Afrika interessiert euch nicht

 ■ Mit dem Kameruner Autor und Präsident des

Schriftstellerverbandes Kum'a Ndumbe sprach

Klaus Farin

taz: Sie beschäftigen sich seit Jahren mit Deutschland, kaum ein Historiker hat die deutsche Kolonialpolitik in Afrika so detailliert aufgearbeitet wie Sie. Denn in der deutschen Forschung und Geschichtsschreibung spielt dieses Thema so gut wie keine Rolle. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Kum'a Ndumbe: Wissen Sie, ich kenne eine Reihe von Kollegen hier, die über das Dritte Reich arbeiten und schreiben, aber es ist eigenartig: Bei den meisten Akten des Dritten Reiches über Afrika war ich der erste, der die überhaupt aufmachte. Ob in Koblenz oder in Bonn oder in Potsdam. Warum haben Ihre Historiker diese Akten nie aufgemacht? Das war eine Frage, die mich wirklich beschäftigte. Dann habe ich eine Antwort gefunden. Erstens: Im Unterbewußtsein vieler Leute, auch Wissenschaftler, ist Afrika nicht relevant. Und zweitens: Sie ignorieren ebenfalls die Forschungsergebnisse afrikanischer Wissenschaftler. Mein Buch zu diesem Thema ist in Frankreich und England erschienen und diskutiert worden. Hier, wo es eigentlich hätte bekannt sein sollen, wurde es nicht einmal übersetzt.

Ich leite die deutsche Abteilung meiner Universität seit 1981. Jedes Jahr versuche ich, mindestens zwei Gastprofessoren zu bekommen. Aus der BRD, auch aus der Schweiz oder Österreich oder der DDR: Für mich ist das ganz normal. Ich denke, es reicht nicht aus, daß unsere Studenten nur die afrikanischen Experten hören. Die müssen auch deutsche haben. Aber sehen Sie sich doch in Deutschland um: Dort kommt man nicht auf diese Idee. Deutsche Professoren, die vielleicht drei Jahre in Afrika gelebt haben, halten Vorlesungen über Afrika. Natürlich auch vor afrikanischen Studenten, klar. Denn die müssen ja was lernen hier... Ich glaube, das ist eine Entwicklungsstufe, eine Sache der Mentalität auch. Man ist hier noch nicht so weit. Der Afrikaner ist einer, der Hunger hat, der Hilfe braucht, Entwicklungshilfe usw. Also wie soll so ein Mensch auch noch Literatur verfassen? Nicht einmal ein Nobelpreis reicht aus, in Deutschland Bücher eines schwarzen Afrikaners zu verkaufen.

Es gibt inzwischen eine Reihe von Kulturinstitutionen hier, die versuchen, afrikanische Literatur zu fördern...

Diese Institutionen sind nur von Deutschen besetzt. Ich verstehe nicht, weshalb in diesen Institutionen nicht Afrikaner zumindest als Berater sitzen.

Wie ist Ihre Diskussion mit deutschen Schriftstellern?

Es gibt sie kaum. Es ist kein Interesse da. Man interessiert sich für sich und begnügt sich mit der Kirchturmperspektive. Das sind arme Menschen ohne Zugang zum anderen. So werden sie niemals kostbare Dinge bei uns entdecken. Ich werde diese Dinge hier entdecken, weil ich offen bin. Ich bereichere mich durch das, was ich hier lerne. Aber das ist ihre Sache. Wenn sie arm bleiben wollen... Ich habe ein Angebot gemacht: Wir haben in unserem Schriftstellerverband ein Austauschprogramm, in dem wir ausländische Schriftsteller für vier oder acht Wochen nach Kamerun einladen unter der Bedingung, daß sie nicht in Hotels wohnen. Hiltons gibt es auch bei uns, aber wir sind der Meinung, daß sie nicht viel davon haben. Wir bieten ihnen unsere Wohnungen an. Ich habe das zum Beispiel mit dem französischen Autor Jean-Yves Loude gemacht. Danach haben wir zusammen ein Buch geschrieben. Ein deutscher Autor hat sich bis heute noch nicht gemeldet.

Wie steht es denn umgekehrt mit der Verbreitung deutscher oder überhaupt europäischer Literatur in Kamerun?

Französische oder englische Literatur ist kein Problem. Die finden Sie sogar in der kleinsten Stadt. Wenn heute ein Buch in Paris herauskommt, haben sie es spätestens in einer Woche bei uns in den Buchhandlungen. Die deutsche Literatur ist mit Ausnahme der deutschen Abteilungen in den Universitäten natürlich nur zugänglich, wenn sie übersetzt wurde.

Erreicht die Literatur in Büchern überhaupt breite Kreise in Kamerun? Schließlich sind auch Englisch und Französisch dort Kolonialsprachen?

Ich muß auch immer lachen, wenn man afrikanische Literatur hier vorstellt. Denn die eigentlich lebendige afrikanische Literatur ist die orale Literatur. In afrikanischen Sprachen. Literatur, die gelesen wird, das ist eine ganz neue Erscheinung. Die Literatur bei uns wird getanzt, sie wird gespielt. Literatur ohne Musik, ohne Gesang ist langweilig. Diese moderne Literatur in europäischen Sprachen gibt es bei uns erst seit den 30er Jahren. Wenn man hier afrikanische Literatur vorstellt, dann stellt man nur diese junge Literatur, die in europäischen Sprachen geschrieben wurde, vor. Doch diese Literatur ist für Kamerun nicht so wichtig. Mein französischer Verleger schaut, ob er das Buch in Frankreich verkaufen kann. Dann schickt er vielleicht ein paar Exemplare nach Kamerun - für die kleine Schicht, die durch die europäische Schule gegangen ist und überhaupt lesen kann. Eine Minderheit.

Nun versuchen wir im Schriftstellerverband allerdings, die Oralliteratur und die Autoren der jüngeren Literatur zusammenzubringen. Wir gestalten gemeinsame literarische Abende, so daß die Leute sich gegenseitig beeinflussen können.

Wie ist denn generell die Situation der Schriftsteller in Kamerun?

Sehr schwierig. Als Schriftsteller kann niemand leben, weder in Kamerun noch in Afrika überhaupt. Unser Dilemma: Wir schreiben für unsere Leute, aber in Fremdsprachen, die sie nicht wirklich beherrschen. So sind die Auflagen niedrig. Und auch hier findet man nicht das Publikum. Dann das Problem der Zensur: Wenn man wirklich schreibt, was man meint, ist das schon ein Risiko. Deshalb bleiben einige im Ausland. Ich bin nicht dafür. Ich war auch schon einmal wegen meiner Schriften im Gefängnis, aber ich sage als Präsident des Schriftstellerverbandes: Das gehört dazu in der jetzigen Phase unserer Entwicklung. Es geht nicht anders. Wenn die Situation lebensbedrohlich wird, dann muß man fliehen. Solange es noch nicht zu dieser Phase kommt, muß man bleiben. Denn man kann die Dinge nicht vom Ausland her beeinflussen.

Welche Medien sind in Kamerun relevant?

Fernsehen und Radio sind einflußreich. Diese Medien erreichen die kleinsten Dörfer. Wenn sie in Kamerun „Dallas“ sagen, weiß jeder, was das ist. Sie müssen bedenken, die Unabhängigkeit haben wir erst seit 1960. Das ist nicht viel Zeit. Die Kolonialzeit hat über hundert Jahre gedauert. Es geht schon voran. Man weiß das hier nicht, weil die Leute hier nur an Katastrophenmeldungen interessiert sind. Diese Arbeit, die alltäglich geleistet wird, tritt hier nicht in Erscheinung.