„Schnäppchen“ in der Stasi-Zentrale

■ Trödelmarkt in der Berliner Normannenstraße: Das Interieur wird zu Billigpreisen verschleudert / Die Schnüffler schworen auf Uher-Tonbandgeräte / Verkauf sprach sich per Mund-zu-Mund-Propaganda herum / „Die schönen Biergläser für fuffzich Pfennich“

Von Axel Kintzinger

Berlin (taz) - Das System funktionierte wie in der alten DDR. Kein Aushang und keine Zeitungsanzeige wiesen darauf hin, daß im Ostberliner Stadtteil Lichtenberg ein Schnäppchen zu machen ist. Über die Mund-zu-Mund-Propaganda sprach sich herum, wo zu günstigen Preisen Dinge zu erwerben sind, die bis vor kurzem zur Mangelware in der DDR gehörten: Tonbandgeräte und Zubehör, vor allem aber Schreibmaschinen. Pikant ist die Verkaufsstelle - der einer Schulaula ähnliche Konferenzsaal im früheren Ministerium für Staatssicherheit.

Der Verkauf des alten Stasi-Plunders läuft bereits - einige erfuhren es vom Taxifahrer, andere vom Verkehrspolizisten an der Straßenkreuzung - seit April. Organisiert hat ihn das dem Innenministerium unterstellte staatliche Komitee zur Auflösung der Stasi, die Einnahmen fließen direkt ins Staatssäckel.

Clevere DDR-Bürger haben bereits vor Wochen die hochwertigeren Hinterlassenschaften abgeholt: Farbfernseher aus West-Produktion, moderne Robotron- und nur für DDR -Verhältnisse veraltete IBM-Kugelkopfschreibmaschinen. Die Apparate aus der Produktion des VEB Fernsehgerätwerk Staßfurt, Marke „Stella 1506 U“ mag sich augenscheinlich keiner mehr ins Wohnzimmer stellen. Sie verstauben auf langen Tischen. In der Rangliste der Ladenhüter nehmen die Alt-Glotzen jedoch nur Platz zwei ein. Unangefochtener Spitzenreiter sind hierbei die elektrischen Reißwölfe, meistens der Marke „Häcksler 80“. In verschiedenen Größen stehen sie zu Dutzenden unbeachtet herum, die abgewetzten Bedienungsknöpfe belegen ihre häufige Benutzung in den letzten Jahren. Einige müssen noch bis zum Sturm auf die Normannenstraße in diesem Januar in Betrieb gewesen sein zerhäckselte Papierreste kleben noch in den Schlitzen. Nur schlecht gehen auch die Restposten an Uher-Tonbandgeräten, auf die die Stasi sich angesichts der Mengen offenbar konzentriert hatte. Sie kosten zwar lediglich zwischen 10 und 30 Mark, können aber nur Mono aufnehmen und abspielen. Die neueren Stereogeräte, vor allem die tragbaren Rekorder dieser westdeutschen Firma, sind längst vergriffen.

Der pensionierte Studienrat Heinz Kamphoff aus West-Berlin stöbert schon den zweiten Tag in Mielkes Hinterlassenschaften. Einen Thermohygrographen zur akkuraten Notierung von Temperatur und Luftfeuchtigkeit hat sich der Hobbymetereologe schon für bloße 20 Mark besorgt, „das kostet neu einige 100 Mark“. Ein Aufnahmegerät „zum Vertonen von Diavorführungen“ hat er ebenfalls gekauft - doch dieses Gerät bereitete ihm beim Ausprobieren leichte Bauchschmerzen. „Da ging mir schon durch den Kopf“, erzählt er gestern, „wofür das Ding früher wohl benutzt worden ist.“ Für Mitschnitte von Verhören etwa, für die Dokumentation von erpreßten Aussagen der Stasi-Opfer vielleicht. Und Heinz Kamphoff dachte an die Angst derer, die vor diesem Gerät gesessen haben mögen: „Da fiel mir alles wieder ein, auch die eigene Angst vor der Gestapo, das hab‘ ich ja noch mitgekriegt.“ Während er von diesen Gedanken berichtet, wiegen seine Hände einen 16-Millimeter-Filmprojektor fachmännisch ab. „Ein Elmo“, weiß Kamphoff, „feinste japanische Qualität.“ Da muß er sich dringend nach dem Preis erkundigen.

Wann die Stasi-Schnüffler wohl zuletzt auf diesen Filmprojektor zurückgegriffen haben? In Koffern stapeln sich jedenfalls massenweise Hochglanzbroschüren diverser Westfirmen, in denen modernste Videotechnik angepriesen wird. Mitarbeiter des Mielke-Ministeriums müssen in den vergangenen Jahren so ziemlich alles eingesteckt haben, was auf westlichen Ausstellungen und in den Fachgeschäften herumgelegen hat. Sogar ein Prospekt für urologische Geräte der Firma „Olympus“ steckt dazwischen. Blättern zeigt, was die Stasi ausgerechnet an diesen Gerätschaften interessiert haben könnte. Strohhalmdünne Teleskope, mit einem Adapter auf gängige Fotoapparate zu schrauben, werden dort angepriesen, und Anhänger der James-Bond-Gemeinde wissen sofort Bescheid: Damit werden Türschlösser und andere Kleinstöffnungen durchsichtig. Tarnung ist alles, und aus diesem Grund finden sich unter den Stasi-Restposten wohl auch Produkte der Kosmetikfirma Jade.

High-Tech-Produkte wie Personal Computer sind auf dem Trödelnicht zu erwerben. Wer sich da bedienen will, muß seinen Wunsch schriftlich an das Auflösungskomitee richten. Die Nachfrage, hört man dort, hat das Angebot längst überstiegen.

Der überwiegende Teil des Plunders besteht aus sehr alltäglichen Gebrauchsgegenständen. Und die finden ihre Käufer. Da mag ein älterer Ostberliner noch so schimpfen über „die Ganoven“, die sich hier, „von Knarrenmännern bewacht“, jahrzehntelang verschanzt hatten - „die schönen Biergläser für fuffzig Pfennich, die nehm‘ ich natürlich mit“. Wie bei der Elektrotechnik ist aber auch der schönste Teil des Geschirrs bereits weg. Geschliffene Karaffen und „so wunderschöne große Cognac-Schwenker“, weiß einer der Verkäufer, also Insignien eines nur nach westlichen Maßstäben bescheidenen Luxuslebens, „waren schon nach den ersten Tagen ausverkauft“.