Giftzug gegen Bahngleis-Grün

■ BVG setzt Chemikalien ein / Bahnhöfe werden evakuiert, Kleingärten nicht

West-Berlin. In regelmäßigen Abständen wiederholt sich das Szenarium aufs neue: Aus einem Bahnschuppen der BVG in Zehlendorf holt ein Triebwagen zwei mit weißlichem Staub bedeckte Spezialkesselwaggons, Arbeiter mit Schutzanzügen werkeln an den Wagen herum - und dann geht's ab auf große Fahrt.

Auf den Strecken der Westberliner S-Bahn ist der Verkehr anscheinend noch nicht so stark, als daß es nicht immer wieder vorwitzige Disteln, Gräser oder Lupinen gibt, die ihre Köpfe durch den Schotter stecken. Eine solch unverantwortliche Verhaltensweise pflanzlicherseits mußte natürlich irgendwann die Bahngleishüter der BVG auf den Plan rufen, schließlich sind Ordnung und Sicherheit im Nahverkehr oberstes Gebot - man stelle sich nur vor, wenn ein lebensmüder Unkrautstengel, quer über den Gleisen liegend, einen ganzen Zug zum Entgleisen brächte! Dagegen, so mögen die Gedanken der braven BVGler gewesen sein, muß eingeschritten werden. Eingedenk der prekären Arbeitskräftesituation konnte ein manuelles Unkrautzupfen von vornherein nicht in Frage kommen, und so entschied man sich für gewisse Mittelchen, die dem sprießenden Bahngleisgrün den Garaus machen sollten. „Buctril“, „Pristar“ und „Garlon4“, so die Namen der zu Hilfe geholten Wundertäter, verrichten seither ihre Aufgabe gründlich. Das kann auch niemanden verwundern, sind doch beispielsweise in „Pristar“ solch freundliche Wirkstoffe wie Fluoroxypyr, Ioxynil oder Bromoxymil enthalten - Substanzen, bei deren Buchstabieren schon jeglichem Grashalm das Wachsen vergeht!

Wie muß da erst die Wirkung sein, wenn all das undisziplinierte Grünzeug es direkt auf die Blätter bekommt! Selbst dem Menschen scheinen die Chemikalien nicht wohlgesonnen zu sein - vor jeder Entgrünung werden zuvor die Bahnhöfe geräumt und verstecken sich die Männer, die die Pestizide versprühen, in undurchlässigen Kunststoffmonturen. Nicht evakuiert hingegen werden die Kleingärten, die an den Bahnstrecken liegen - und da die S -Bahn auch durch das Schutzgebiet „Beelitzer Hof“ zuckelt, ist nicht auszuschließen, daß das dort gewonnene Naß mit den obengenannten Substanzen eine innige Verbindung eigegangen ist.

Olaf Kampmann