„Lafontaines Asyldiskussion ist verwerflich“

■ Gespräch mit Dany Cohn-Bendit, Dezernent für multikulturelle Angelegenheiten in Frankfurt am Main

INTERVIEW

taz: Was hälst du von dem Vorstoß Lafontaines, den Asylrechtsartikel16 des Grundgesetzes unter einen Gesetzesvorbehalt zu stellen, in dem festgelegt wäre, daß in bestimmten Staaten „nach allgemeiner Überzeugung keine politische Verfolgung“ existiert, also die Asylgründe entfallen.

Cohn-Bendit: Ich halte jegliche Debatte über die Frage des Asylrechts im besonderen und der Einwanderung im allgemeinen, die im Zusammenhang von Wahlen angezettelt wird, für verwerflich. Denn dabei geht es nicht um Problemlösungen, sondern um Stimmenfang. Das ist die Kritik an Lafontaine. Wenn man eine Debatte über den Artikel 16 des Grundgesetzes eröffnen will, dann darf man das nicht losgelöst von der allgemeinen Diskussion über Einwanderung in die Bundesrepublik tun. Man muß die Frage stellen: Ist die Bundesrepublik ein Einwanderungsland - ja oder nein? Ich sage: Ja, das ist sie. Es kommen Menschen hierher, weil sie Arbeit suchen, und Menschen, die politisches Asyl suchen. Das sind zwei unterschiedliche Formen der Einwanderung. Wenn jetzt jemand sagt, es sind über 40 Jahre vergangen, seitdem die „Mütter und Väter des Grundgesetzes“ das Recht auf politisches Asyl festgeschrieben haben, wir müssen nun die Veränderung der Situation reflektieren, dann wäre das ein richtiger Ansatz.

Es geht tatsächlich darum, den Asylrechtsartikel aufgrund der Erfahrungen seit 1945 neu zu formulieren. Aber dann muß man auch klar festlegen, daß die Entscheidung, aus welchem Land Flüchtlinge „anerkannt“ werden, nicht die Regierung oder das Parlament treffen kann, weil sie mit Blick auf die WählerInnen entscheiden. Nur eine autonome Institution ist zu einer unabhängigen Beurteilung in der Lage. Ein solcher Gedanke hat in dem Vorstoß Lafontaines überhaupt keinen Platz.

Nun gibt es ja eine neue Lage. Menschen aus Osteuropa fliehen vor dem ökonomischen und ökologischen Elend nach Westeuropa - und nach wie vor kommen „Elendsflüchtlinge“ aus der „Dritten Welt“...

Ich glaube, daß wir unterscheiden müssen zwischen den verschiedenen Kategorien von Flüchtlingen und den verschiedenen Begründungen. Europa muß sich als Einwanderungsregion definieren. Und dann muß man sagen: Es gibt Menschen, die aus bestimmten Staaten kommen wollen, um hier zu arbeiten; Polen, Tschechen, Rumänen, Jugoslawien. Und es gibt Menschen, die verfolgt werden. Um da zu differenzieren, brauchen wir eine europäische Einwanderungsbehörde, die das filtern kann und die Leute „verteilt“. Diejenigen, die aus Katastrophenländern kommen, müssen laut „Genfer Konvention“ sowieso aufgenommen werden. Und die aus politischen, religiösen und sexuellen Gründen Verfolgten haben ebenso Anrecht auf Asyl. Für die Bundesrepublik würde ich mir eine Institution aus Vertretern der UN-Flüchtlingskommission, amnesty international und autonomen Persönlichkeiten wünschen, die über die Asylberechtigung jeweils aktuell entscheiden. Die anderen Einwanderer müssen im Rahmen einer allgemeinen Quotierung aufgrund der Bedürfnisse und Möglichkeiten aufgenommen werden. Und trotzdem werden tausende Menschen darüber hinaus versuchen, hereinzukommen. Das ist der Preis unserer offenen, mobilen Weltsituation. Darauf sind wir ja gerade stolz. Ins Horn der Hysterie zu blasen, wie Lafontaine das tut, ist falsch und gefährlich.

Kann Lafontaine nach seinen jüngsten Äußerungen überhaupt noch Partner einer Koalition mit den Grünen/Bündnis 90 sein?

Als Lafontaine die Kohlsche Vereinigungswut angegriffen hat, fanden das viele Linke ja sehr gut. Aber auch bei diesem Thema hat Lafontaine auf Entsolidarisierung gesetzt gegen die sozialen Kosten der Vereinigung. Ähnlich beim Thema Asylrecht. Er setzt auf eine egoistische Gesellschaft...

...auf die Stammtischvernunft?

Ja, und zwar sowohl bei der deutschen Einheit als auch bei der Asylfrage. Und das unterscheidet die Grünen von der SPD. Mögliche Koalitionsverhandlungen würden da sehr hart werden.

Setzt der SPD-Kanzlerkandidat nicht auch auf die ausländerfeindlichen Ressentiments vieler Noch-DDR-Bürger?

Das finde ich auch unverantwortlich von ihm, daß er immer die Polen nennt und - ob bewußt oder unbewußt - auf die antipolnischen Ressentiments vieler Deutscher baut. Die französischen Sozialisten haben sich in Migrationsfragen ähnlich verhalten und mit Ressentiments gespielt. Da ist der liebe Oskar wirklich ein Zauberlehrling. Wer zündelt, muß auch wissen, wie man löscht. Seine Probleme mit den Roma und Sinti im Saarland wären mit einer halbwegs vernünftigen Aufteilung der Asylbewerber gar nicht erst zustande gekommen. Das wirkliche Problem ist doch die tiefe Verunsicherung der ost- wie westdeutschen Gesellschaft in der gegenwärtigen Umbruchssituation. Gerade deshalb muß das Asylproblem von Wahlkampfstrategien strikt getrennt werden.

Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Forderung, hier lebenden Ausländern eine doppelte Staatsbürgerschaft zuzuerkennen?

Die Frage eines neuen Ansatzes in der Ausländerpolitik wird bei möglichen Koalitionsverhandlungen mit der SPD große Bedeutung haben. Bei der doppelten Staatsbürgerschaft geht es vor allem um die rechtliche und politische Gleichstellung der Migranten, um Bürgerrechte. Solange diese Frage nicht gelöst ist, tickt da eine Zeitbombe. Das Gespräch führt

Reinhard Moh