: SPD-Achtungserfolg im Terminpoker
■ Zum Entkoppelungsvorschlag von DDR-Beitritt und Wahltermin
KOMMENTARE
Die SPD kann erst mal Luft holen. Seit Monaten im Windschatten Kohlscher Vorgaben, hat sie jetzt erstmals eine schlüssige Strategie gefunden, die machtbewußten Einheitsstrategen im Kanzleramt auszubremsen. Mit ihrem Vorschlag, den Beitritt der DDR und die gesamtdeutschen Wahlen zu entkoppeln, hat sie den jüngsten Unionsvorstoß plausibel gekontert. Die Erfüllung des derzeit sehnlichsten CDU-Wunsches, mit möglichst schnellen gesamtdeutschen Wahlen die Rechnung für den sich abzeichnenden Einheitsschlamassel wenigstens zu moderieren, scheint vorerst verbaut. Die Sozialdemokraten führen stichhaltige Argumente für ihren Vorschlag an und heimsen zugleich lange ersehnte Profilierungsgewinne ein. Mit ihrem Votum für einen schnellstmöglichen Beitritt nach Inkrafttreten des Einigungsvertrages präsentieren sie sich - immer auf der Flucht vor dem Makel vaterlandsloser Gesellen - als verantwortungsbewußte Patrioten. Zugleich entkräften sie das einzig ernstzunehmende, weil propagandistisch wirksame Argument, mit dem die Union ihren jüngsten Forcierungsversuch untermauert: nur der schnelle Vollzug der Einheit könne den drohenden Zusammenbruch der DDR noch abwenden. Doch die Einheit, so die SPD-Linie, ist allein mit dem Beitritt zu machen; sofortige Wahlen sind nicht zwingend und ohne Verbiegung des Grundgesetzes auch nicht zu haben. Die moralgeschwängerten Retourkutschen aus dem Regierungslager kann man getrost als Rückzugsmanöver abhaken.
Die Union hat sich offensichtlich verkalkuliert. Das Wahlbegehren scheint gescheitert, doch seine Begründung ist protokolliert: der drohende wirtschaftliche Zusammenbruch. Erst de Maizieres Vorstoß hat die unzähligen Facetten der ökonomischen Misere zu einem dramatischen Ganzen gebündelt. Mit diesem Eingeständnis einer gescheiterten Politik hat er der SPD die fehlenden Argumente und der Union möglicherweise die Trendwende im Einheitshoch beschert. Dennoch - kein Anlaß für sozialdemokratische Genugtuung. Das Hasardeurstück mit der schnellen Mark hat sie mitgetragen; ihr ängstliches Unbehagen an Lafontaines Einwänden ist in guter Erinnerung; ihre erfolgversprechenden Konzepte zum Auffangen der ökonomischen Anschlußfolgen sind bislang nicht an die Öffentlichkeit gedrungen. Die SPD kann für sich einen Achtungserfolg im Terminpoker verbuchen, mehr nicht. Mit Wahlen im Dezember hat sie vielleicht gute Chancen, von der Selbstdemontage des unionsdiktierten Einheitskurses zu profitieren. Doch eine politische Alternative zur Lösung der anstehenden Probleme läßt sich damit schwerlich begründen.
Matthias Geis
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