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■ Der „Dead-Chickens„-Klan stellt sich erstmals mit einer Werkschau vor

Ab 1983 gab es eine weitere unter den Berliner Combos: die Dead Chickens. Wie so viele andere auch erlebte sie ihren Niedergang, bis nur noch zwei Mann übrig waren: Kai und Hannes. Unverdrossen malträtierten diese beiden ihre Instrumente weiter, gelegentlich unterstützt von immer wechselnden BassistInnen. Konzerte wie Proben hatten den gleichen Charakter des Spontanen: Hannes schlug endlose tribal-drumming-Rhythmen, über die Kai seine ständig brechenden Gitarrenläufe legte. „Songs“ oder „zerstörte“ Songmuster gab und gibt es bei den Chickens nicht. Der Sound ähnelt mehr einem Netz, das in den Raum hinein gewebt wird. Das hat manchmal intensive Momente, spannungsgeladene Verdichtungen, ist aber in erster Linie von dauernden monotonen, hypnotischen Rhythmen geprägt.

Diese musikalische Grundstruktur, die sich wohl bewußt an archaisch-primitive Klangmuster anlehnt, wurde im Laufe der Zeit wenig verändert. Einer stetigen Entwicklung jedoch waren die props, die stage-settings unterworfen. Die Bühnenbilder, die den Rahmen lieferten für Sound und darstellende Aktion, gelangten zu immer prachtvollerer Entfaltung. Große Stellwände, die in leuchtenden Farben gehaltene Fabelwesen zeigten, erhielten bewegliche Arme und Kiefer. Aus Eisenschrott und Fellen gefertigte Drachen krochen auf die Helden zu und schnappten nach ihnen.

Inzwischen wurden die Chickens als Ausstatter herangezogen: zuletzt für das „Arcanoa“ in der Zossener Straße, zuvor für die Umrüstung einer Frankfurter Halle in eine Disko und für die ZDF-Produktion Madhouse („einen Rock'n'Roll -Highschool-Film“). Immer weiter also führen ihre Anstrengungen, Räume vollständig zu durchdringen, sie bis in den letzten Winkel hinein neu zu besetzen, eine Welt wild wuchernder Phantasie aus den Abfällen der Industriekultur zu schaffen.

Die Artefakte der Dead Chickens sind nun in einer einmonatigen Werkschau zu betrachten. Drei neue Maschinen sind ausgestellt. Ein kleines Gelände aus Eisen, das an die Guckkästen in Märchenparks erinnert. Zwei eiserne Drachen bewegen sich inmitten von Bergsilhouetten, schlagen mit Flügeln und speien Feuer. Ein anderer, dreiköpfiger Drache besitzt ebenfalls große, bewegliche Schwingen. Seine drei grotesken Stoffschädel fallen auf und nieder, nach rechts und links. Die dritte Maschine ist nicht so massiv wie die anderen, erinnert mit ihrem filigranen Aufbau aus Schreibtischlampenarmen, Gestänge und Drähten eher an einen zerzausten Busch, der in einer Neumondnacht auf einem vergifteten Abrißgelände cold turkey Junkies und zittrige Alkoholiker schreckt. Einen immensen Lärm wirft das Gerät um sich. Ein Metallgnom, ganz oben, teilt mit seinen Füßen Tritte an den Schädel unter ihm aus. Aus dessen Augen zucken dünne Metallstäbe vor und zurück. Ihm zur Seite gleitet langsam ein anderer Metallkopf in die Höhe, läßt seinen Kiefer fallen und steigt wieder in die Tiefe. An der anderen Seite schließlich kann sich ein kleines Pelztier vor elektrischer Energie kaum halten, hüpft auf und nieder und schlägt scharfe Beißzangen aneinander.

Gerade in den letzten Jahren haben immer mehr Leute zum Gelingen der Dead-Chicken-Shows beigetragen. Einige von diesen wohnen zusammen in einem Haus - und wenn wirklich einmal diese unerträglich leer gewordene Floskel von einem selbstbestimmten Lebensentwurf Gewicht haben sollte, dann hier, wo gemeinschaftliches Tun die (architektonischen) Bedingtheiten in eine eigene Ästhetik des Rauhen, des Brüchigen und des Stammes überführt. Breeda, die Chicken -Bassistin, entwirft Kleider und Hüte (einen, dessen Krempe von einem Gehirn gekrönt ist), näht und gestaltet. Bori verarbeitet große eiserne Insekten zu Gürtelschnallen, wie auch Till archaisch anmutenden Metallschmuck herstellt, Kai machte ein Zeitlang Metallringe und Stiefelspitzen - alles, alles bekommt ein eigenartiges, phantastisches Chickens -Design. Da gibt es Felljacken mit Metallbeschlägen, Pantera arbeitet an Ledermode, und auch ein Schuhmacher von „Ornament und Verbrechen“ in Ost-Berlin wirkt nun mit dem Klan. Neu hinzugestoßen sind zwei Mädchen aus dem Osten, Katja und Ira, die wunderschöne, bis auf die Haut durchbrochene Samtkleider herstellen. In „Dead Chickens Warehouse“ werden aber auch Zeugnisse früherer Zusammenarbeit mit anderen Parasiten der Abfallkultur zu sehen sein. Da sind die Videos von Radio Subcom zu nennen, einer Gruppe die mit den Chickens auf der letztjährigen Linzer Ars Electronica vertreten war. Zusammen zeigten sie dort ihre Version von Krieg der Sterne. Henryk, langjähriger Begleiter des Schaffens der Gruppe, wird seine Fotoarbeiten präsentieren. Und Hannes schließlich, dessen Heim einer manifest gewordenen Pilzhalluzination gleicht, wird wohl sein legendäres Pop-up-Buch ausstellen. Pop-up -Bücher, das sind Teile, die zu öffnen sind, dann entfalten sich Bäume, Häuser usw. Menschen und Tiere bevölkern die Szenen, erstere sind durch Ziehen und Drücken an Pappstreifen zu bewegen. Hannes Pop-up-Buch, ein Meisterwerk, ist aber mit dem harmlosen Kram, der auf dem Markt zu haben ist, nicht zu vergleichen.

Die Dead Chickens sind in der Gesamtheit ihrer Erscheinungs - und Entfaltungsformen ein einzigartiges Phänomen. Mir ist keine andere Gruppe bekannt, die gleichzeitig eine solche Detailbeherrschung und einen solchen gesamtkunstwerklichen Entwurf zu bieten hat. Ihre Arbeit mit Schrott und die Verwendung einfacher mechanischer Mittel und Motoren rücken sie in die Nähe von Survival Research Laboraties, Jim Withing und der Mutate Waste Company - mit letzteren haben sie zusammengearbeitet. Insbesondere von SRL unterscheiden sie sich jedoch durch die Leichtigkeit der Phantasie; wo die Maschinen von SRL bedrohlich wirken sollten, da sprechen die Chickens von „Geisterbahn“. Ihnen eigen ist der völlige Verzicht auf Sprache, bei den „Konzerten“ werden gutturale Laute ausgeschrien. Das sperrt sie zunächst einmal gegen die wohlmeinend oberflächliche Rezeption der fleischgewordenen Bildungsdiskurse. Betont gleichzeitig ihre wirkliche Nähe zu einer Poesie, die die Dinge zum Sprechen bringen will. Den Abfall, das Übersehene, das aus dem Kosten-Nutzen -Kreislauf Ausgeschiedene, Wertlose. Sie sind wirkliche masters of junk.

R. Stoert

Dead Chickens Werkschau im „Dead Chickens Warehouse“, Schinkestraße 2, Berlin 44. Eröffnung heute um 19 Uhr, sonst Di. bis Fr. von 14 bis 18 Uhr 30.