In den Niederlanden wächst die Angst vor den Deutschen

■ Sorge um wirtschaftliche und politische Übermacht / Mehr als ein Drittel der Abgeordneten hält Expansion auf militärischem Weg für möglich

Den Haag (afp/ap/taz) - Je näher der Tag der deutschen Vereinigung rückt, desto mehr breitet sich Angst in den Niederlanden aus. Nach einer Umfrage des „Lagendijk -Instituts“ ist die Zahl der NiederländerInnen, die die Deutschen fürchten, zwischen Juni 1989 und Mai 1990 von 32 auf 46 Prozent gestiegen. Aber nicht nur auf der Straße, auch bei den Parlamentsabgeordneten macht sich zunehmend Unbehagen breit.

36 Prozent der VolksvertreterInnen schließen es nach einer Umfrage der Wochenzeitung 'Elsevier‘ nicht aus, daß ein vereintes Deutschland eines Tages versuchen könnte, sein Territorium auf militärischem Weg zu vergrößern. Das „Lagendijk-Institut“ fand heraus, daß 77 Prozent der Abgeordneten anti-deutsche Gefühle hegen, obwohl nur acht Prozent die Vereinigung ablehnen.

Nach dieser Umfrage sind 51 Prozent der Abgeordneten besorgt über ein Deutschland, in dem „radikal -nationalistische Strömungen“ vorherrschen. 63 Prozent haben Angst vor einer politischen Übermacht, und 90 Prozent fürchten die wirtschaftliche Stärke. Diese Angst kommt nicht von ungefähr, ist die Bundesrepublik doch der weitaus wichtigste Handelspartner der Niederlande.

Sorge besteht auch über die „demokratischen Defizite“ zwischen den Großen und den Kleinen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft. Die Gefahr sei gegeben, daß das „große Deutschland“ seine „pax teutonica“ in Europa installieren könnte, hieß es in einer niederländischen Zeitung. Mit den ersten Sonnenstrahlen sind die niederländischen Straßen mit deutschen Urlaubern überschwemmt.

Die Geschäftsleute beklagen sich über die Arroganz der Besucher aus dem östlichen Nachbarland. Die Deutschen versuchten noch nicht einmal, ihre Gastgeber in Englisch anzureden. Sie sprächen gleich in Deutsch drauflos, ohne vorher entschuldigend zu erwähnen, daß sie kein Niederländisch können, so die Klagen der Geschäftsleute.

Unterdessen hat der ehemalige britische Handels- und Industrieminister Nicholas Ridley, der Mitte Juli wegen antideutscher Bemerkungen aus dem Amt scheiden mußte, seine Ansichten bekräftigt. Darüber hinaus gab er bekannt, er habe Tausende Briefe Gleichgesinnter erhalten. Während der letzten drei Wochen erreichten den Exminister nach Angaben seiner Sekretärin zustimmende Briefe in sechsstelliger Zahl.

Ridley, ein enger Vertrauter von Premierministerin Margaret Thatcher, hatte in einem Interview mit der Zeitschrift 'Spectator‘ Anfang Juli das Streben nach einer europäischen Währungsunion als „eine krumme Tour der Deutschen, mit der sie sich ganz Europa unter den Nagel reißen wollen“, beschrieben.

Thatcher sagte in der vergangenen Woche, daß Ridleys Äußerungen die Meinung eines Teils der Bevölkerung widerspiegeln. Es sei verständlich, so die Premierministerin, daß besonders diejenigen, die den Zweiten Weltkrieg miterlebt hätten, besorgt seien.

RaSo