Pornographie & Proletariat

■ Forum Böttcherstraße zeigt Fotos von Alexander Rodtschenko zusammen mit Uralt-Pornos aus der Sammlung Scheid

Nachts, da sind dann bestimmt Posten aufgestellt im Forum Böttcherstraße, daß die zwei Abteilungen Fotografien nicht übereinander herfallen und sich zerfetzen nach allen Regeln des Klassenkampfs. Im einen Raum daguerrotypische Dekadenz -Pornos aus der Mitte des letzten Jahrhunderts, im anderen hingegen Alexander Rodtschenkos Arbeiterkunst: es gibt solche und solche Gegensätze. Dieser hier ist der kreischendste Antagonismus. Auf den ersten Blick jedenfalls. Der zweite ist womöglich schon ziemlich verblüffend. Seit heute also sind, zur Doppelausstellung zusammengesperrt, Pornographie und Proletariat zu beobachten, wie sie einander unwiderstehlich abstoßen.

Alexander Rodtschenko (1891-1956) hat zu Zeiten fotografiert, wo man sich unter Avantgarde sozusagen Sowjetmacht plus Elektrifizierung plus formale Unerschrockenheit vorzustellen hatte. Er zeigt Menschen, und es sind eher Kompositionen aus Schwarz und Weiß und Energie. Wenn welche stehen, werden sie gleich weitergehen. Weil: Ihre Umgebung ist erregend aufgeladen mit Bedeutung und Möglichkeiten. Wir sehen die Leute schlafen, essen, arbeiten, aus neu erprobten Blickwinkeln, von seitwärts oben, von hinten schräg und von unten, vor allem von unten: das ist ein Blick, der gleichzeitigt huldigt und schon abhebt in unbestimmte Lüfte; wir sehen die Menschen nicht frontal und gültig, sondern gerade im Augenblick, wie in Standbildern von Prozessen. Zum Erforschen: das Gesicht einer Sportlerin, ganz

nah, vom harten Sonnenlicht wie analysiert. Was die Sinne aufraffen, ist immer schon auf Gedankeneis gekühlt. In die meisten Bilder fällt ein entschiedenes, die Welt zerlegendes Licht, als Synonym einer denkbaren Erkenntnis.

Wir sehen aber auch serielle Muster aus Werkstücken, Starkstrommasten und Kurbelwellen, daneben Turner und Gymnastin

nen, auch zu Ornamenten angerichtet. Da ist es, das Kollektiv als Schöne Maschine, die, wie jede Höhere Gewalt, aus gleichen Teilen Traum und Unterwerfung diese sogenannte Zukunft herstellt.

Und dann also, sagen wir mal: das Gegenteil. Reihenweise Frauenkörper, von halbseidenem Licht beschummert. Zahllose Schleier sind den Betrachterau

gen vorausgeeilt und umfließen nunmehr geräkelte Posituren, die meist der romantischen Aktmalerei nachgestellt sind. Das Forum Böttcherstraße hat die Ausstellung der alten Daguerrotypien (das sind silberbeschichtete Kupferplatten) als Peepshow insze

niert. Wir sehen die Bilder im Dunkeln durch Schlitze hindurch, weil ein anderer Blick sowieso nicht möglich ist: Die Bilder erzeugen aus uns, jedenfalls sofern wir Männer sind, Voyeure der peinlichen Sorte. Solche nämlich, die sich nicht mal mehr Er

oberungen versprechen dürfen, weil sie beim besten Willen nicht wüßten, was. Alles auf den Bildern ist vollständig domestiziert, und wenn wir dann, mit militärischem Lauerblick, die fremden Lande abweiden, sehen wir schnell: diese Frauen haben, von gehäkelten Deckchen abgesehen, nichts zu verlieren und erst recht nichts zu gewinnen. Sie sind nur isolierte Zeichen für unterworfenes Gelände.Man hält sie sich, mit allerhand künstlerischem Dekor gerahmt, vom Leibe. Diese ersten kommerziellen Fotos waren, wie es heißt, ein einträgliches Geschäft.

Hier ist der Drang zum Ornamentalen dümmlich und drängt einen mit Trostverprechen nach rückwärts in die Schläfrigkeit; Rodtschenko hat aus einem ähnlichen Prinzip Bilder von genialer Dynamik gemacht. Beide Verfahren haben, unter umgekehrten Vorzeichen, aber beide mit nicht ganz feinen Methoden, den menschlichen Körper im ästhetischen Sinn systematisch ausgebeutet und einen Mehrwert an allgemeiner Bedeutung einkassiert. Und wir wissen (absurderweise in beiden entgegengesetzen Fällen) nicht mehr, wohin damit. Manfred Dworscha