„Stellen wir uns den neuen Herausforderungen“

■ Zum ersten Mal tagte die „Islamische Konferenz-Organisation“ (ICO) in Kairo / Treffen von irakischem Einmarsch in Kuwait überschattet / Mubarak fordert islamische Welt auf, sich den politischen Realitäten zu stellen / ICO verurteilt irakische Invasion

Aus Kairo Detlef Schmidt

Nur knapp 400 Meter von dem Ort entfernt, an dem einst islamische Fanatiker den Moslem Anwar el-Sadat ermordeten, trafen sich in Kairo in der letzten Woche die Außenminister der 45 islamischen Staaten zu ihrer 19.Jahrestagung. Eines der wichtigsten Themen sollte einmal mehr die Einforderung von „Solidarität“ und „Kooperation“ im Umgang der islamischen Länder miteinander sein sowie die Frage, wie Konflikte zwischen den Mitgliedsstaaten der „Islamischen Konferenzorganisation“ ICO auf dem Verhandlungsweg gelöst werden können. Ganz in diesem Sinn begrüßte dann auch Ägyptens Präsident Hosni Mubarak, der Amtsnachfolger des erschossenen Sadat, die Abgesandten der moslemischen Welt.

„Es genügt nicht, ständig von islamischer Solidarität und Zusammenarbeit zu sprechen. Wir werden sie nun endlich auch praktizieren müssen. Andernfalls laufen wir Gefahr, politisch und wirtschaftlich in der Welt noch weiter an Einfluß zu verlieren.“ Der Realpolitiker Mubarak machte den Versammelten klar, daß die Auflösung des osteuropäischen Blockes ein schnelles Umdenken verlange. „Stellen wir uns dieser Herausforderung nicht, dann wird uns über kurz oder lang keiner mehr ernstnehmen.“

Seit der letzten Außenministertagung vor 16 Monaten, die im saudi-arabischen Riad stattfand, waren ohnehin mit den Konflikten zwischen Indien und Pakistan und Senegal und Mauretanien sowie mit den irakischen Drohungen gegen Kuwait drei neue Konfliktherde innerhalb der ICO entstanden. Was die Kuwait-Krise angeht, so war Mubarak am Dienstag während seiner Ansprache im neuen Kairoer Kongreßzentrum noch der felsenfesten Überzeugung, daß sie am Verhandlungstisch gelöst werden könne. Saddam Hussein, der unberechenbare Diktator Bagdads, hatte noch kurz zuvor den Teilnehmern der ICO telefonisch versprochen, kein Militär einzusetzen, sondern mit Kuwait zu verhandeln. Und vor allem der Ägypter Mubarak, der noch am Montag an den Tigris zu Verhandlungen mit Saddam Hussein gereist war, glaubte dem Bagdader Regenten. Dies wäre ein weiterer Erfolg des Vermittlers Mubarak gewesen.

Ohnehin war man ja in Kairo schon mehr als zufrieden. Nach über zehn Jahren des arabischen Boykottes gegen Ägypten wegen des Friedensvertrages mit Israel sollte das islamische Außenministertreffen wieder die erste große politische Veranstaltung am Nil sein. Ägypten fühlte sich in seiner Politik nachträglich bestätigt.

Die islamische Konferenzorganisation wurde vor rund 20 Jahren institutionalisiert, nachdem ein israelischer Extremist die Al-Aksha-Moschee in Jerusalem, das drittwichtigste Heiligtum der Moslems, angezündet hatte. Obwohl Kairo die einzige Hauptstadt im Nahen Osten ist, in der eine blauweiße Fahne mit dem Davidstern weht, waren alle 45 islamischen Staaten vertreten.

Die Ägypter nutzten die Chance und versuchten den Versammelten klar zu machen, daß es in dieser stark veränderten Welt keinesfalls genügt, Gemeinsamkeit zu demonstrieren, indem man Israel stereotyp als den Buhmann und vielleicht noch Washington als seinen Helfershelfer verurteilt. Um bestehen zu können, sei eine eigenständige politische Strategie notwendig. Die Voraussetzung dafür sei allerdings, zunächst die eigenen Konflikte zu lösen und sich an den politischen Realitäten zu orientieren - gleichgültig, ob sie einem gefielen oder nicht.

Nach zwei Tagen schöner Worte und bester Absichten kam dann der ernüchterne Schock: Entgegen aller früheren Beteuerungen war Bagdad doch nach Kuwait einmarschiert. Als erstes zogen sich die 21 arabischen Außenminister aus der Jahrestagung zu einer getrennten Sitzung zurück, um sich auf eine gemeinsame Antwort an Bagdad zu verständigen. Doch es dauerte mehr als 48 Stunden, bis endlich zwei Drittel der arabischen Brüder bereit waren, den Überfall auf den kleinen reichen Ölstaat zu verurteilen und den soforten Rückzug der Irakis zu fordern. Die Vollversammlung der islamischen Konferenzorganisation brauchte danach nicht mehr soviel Zeit, um eine Verurteilung ihres Mitgliedes Irak zu formulieren. Sie fühlten sich ohnehin durch das militärische Zuschlagen des Goliats Irak gegen den David Kuwait brüskiert.

Die Kairoer Tageszeitung 'al-Ahram‘ kommentierte am Wochenende sarkastisch: „Wir sagten nichts, als Bagdad damit drohte, halb Israel zu vernichten. Das Resultat ist jetzt, das ganz Kuwait kassiert wurde.“

Die eindeutige Ablehnung des militärischen Überfalls täuscht allerdings nicht darüber hinweg, daß sich die islamischen Staaten untereinander noch immer schwer tun, eine gemeinsame Sprache zu finden, Kompromisse zugunsten von mehr Gemeinsamkeit zu akzeptieren. So mußte die Außenministertagung für alle überraschend noch um einen Tag verlängert werden, weil einige Mitglieder nicht den von der Türkei eingebrachten Vorschlag zur Zypernfrage tolerieren mochten. Auch die Wiederaufnahme der 1987 - nach den immer noch nicht geklärten Unruhen in Mekka - abgebrochenen Beziehungen zwischen Iran und Saudi-Arabien wurde nicht thematisiert.

Offensichtlich sind immer noch nicht alle Staaten bereit, dem Realpolitiker Mubarak in seinem außenpolitischen Herangehen zu folgen. Sollte sich das nicht bald ändern, laufen die Mitglieder der islamischen Konferenz - die fast eine Milliarde Menschen vertritt - Gefahr, überhaupt nichts Eigenständiges mehr in die sich rasant verändernde Weltpolitik einbringen zu können.