"Schlächter von Bagdad" löst Noriega und Gaddafi ab

■ Entsendung von Truppen in den Golf stößt in den USA nicht auf Widerstand / Ausrichtung und Struktur der US-Armee wird dadurch mitbestimmt

In Langley, Virginia starten die ersten F-15-Kampfflugzeuge zum 15-Stunden-Flug nach Saudi-Arabien. Die USA rüsten sich für das nächste militärische Abenteuer gegen einen „madman“. Nach Ghaddafi und Noriega geht es nun gegen den „Schlächter von Bagdad“, dessen militärisches Take-over der spätfeudalistisch verfaßten „Kuwait-ÖlAG“ westliche Gefühle und Interessen offenbar mehr berührt hat als weiland seine chemische Hinrichtung von 8.000 irakischen Kurden. Und doch ist an diesem Konflikt alles ganz anders und viel komplizierter.

Die Beseitigung des jahrelang von West und Ost gegen den Iran hochgepäppelten Diktators wird sich ungleich schwieriger gestalten als die Disziplinierung der bisherigen Opfer amerikanischen Zornes. Und - die USA ziehen nicht mehr allein für sich ins geopolitische Feld, sondern nun mit der symbolischen Hilfe befreundeter Truppen. Selten war eine Militäraktion der USA so unstrittig wie diese Truppenentsendung nach Riyadh und Dhahran, in den internationalen Gremien wie in den USA selbst. Der Kongreß, so der Sprecher des Repräsentantenhauses und andere Demokraten, steht in Sachen Irak voll hinter George Bush. Selbst die linken Kritiker der Panama-Invasion sind nun eher sprachlos als kritisch. Um Alternativen zu dieser neuen Art der internationalen Militärdiplomatie zu entwickeln, so sagt M. Klare, Professor für Friedens- und Weltsicherheitsstudien am Hampshire College, „bräuchten wir eine komplexere Analyse der Nord-Süd-Beziehungen, als wir sie heute haben“.

So sind sie denn alle für die Entsendung von US-Truppen in die Golfregion, die Nahost-Spezialisten und Fernsehkommentatoren, die Militärxperten und Politicos, kurzum: die weiße männliche Mittelklasse der USA; und wahrscheinlich auch die große Mehrheit des Restvolkes.

Hocherfreut ist man über die neue Herausforderung im Pentagon. Fast könnte man glauben, der eigenwillige Saddam in Bagdad werde aus dem Fünfeck am Potomac ferngesteuert, liefert er doch den US-Militärs mit seinem Einmarsch kurz vor der entscheidenden Phase der Budgetkürzungen im September einen wunderbaren Vorwand, den vorschnellen Abbau von Kriegsgerät noch einmal zu überdenken.

Kaum jemand weist darauf hin, daß die auf über 1.400 Basen verteilte US-Streitmacht von 2.100.000 Kriegern, die das Land seit dem Ausbruch des kalten Kriegs zehn Billionen Dollar gekostet haben, auf die Situation im Persischen Golf völlig unvorbereitet ist und daß nach der Aufrüstung der Reagan-Dekade die noch von Jimmy Carter erfundene „Schnelle Eingreiftruppe“ - heute heißt sie „Central Command“ - im floridianischen Tampa vernachläßigt ihr Dasein fristet. Vierzig Jahre lang war die militärische Sicherheitsintelligenzija der USA ideologisch so auf die Abwehr der sowjetischen Bedrohung im Fulda Gap fixiert wie die Kremlführung auf den sozialistischen Zentralismus. Wo die Sowjets zuviel steuerten, mangelte es den USA an Planung der Zeit nach dem kalten Krieg. Fünf Jahre nach Gorbatschows Amtsantritt hat der Begriff des „mid intensity conflict“, der weder zwischen den Großen noch stellvertretend für sie geführt wird, zwar Eingang ins politische Vokabular, aber noch nicht in die militärische Planung gefunden. Nachdem sich die Aufrüstung unter Reagan mehr an den Bedürfnissen der Rüstungsindustrie als an strategischen Erfordernissen orientierte, folgte die Abrüstungslogik, soweit sie bisher überhaupt in die Realität umgesetzt wurde, mehr den arbeitsmarktpolitischen Ansprüchen der Lokalpolitik als dem veränderten geopolitischen Szenario.

Dies soll jetzt, Saddam Hussein sei Dank, alles anders werden. Vor allem die Armee unter General Vuono hat angesichts des drohenden Verlustes ihrer Nato-Funktion erkannt, daß in Figuren wie der Husseins ihre letzte Chance für eine militärpolitische Legitimation liegt. Denn im Ausfechten eines Konfliktes, wie er sich im arabischen Wüstensand jetzt anbahnt, fiele der Armee neben den unverzichtbaren Flugzeugträgern, Gruppen der Navy und den Bomberstaffeln der Luftwaffe eine neue Rolle zu. Mit mobilen, aber mittelschweren Waffen wäre die Armee neben dem nur leicht bewaffneten Marinecorps dann doch wieder nötig.

Unabhängig davon, ob die GIs demnächst bejubelt oder betrauert nach Hause zurückkehren werden, wird dem vom Irak angezettelten Konflikt um das Golföl eine historische Bedeutung zukommen. Er wird nach einer Phase rein rhetorischer Sandkastenspiele der US-Militärs die strategische Ausrichtung und Struktur der US-Streitkräfte in den 90er Jahren und damit die Kosten des zukünftigen Rüstungsbudgets mitbestimmen. Nach Husseins Blitzeinmarsch in Kuwait ist in den USA eine Friedensdividende in noch weitere Ferne gerückt.

Rolf Paasch, Washington