„Wir rechnen mit unserer Verhaftung“

■ Nach der gewaltsamen Auflösung des Parlaments in Kosovo drohen den albanischen Abgeordneten Verhaftung und Gerichtsverfahren / Unterstützung aus Belgrad bleibt aus / Brutale Menschenrechtsverletzungen / Eine albanische Delegation informiert zur Zeit die westeuropäische Öffentlichkeit

Am 5.Juli dieses Jahres lösten serbische Polizeikräfte das Kosovo-Parlament gewaltsam auf. Die Parlamentarier hatten zwei Tage zuvor eine Verfassungsdeklaration verabschiedet, die die Gleichstellung Kosovos mit den anderen Bundesländern der SFR Jugoslawien zum Inhalt hatte. Der serbische Innenminister kündigte jetzt an, die 115 albanischen Abgeordneten, die der Deklaration zugestimmt hatten, zu verhaften und ihnen einen politischen Prozeß zu machen. Eine Delegation albanischer Parlamentarier besuchte auf ihrer Informationsreise auch die Bundesrepublik. Die taz sprach mit dem Vizepräsident des Parlaments, Professor Dr. Skender Skenderi.

taz: Das jugoslawische Bundesparlament hat die Maßnahmen gegen das Kosovo-Parlament gebilligt. Wie beurteilen Sie die Haltung die Bundesorgane gegenüber den Forderungen des Kosovo? Kann man von der jugoslawischen Bundesregierung Hilfe erwarten?

Skender Skenderi: Unglücklicherweise hat das Bundesparlament die Maßnahmen des serbischen Parlaments in Kosovo gebilligt. Damit hat das Parlament der SFRJ einen Verstoß gegen die Bundesverfassung von 1974 zugelassen. Danach hat kein Parlament, auch nicht das Bundesparlament, das Recht, irgendein Parlament der jugoslawischen Föderation zu suspendieren. Dieses Recht besitzt nur die Bevölkerung, die dieses Parlament gewählt hat. Die Haltung der Bundesorgane in diesem Fall ist einseitig, sie ignoriert die individuellen und kollektiven Rechte und Freiheiten der albanischen Bevölkerung in Jugoslawien, die zahlenmäßig die drittstärkste ist, in Kosovo sogar 90 Prozent der Bevölkerung ausmacht. Wir fordern die Gleichberechtigung mit allen anderen Völkern in Jugoslawien. Ob die Bundesregierung für eine wirkliche Lösung der Kosovo-Frage Hilfestellung leisten wird, ist zweifelhaft, da auch sie den Verstoß gegen die Bundesverfassung billigte. Sie hat nicht rechtzeitig reagiert, und sie steht unter dem Einfluß der serbischen Führung.

Wie verhält sich die serbische Minderheit in Kosovo? Gibt es Solidarität mit den Kosovo-Albanern? Kontrolliert Milosevic die Serben des Kosovo?

Ein Teil der serbischen Minderheit in Kosovo setzt sich freiwillig dem Einfluß der serbischen Politik aus, während der andere Teil sich genau deshalb bedroht fühlt. Ein weiterer Teil kann seine wirkliche Meinung zu Kosovo gar nicht frei ausdrücken, da er Repressionen von der serbischen Führung oder von deren verlängertem Arm in Kosovo, der nationalistischen Organisation „Bozhur“, befürchten muß.

Was sind Ihre Vorstellungen über ein künftiges Jugoslawien? Erneuerter Bundesstaat, Konföderation oder was sonst?

Ein künftiges Jugoslawien muß ein demokratischer Staat sein, in dem alle Bürger ihre Rechte individuell und kollektiv wahrnehmen können. Der Wille der Bevölkerung und ihre Vorstellungen über die künftige Organisation müssen respektiert werden. Ob es nun eine Föderation oder eine Konföderation ist - je nachdem wofür sich die Völker Jugoslawiens entscheiden.

Könnten Sie sich einen Zusammenschuß mit einem demokratisch erneuerten Albanien vorstellen? Wie sind gegenwärtig die Beziehungen der demokratischen Kosovo-Albaner zu Albanern?

Die Bevölkerung Kosovos hat ihren Willen über ihre Zukunft mit der Verfassungserklärung ausgedrückt, die am 2.Juli 1990 vom Parlament Kosovos erlassen wurde. Sie fordert, Gleichberechtigung innerhalb der Grenzen Jugoslawiens. Die Kosovo-Albaner unterhalten seit Jahren keine Beziehungen mit den Albanern Albaniens.

Wie könnte man die politischen Stimmungen unter den demokratischen Kosovo-Albanern beschreiben? Welcher Organisation gehört das größte Vertrauen?

Die alternativen politischen Parteien, die sich in letzter Zeit in Kosovo gegründet haben, haben ganz allgemein eine wichtige Rolle und einen großen Einfluß auf die Ereignisse in Kosovo. Fast alle Albaner sind in diesen alternativen Parteien organisiert. Den größten Einfluß und das größte Vertrauen besitzt die Demokratische Liga Kosovos, die an die 300.000 Mitglieder hat. Sie ist damit eine der größten Organisationen in Jugoslawien.

Wie stark ist ihrer Meinung nach die demokratische, dem Kosovo gegenüber aufgeschlossene Richtung innerhalb Serbiens? Wie kommt es, daß so viele demokratisch -oppositionelle Seiten den Forderungen der Kosovo-Albaner ablehnend gegenüberstehen? Welche Möglichkeiten des Bündnisses gibt es?

In Serbien gibt es durchaus Kräfte, die eine demokratische Haltung gegenüber Kosovo haben. Im jetztigen nationalistischen Klima, wie es von extremistischen Gruppen und der Cetnik-Partei geschaffen wird, können sie aber ihre Ansichten nicht äußern, beziehungsweise sie trauen es sich nicht. Wir denken, daß der demokratische Teil der serbischen Bevölkerung die Gefahren, die ihm von seiner eigenen nationalistischen und hegemonistischen politischen Führung drohen, begreifen wird. Hierbei könnten auch andere demokratische Teile in Jugoslawien und Europa ihren Einfluß wirken lassen.

Kann man auf die slowenischen und kroatischen Regierungen zählen?

Die Republiken Slowenien und Kroatien, die in Jugoslawien als erste freie Wahlen durchführten und Mehrparteienparlamente bildeten, erklärten gegenüber den Kosovoparlamentariern ihre Unterstützung für eine friedliche Lösung. Konkret erließ das slowenische Parlament eine Erklärung, die den verfassungswidrige Beschluß Serbiens zur Suspendierung des Kosovoparlaments verurteilte. Weiterhin wurde erklärt, nur Beschlüsse des legitimen Parlaments Kosovos anzuerkennen. Jeder Beschluß sei abzulehnen, der vom Direktorat kommt, das von Serbien eingesetzt worden ist, oder vom serbischen Parlament, das nicht befugt ist im Namen Kosovos zu entscheiden.

Wie ist der Stand in der Affäre vergifteter Kinder in Kosovo?

Leider ist die Lage der inzwischen 7.000 Kindern und Schulkindern, die an den mysteriösen Vergiftungen leiden, sehr prekär. Die jugoslawischen Behörden zeigten keinerlei Interesse, die Ursachen der Symptome aufzudecken. Es muß betont werden, daß auch serbische Kinder und Arbeiter betroffen waren, deren Namen jedoch von den Behörden verheimlicht wurden. Die Vergiftungswelle begann, nachdem in den Grund- und Mittelschulen im März letzten Jahres die Schüler nach Nationalitäten getrennt wurden. Das geschah auf Insistieren der serbischen Regierung, trotz gegenteiliger Meinung der Behörden in Kosovo. Die ersten Vergiftungsfälle gab es in der Gemeinde Podujeva. Von dort breiteten sie sich dann in ganz Kosovo aus. Milizangehörige verhinderten die ärztliche Behandlung der Betroffenen, indem sie die Eingänge der Krankenhäuser versperrten. Sie malträtierten Ärzte, die Hilfe leisteten und beschlagnahmten Analysen. Da sich die Symptome in verschiedenen zeitlichen Intervallen wiederholen, ist die Behandlung der kranken Kinder von der katholischen Kirche übernommen worden, wie in Bince, Gemeinde Viti, Ferizaj und anderen Orten. Die Kirchengemeinden haben gar nicht die nötigen Mittel, sie tun es trotzdem, aus humanitären Gründen. Die Polizei ist sogar schon gegen einige Priester vorgegangen. Diese Kirchen waren die einzigen, die über verschiedene humanitäre Organisationen Medikamente sichern konnten, die in Kosovo jetzt fehlen.

Sie haben jetzt einige westeuropäische Länder besucht. Wie sind Sie empfangen worden? Welchen Eindruck gewannen Sie von der Einstellung ihrer Gesprächspartner zum Kosovo?

Während unseres Besuches in den westeuropäischen Staaten wurden wir von Vertretern der Parlamente, Regierungen und politischen Parteien empfangen. Auch von vielen humanitären Organisationen, die mit einem besonderen Interesse die aktuelle, schwierige Lage in Kosovo verfolgen. Vielfach waren sie besorgt über die dortige Situation und erstaunt über das Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen. Es gibt bestialische Repressalien. Bürger werden gezwungen, Fingerringe oder Nagelscheren zu schlucken. (Fälle, die danach im Fernsehen dokumentiert worden sind.) Unsere Gesprächspartner waren mit uns der Meinung, eine internationale Untersuchungskommissionen nach Kosovo zu entsenden. Politischer Druck allein genüge nicht mehr, meinte ein Vertreter der SPD. Während unseres Besuches in Bonn wurde uns Unterstützung für die friedliche und demokratische Lösung des Kosovo-Problems zugesagt. Man versprach uns auch konkrete Maßnahmen.

Der Innenminister Serbiens hat am 20.Juli öffentlich erklärt, daß alle Parlamentarier des Kosovo-Parlaments, die am 2.Juli die Verfassungserklärung verabschiedeten verhaftet und vor Gericht gestellt werden sollen. Halten Sie das für wahrscheinlich?

Wir genießen parlamentarische Immunität und haben nach den Verfassungsbestimmungen gehandelt. Aber alle Gesprächspartner hier zeigten Besorgnis über diese Erkärung des serbischen Innenministers. Wir rechnen nach unserer Rückkehr mit unserer Verhaftung. Insbesondere, weil wir diese Reise unternommen haben. Unsere Familien wurden, wie wir erfahren haben, von der serbischen Polizei mißhandelt. Unseren Frauen wurde mitgeteilt, daß sie mit uns verhaftet werden, sobald wir zurück sind.

Interview: Ibrahim Kelmedi und Christian Semle