den die DEFA als ihren „ersten Liebesfilm“ verkauft.

Typisch für solche parteiamtlich gezimmerten Beziehungskisten ist die 54er Sommerliebe: „Eine junge Wintersportlerin verliebt sich an der See in einen Mann, der erst eine neue Einstellung zum Leben und zur Arbeit gewinnen muß, ehe er mit ihr glücklich werden kann. Unter den Bedingungen unserer gesellschaftlichen Ordnung entwickeln sich in der Liebe auch bei Robbi notwendig die edlen und guten Eigenschaften, und nach hartem Kampf gelingt ihm der Sprung in die neue Qualität, so daß die Liebenden zueinander finden.“

Kurt Maetzig kann sich schon '53 im 'Neuen Deutschland‘ nicht vorstellen, daß die Zuschauer derart seltsames Liebesspiel wünschen: „Sie meinen nicht einen Film 'über das Leben im Dorf‘, in den auch eine Liebesgeschichte hineinspielt, sie meinen nicht die Geschichte einer Aktivistenbrigade, bei deren glücklichem Abschluß auch ein junges Paar sich findet, nein, sie meinen die Liebe selbst, so stark und gewaltig wie die Liebe von Romeo und Julia...“ „Dürfen die das denn?“ läßt Christiane Mückenberger 1964 die Überschrift ihres Artikels zu „Problemen des Komischen in der DEFA-Produktion“ fragen. Probleme gibt's offensichtlich mit dem Humor in Karbid und Sauerampfer, dem damals aktuellen Film des Regisseurs Frank Beyer, der später die Spur der Steine hinterläßt. Die Filmwissenschaftlerin bemüht Marx und zitiert seine Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie: „Die Geschichte ist gründlich und macht viele Phasen durch, wenn sie eine alte Gestalt zu Grabe trägt. Die letzte Phase einer weltgeschichtlichen Gestalt ist die Komödie. Warum dieser Gang der Geschichte? Damit die Menschheit heiter von ihrer Vergangenheit scheide.“

Nächsten Donnerstag: Von Eiern, Potemkinschen Hirschen und Kohlpflanzen - Anekdoten aus der Traumfabrik