Das Staatsbegräbnis und der habsburgische Mythos

 ■ Geschichte und Funktion großer österreichischer

Staatsbegräbnisse

Von Othmar Pruckner

Ein Staatsbegräbnis ist auf deutsch ein Riesenbegräbnis, bei dem der Verstorbene dort aufgebahrt wird, wo Normalsterbliche nicht aufgebahrt werden können.“ Der Herr von der städtischen Bestattung macht es sich leicht mit der Definition jener Haupt- und Staatszeremonie, die am heutigen Dienstag in der Wiener Innenstadt über die Bühne gehen wird. Etwas enger zieht die SektionI/AbteilungI des Bundeskanzleramtes, die wichtige und hochdotierte Protokollabteilung, die Staatsbegräbnis-Grenzen. Nur Bundespräsidenten, Parlamentspräsidenten und Regierungsmitglieder, die in Amt und Würden verscheiden, hätten Anrecht auf ein Staatsbegräbnis, alles andere seien „besondere Begräbnisse in Verbindung mit einem Staatsakt“. Oder, anders gesagt: Es gibt automatische Staatsbegräbnisse und solche, die von der Bundesregierung besonders verdienten Staatsmännern zuerkannt werden.

Rituale

Die Bestimmungsmerkmale der offiziellen Begräbniszeremonie sind nirgends genau festgeschrieben. Es gibt kein Gesetz, das den Ablauf regelt, es gibt keinen Knigge des Staatsbegräbnisses, bestenfalls eine Reihe von Präzendenzfällen und eine gute österreichisch-habsburgische Tradition. „Zum Glück“, meint der im Bundeskanzleramt mit der Abwicklung des Kreisky-Begräbnisses betraute Kanzlersekretär, „ist der Ablauf nicht so genau festgelegt. Damit können wir auch Wünsche der Familie berücksichtigen.“

Öffentliche Aufbahrung, große Totenwache, Trauerempfang, Trauergeleit mit Musikkorps und Ehrenformationen, Kranz- und Ordensträger, Sargwagen und Sargträger gibt es auch bei pompösen privaten Begräbnissen; bei Staatsbegräbnissen kommt dann noch die Anwesenheit von höchsten Repräsentanten des Staates dazu; das Bundesheer verabschiedet sich mit eigenem Ritual, mit Trommelwirbel, Fanfarenklang und Ehrenbataillon. Auch die Anwesenheit von ausländischen Staatsgästen gehört unabdingbar zu einem „richtigen“ Staatsbegräbnis, das, und damit befinden wir uns kurzzeitig wieder auf einer recht weltlichen Ebene, natürlich vom Staat bezahlt werden muß. „Ein Begräbnis wird zu einem Staatsbegräbnis durch die normative Kraft des Faktischen“, sagt der Sekretär des Kanzlers; es sei einzig wichtig, dem Verstorbenen die Ehre zu erweisen, alles andere seien protokollarische Spitzfindigkeiten. „Ob Kreiskys Begräbnis nun ein richtiges oder ein nicht ganz richtiges Staatsbegräbnis ist, sollte eigentlich zweitrangig sein.“

Beim Begräbnis für Zita von Habsburg am 1. April vergangenen Jahres jaulten viele brave Republikaner auf, die das monarchische Spektakel mitsamt den mehr oder weniger kaisertreuen Adabeis (österreichisch für Leute, die überall dabeisein wollen. d.Korr.) und Trauergästen in Grund und Boden kritisierten. Nicht ganz zu unrecht natürlich, doch darf nicht vergessen werden, daß auch und gerade das Protokoll für die Staatsbegräbnisse der zweiten Republik seine Wurzeln in der Kaiserzeit hat. Mit all ihren Ehrenwachen und Kandelabern sind sie Erinnerungsstücke an jene Epoche, in der auch Geburt, Taufe, Vermählung und eben Begräbnis des Monarchen Gegenstand staatlicher Repräsentation waren.

In der Ersten Republik gab es einen interessanten Versuch einer besonders herausragenden Ehrung: Eine eigene Gedächtniskirche für Prälat Ignaz Seipel wurde gebaut; der Clemens-Hofbauer-Bau am Vogelweidplatz im 15. Bezirk wurde 1934 eingeweiht. Der bereits einmal mit allen staatlichen Ehren begrabene Leichnam Seipels wurde ebenso wie der des ermordeten Ständestaat-Kanzlers Dollfuß dorthin überführt. Für die Nationalsozialisten bedeutete diese politische Wallfahrtskirche natürlich ein Ärgernis; Hitler veranlaßte die Überführung von Seipel in den Zentral- und von Dollfuß auf den Hietzinger Friedhof. Die Schaffung eigener Mausoleen für verstorbene Staatsmänner fand damit ihr Ende; der Ehrenplatz, das Ehrengrab am Zentralfriedhof blieb.

Ein Staatsakt dient nicht nur der Ehrerweisung für den Verstorbenen. Er ist ein seltener und willkommener Anlaß für den Staat, sich selber darzustellen; es ist eine perfekte und generalstabsmäßig geplante Inszenierung, die nicht nur auf die Würde des Toten, sondern in zumindest demselben Ausmaß auf die Würde des Staats verweist. Der Staat zeigt sich an der Bahre, tut dies in friedlicher, harmonischer Eintracht - oder sollte dies zumindest tun.

Die großen Zeremonien

Das erste Staatsbegräbnis der Zweiten Republik fand am 6. Jänner 1951 für Karl Renner statt. Es war, um die 'Arbeiterzeitung‘ ('AZ‘) zu zitieren, eine „Trauerfeier, wie sie Wien noch nicht sah“. „Und droben, im Großen Festsaal (des Rathauses, O.P.), der riesigen gotischen Halle, in der sechzehn mächtige Kronleuchter gedämpftes Licht verbreiten, ist Österreichs erster Bürger aufgebahrt. Unter einem hohen schwarzen Baldachin, an dessen Rückwand eine breite Staatsflagge hängt, erhebt sich, flankiert von Palmen und Kandelabern, ein schwarz verhängter Katafalk, der den Sarkophag des Bundespräsidenten trägt.“ Sogar die Tiroler Standschützen waren nach Wien gereist, um dem Toten die Reverenz zu erweisen. Allerdings war schon am Sterbebett des Bundespräsidenten ein Streit um die Form der Beisetzung entbrannt. Die ÖVP unter Kanzler Figl wollte eine kirchliche Einsegnung; die Familie lehnte dies ab, nahm aber aus Staatsräson von der geplanten Einäscherung Abstand. Noch eine Woche nach der Beisetzung versuchte die Katholische Aktion den Beweis zu führen, daß Renner in den letzten Tagen katholisch und fromm geworden wäre, sogar Kniebeugen vor dem Allerheiligsten gemacht hätte und somit ein kirchliches Begräbnis statthaft gewesen wäre. Mit Presseaussendungen und Sachverhaltsdarstellungen wurde diesen Behauptungen widersprochen; Renner hätte sich, so wurde entgegnet, seit Jahren nicht mehr ohne fremde Hilfe vom Boden und damit auch von einer Kniebeuge erheben können. Figl jedenfalls wies die Vertretungen im Ausland an, alle Trauerfeierlichkeiten wegen der Verweigerung des kirchlichen Begräbnisses zu unterlassen.

Wenn die Zahlen stimmen, so war das Begräbnis für Theodor Körner am 10. Jänner 1957 das größte Ereignis dieser Art. 170.000 Menschen zogen am Sarg vorbei, 250.000 Menschen standen Spalier und waren damit auch bereits Teil des Zeremoniells selbst, denn erstmals übertrugen Radio und Fernsehen das Geschehen live. Und Politiker benutzen seit damals verstärkt den Marsch im Trauerzug als einen Anlaß, in der Öffentlichkeit zu erscheinen. „Die Motoren der Militärflugzeuge wurden angeworfen, in ihr Knattern mischte sich der feierliche Klang der Kirchenglocken und die düstere Trauermusik des Trompetenchors der Stadt Wien“, schrieb die 'AZ‘ zum traurigen Anlaß.

Julius Raab, Bundeskanzler außer Dienst, wurde am 14. Jänner 1964 begraben. Er hatte testamentarisch verfügt, daß nur Leopold Figl am offenen Grab reden sollte, bat im Nachlaß um „Nachsicht für manch ungereimtes Wort und um Verzeihung, (...) dies gilt auch für meine politischen Gegner„; sowie darum, „die rotweißrote Fahne hochzuhalten und unser schönes Österreich als einen Hort der Freiheit auch künftig zu bewahren“.

Auch bei dem Staatsakt für Raab gab es Unstimmigkeiten in den Reihen der Großen Koalition. Die SPÖ lehtne ein reguläres Staatsbegräbnis ab, die Bundeswirtschaftskammer finanzierte die Feierlickeiten, die letztendlich doch zum Quasi-Staatsbegräbnis avancierten. Aufgebahrt war Raab selbstverständlich - und dies im Unterschied zu den meisten sozialistischen Repräsentanten - im Wiener Stephansdom; beim Trauerzug hatten, dies ein Detail am Rande, Bergknappen des Kohlebergwerks Wolfsegg-Trauntal vor dem Bundeskanzleramt Aufstellung genommen, wohl um zu demonstrieren, daß alle Schichten der Bevölkerung um den Verstorbenen trauerten.

Adolf Schärf verstarb als amtierender Bundespräsident und wurde am 5. März 1965 begraben, einem Jahr, das mit Staatsbegräbnissen geradezu überfüllt war. Staatstrauer wurde verhängt; Bruno Kreisky konnte an den Feierlichkeiten nicht teilnehmen, weil er an schwerer Grippe erkrankt war. Der amerikanische Sonderbotschafter und Willy Brandt, damals Regierender Bürgermeister von Berlin, kamen verspätet; ihre Flugzeuge mußten wegen dichten Nebels zwei Stunden lang über Schwechat kreisen.

Fast genau einen Monat danach beschloß die Regierung nach längerem Zögern, Ernst Kirchweger, der bei einer Demonstration gegen Universitätsprofessor Borodajkewycz von rechtsradikalen Gegendemonstranten tödlich verletzt worden war, mit allen staatlichen Ehren beizusetzen. Manche Historiker sprechen in dem Zusammenhang von einer Alibihandlung, die Zeitungen dagegen von „einer der bedeutendsten Kundgebungen des Österreichertums“. Beim Staatsakt am Heldenplatz war die gesamte Regierung anwesend; Josef Hindels, Albrecht Konecny und Reinhold Knoll hielten Trauerreden.

Einen guten Monat später mußte der Ministerrat bereits wieder über ein Begräbnis beschließen. Anders als bei Julius Raab stimmte die SPÖ einem Staatsbegräbnis für Leopold Figl zu; allerdings erst, nachdem die ÖVP von der Idee Abstand genommen hatte, den Trauerzug am Gebäude ihrer Parteileitung vorbeizuführen. Trotzdem gab es vor der Beisetzung am 14. Mai 1965 Unstimmigkeiten. Der Kartellverband wollte beim Staatsakt eine tragende Rolle zugeteilt bekommen; Vizekanzler Pittermann stemmte sich dagegen. Dies sei „eine Trauerkundgebung aller Österreicher, aber keine Veranstaltung, an denen die Angehörigen politischer Organisationen (...) einen besonderen Platz erhalten“. Ein weiterer Streit entbrannte, als Bundeskanzler Klaus die allgemeine Anteilnahme am Figl-Begräbnis bei einer Wahlveranstaltung als „Vorabstimmung für Gorbach“ bezeichnete; dieser kandidierte als Gegner von Franz Jonas für das Amt des Bundespräsidenten.

Jonas gewann die Wahlen und blieb bis zu seinem Tode im Amt. Bei seinem Staatsbegräbnis am 30. April 1974 hielt Kreisky die Trauerrede; nicht zuletzt dessen Politik brachte 150 Gäste aus dem Ausland nach Wien. Anwesend waren Präsident Heinemann aus der BRD, der DDR -Staatsratsvorsitzende Stoph, der finnische Präsident Kekkonen, Italiens Giovanni Leone, Polens Jablonski, Strougal aus der CSSR und viele andere. Da Jonas wie seine Vorgänger als Bundespräsident auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte war, wurde sein Sarg auf einer Lafette des Bundesheeres geführt; zwei Staffeln Düsenjänger mit je acht Flugzeugen donnerten über den Ort der Feierlichkeit und trugen ihr lautstarkes Scherflein zur Staats-Repräsentation bei.

Die Feierlichkeiten für Nationalratspräsidenten Otto Probst, für Roland Minkowitsch, deren Leichname in der Säulenhalle des Parlaments aufgebahrt wurden, die Begräbnisse für die Minister Weißenberg und Dallinger sowie Staatssekretär Nußbaumer fielen wesentlich bescheidener aus, waren sozusagen „Staatsbegräbnisse zweiter Klasse“. So wurde der Leichnam Minister Dallingers weder im Parlament noch im Ministerium, sondern lediglich in der Halle 2 des Zentralfriedhofs aufgebahrt. Auch dies mag als besonderes Zeichen verstanden werden.

Staatsgala oder

Staatszirkus?

Am Zeremoniell des Staatsbegräbnisses wurde und wird heftig Kritik geübt. Es sei eine erstarrte Form ohne Funktion, eine leere, unzeitgemäße Äußerlichkeit, die Staatsgala wird als Staatszirkus beschimpft. Das Protokoll sei einer republikanischen Verfassung unwürdig und zeige „dubiose monarchische Züge“, formuliert ein Verfassungsjurist. Das Zeremoniell, so meint ein Gesellschaftswissenschaftler, sei dazu da, Hierarchien zu konservieren, Devotion und Untertanengeist zu nähren.

Wenn dies alles auch stimmen mag: Die ganze Wahrheit ist es nicht. Wie wir seit Claudio Magris wissen, ist Österreichs Literatur durch den „habsburgischen Mythos“ geprägt. Dieser Myhtos-Begriff läßt sich auch ohne weiteres auf das Staatszeremoniell der zweiten Republik anwenden. Nicht immer sind Tradition und Moderne unvereinbare Antipoden; nicht grundsätzlich muß eine feierliche Zeremonie abzulehnen sein. Die „schöne Leich“ des latent nekrophilen Österreichers findet im Staatsbegräbnis ihre wohl großartigste Ausformung; die zahllosen Uniformen vermitteln den Eindruck von Harmonie; schon allein die Aufbahrungs-Szenerie in der Säulenhalle des Parlaments ist ein ungemein aufwendig gestaltetes Bild, das schlicht und einfach „schön“ sein will.

Sagen wir nicht: Das Staatsbegräbnis hat mit Imponiergehabe, mit Herrscherkult und dynastischem Größenwahn zu tun. Sagen wir: Das Staatsbegräbnis paßt zu Österreich, genau so wie zu Bruno Kreisky. Schließlich wurde er, der charismatische Politiker und Staatsmann der goldenen siebziger Jahre, in seinen großen Tagen gerne „der Sonnenkönig“ genannt.

Mitarbeit: Christa Zöchling; Dank an Dr. Gernot Heiss. Literatur: Jürgen Hartmann, „Staatszeremoniell“ (Köln 1988).