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Telefonsex ist nicht sittenwidrig

■ Rechtskräftiges Urteil des Landesarbeitsgerichts: Arbeitsvertrag zwischen Telefonsex-Unternehmen und Telefonistinnen verstößt nicht gegen gute Sitten

West-Berlin. Sie inserieren vor allem in der Zeitung mit den großen Buchstaben. „Telefonhostessen“, „diskret“ und „tabulos“, bieten dort ihre Dienste an - ausschließlich telefonisch. Die anrufenden Freier, die ihnen Namen, Adresse und Telefonnummer durchgeben, werden zurückgerufen und akustisch massiert, die halbe Stunde für 50 DM.

Mit der neuen Branche Telefonsex machen so manche Unternehmer, die Telefonistinnen für sich arbeiten lassen, eine schnelle Mark - und zwar legal, wie das Landesarbeitsgericht in einem jetzt veröffentlichten Urteil entschied. Derartige Arbeitsverträge, so heißt es in dem rechtskräftigen Urteilsspruch vom 3. Juli sinngemäß, seien nicht sittenwidrig.

Maßgeblich für die Auslegung des Rechtsbegriffes der guten Sitten sei nämlich die dem Wandel der Zeit unterworfene, zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses herrschende Rechts- und Sozialmoral. Da die Vermittlung von solchen Telefongesprächen noch nicht besonders verbreitet sei, habe sich hier allerdings noch keine allgemeine Rechtsüberzeugung bilden können.

Offenbar auch deshalb zog das Gericht die Parallele zur Verbreitung pornographischer Schriften und Filme, die nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch ebenfalls als nicht sittenwidrig gelten. Telefonsex, so die Begründung der Richter, vermittle dem Kunden sexuelle Anregung lediglich durch ein Gespräch, bei dem die Telefonistin anonym und in ihrer körperlichen Integrität geschützt bleibe. Die akustischen Eindrücke für den Anrufer seien denen vergleichbar, die der Betrachter von Pornofilmen erhalte.

Im vorliegenden Fall hatte eine Frau ein Telefonsex -Unternehmen auf die Bezahlung von 31 Arbeitsstunden verklagt. Sie hatte vor anderthalb Jahren nebenberuflich und stundenweise in den Räumen des Unternehmens als „Telefonhosteß“ gearbeitet. Die Richter sprachen der Frau ein Entgelt für nur 21 geführte Telefongespräche zu weitere Tätigkeiten für die beklagte Firma habe sie nicht nachweisen können.

Nach diesem Urteil von Berlins obersten Arbeitsrichtern arbeiten „Telefonhostessen“ nunmehr sogar ein klein wenig abgesicherter als Prostituierte. Letztere nämlich haben vor den Gerichten wegen der in diesem Fall behaupteten „Sittenwidrigkeit“ ihres Tuns keinerlei Chance, ihren Arbeitslohn von zahlungsunwilligen Freiern einzuklagen. Frau fragt sich allerdings, warum die „Telefonhostessen“ nicht auf die Einschaltung eines - meistens noch männlichen Chefs verzichten, der fürs Nichtstun und das bloße Anbieten von Arbeitsräumen abkassieren und ihnen wie im vorliegenden Fall womöglich Geld vorenthalten kann. (Az. 3Sa15/90)

usche

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