Handeln statt schwadronieren!

■ Die parlamentarische Konstellation für die Fristenlösung ist günstig

DEBATTE

Die Sache ist ziemlich einfach. Die Grünen sind eine Partei. Sie sitzen im Bonner Parlament. Das heißt, sie haben das Recht, Gesetzesvorschläge im Bundestag einzubringen. Wie das geht, wissen sie, sie kennen die Geschäftsordnung. Handelt es sich um ein Gesetz, das eine Mehrheit der Bundestagsabgeordneten ablehnt, verläuft die Sache im Sande. Handelt es sich jedoch um ein Gesetz, dem mindestens 260 der insgesamt 519 Abgeordneten zustimmen können, kommt das Gesetz in den Bundesrat, in dem die Länder sitzen. Stimmt auch hier eine Mehrheit zu, muß nur noch der Bundespräsident unterzeichnen (ein gemeinhin formaler Akt). Und schon haben wir ein neues Gesetz.

Auf diesem Weg zum Beispiel könnte - ohne noch länger Zeit zu verlieren mit Diskussionen und Demonstrationen - zwar nicht die Streichung des §218 (dafür gibt es keine Mehrheit), aber die Fristenregelung (ohne Zwangsberatung!) verabschiedet werden. Denn drei der insgesamt fünf Parteien im Bundestag sind heute (wieder) ganz oder mehrheitlich für eine Streichung des §218 oder die Fristenregelung. Es sind: Die Grünen (mit 44 Abgeordneten), die SPD (mit 193 Abgeordneten) und die FDP (mit 48 Abgeordneten); also insgesamt 285 Abgeordnete - weit mehr als die einfache Mehrheit.

CDU/CSU haben in diesem Punkt aus ihrem Herzen noch nie eine Mördergrube gemacht. Sie werden unter keinen Umständen

-auch wenn sie die Wahl deswegen verlieren sollten! - für die Abtreibungsfreiheit ohne Zwangsberatung sein. Sie bleiben auf Vatikanlinie. (Der Botschafter der Papst-Politik in Deutschland, der Kölner Kardinal Meisner, hat bereits frank und frei erklärt: Lieber keine Wiedervereinigung als ein gesamtdeutsches Recht auf Abtreibung!)

Was unter diesen Umständen von der Süssmuthschen Sackgasse, dem angeblich dritten Weg, zu halten ist, darauf komme ich noch. Warum aber ergreift keine der drei infrage kommenden Parteien die Initiative?

Da ist die SPD. Sie tut sich, wie immer, schwer. Aber sie scheint sich unter dem Druck ihrer potentiellen Wählerinnen zum Widerstand gegen den auch von ihr gefürchteten Klerus und zu einer klaren Position pro Fristenregelung durchzuringen. Doch das braucht seine Zeit (und lieber würde auch die SPD sich drücken). Außerdem gibt es selbst innerhalb der SPD noch immer Kräfte, die es lieber bei den bestehenden Verhältnissen belassen würden, allen voran übrigens eine Frau (auch darauf komme ich gleich noch zu sprechen). Vor allem aber: Wer schon zwingt die Sozialdemokraten dazu, endlich auch im Parlament zu handeln?!

Dann sind da die Liberalen. Die FDP-Frauen und die Jungliberalen sind wohl überwiegend für eine Fristenregelung ohne Zwangsberatung. Die stellvertretende Parteivorsitzende Irmgard Adam-Schwätzer hat bereits in der Pro&Contra -Sendung im Juli entschieden Position für die Fristenregelung und gegen die Zwangsberatung bezogen. Aber da ist auch die Altherrenriege der FDP und vor allem: da sind die alten Füchse, die Koalitionspartner der CDU/CSU. Ein kompromißloses Bestehen auf der Fristenregelung würde die CDU/FDP-Koalition gefährden - das weiß Graf Lambsdorff.

Sicher, die FDP hat bei der Einführung der Fristenregelung 1974 eine führende Rolle gespielt - aber damals war sie noch Koalitionspartner der SPD. Jetzt ist sie wieder mehrheitlich für Fristenregelung, aber hält sich bedeckt. Und sie kann sich das erlauben, weil auch sie im Parlament von niemandem zum Handeln gezwungen wird!

Und damit wären wir bei den Grünen. Auch die tun nichts. Stimmt nicht? Ach ja: Sie diskutieren, demonstrieren und geben Statements ab.

Zum Beispiel die neue grüne Frauenministerin Waltraud Schoppe in Niedersachsen. Von der vermeldete die taz am 4.August, sie sei „für eine Zwangsberatung vor Schwangerschaftsabbrüchen“ (was in dieser Konstellation besonders komisch ist, da ihr Landeschef, der SPD -Ministerpräsident Gerhard Schröder, für die Fristenregelung eintritt).

Oder die grüne Ex-Bundestagsabgeordnete Verena Krieger. Die durfte einen Tag zuvor, ebenfalls in der taz, noch einmal breit darlegen, wie falsch und reaktionär es sei, gerade jetzt auch nur einen Finger für die Fristenregelung krumm zu machen: Nur die „ersatzlose Streichung des §218“ sei es wert, von einer Feministin erstritten zu werden.

Da sitzt eine aber auf einem verdammt hohen Roß! Die Machbarkeit von Politik und die Auswirkungen dieser Politik auf das Leben von Menschen scheint sie herzlich wenig zu interessieren. Für eine wie Verena Krieger zählt anscheinend nur der (selbst)befriedigende Effekt (pseudo)radikaler Sprüche. Und das hört sich dann so an: „Die Frauenbewegung gewinnt nicht an politischer Stärke, indem sie von ihren eigenen - inhaltlich nach wie vor richtigen - Forderungen abdrückt, sondern nur, indem sie ihnen Nachdruck verleiht!“

Aha. Gut, daß die grüne Abgeordnete Verena Krieger, die bis Juni für den linken Flügel ihrer Partei im Vorstand saß, das mal der Frauenbewegung erklärt (die selbstverständlich immer für die uneingeschränkte Streichung des §218 war und das auch weiterhin sein wird, sich aber unter den gegebenen Umständen über die Fristenregelung ohne Zwangsberatung freuen würde!). Was auch immer die Frauenbewegung von solchen Sprüchen hält: Den Kräften in der grünen Partei, die null Bock haben, wirklich gegen den §218 zu kämpfen, kommen sie gerade recht. Flankiert von Frauen wie Schoppe und Krieger sind die Grünen fein raus. Ganz wie SPD und FDP. Sie brauchen nicht zu handeln.

Nun gibt es neuerdings eine obskure „parteiübergreifende Frauenrunde“ in Bonn, die unter anderem so tut, als sei der §218 ausschließlich eine Angelegenheit von Frauen (und als seien alle Frauen gegen ihn). In dieser Runde sitzen Politikerinnen wie Süssmuth und Schoppe traulich beieinander. Jetzt ergriff auch noch die stellvertretende SPD-Vorsitzende Däubler-Gmelin eine „Fraueninitiative“ zum §218. Sie lud die Damen aller Fraktionen zum „parteiübergreifenden“ Gespräch und verkündete, ihre Frauenrunde würde den Schwestern von der CDU/CSU „gerne eine Brücke bauen“ und „einer Zwangsberatung zustimmen“, wenn nötig.

Haste Töne?! Mitten im Wahlkampf setzen sich eine Spitzen -Sozialdemokratin und eine Karriere-Grüne öffentlich für einen faulen CDU-Kompromiß ein - und das gegen aller Interesssen. Gegen die Interessen von Frauen. Und gegen die Interessen ihrer eigenen Parteien. Denn womit wollen SPD und Grüne denn eigentlich die Wählerinnen gewinnen, wenn sie sogar in einer so entscheidenden Frage nichts mehr von der CDU unterscheidet?

Von Schoppe überrascht uns das nicht. Die ist schon lange zu allem bereit (siehe Befürwortung einer geringeren Strafe für Vergewaltiger). Von der Juristin Däubler-Gmelin überrascht es uns auch nicht: Die scheint in ihrer Partei eine der wenigen frenetischen BefürworterInnen des Abtreibungsverbotes zu sein. Schon 1986 feierte sie den von der CDU/CSU via Verfassungsklage erreichten neuen geltenden §218 zu seinem 10jährigen Bestehen in einer Vierfarb -Jubelbroschüre mit den Worten: „Wir sind stolz auf unsere Reform.“

Ein Glück nur, daß es in der SPD und bei den Grünen (und selbst in der FDP) auch andere Kräfte gibt. Allerdings: Nur die Grünen haben die Streichung des §218 auch im Parteiprogramm stehen. Eine Initiative für die Fristenregelung wäre in der grünen Fraktion also das mindeste und auch ohne Probleme mehrheitsfähig.

Und die Sozialdemokraten? Bei denen scheint die neue Politikergeneration begriffen zu haben, was die Stunde geschlagen hat. Vogel und Lafontaine haben sich jetzt zögernd für die Fristenregelung ausgesprochen. Und auf Anfrage von 'Emma‘ erklärten alle SPD-Ministerpräsidenten der Länder, daß sie für Fristenregelung und gegen Zwangsberatung sind. Nur Pfarrersohn Johannes Rau zaudert noch, aber auch er denkt nach, seine Pro-§218-Position „relativiert“ sich nach seinen eigenen Worten.

Der rot-grüne Berliner Senat - vorweg der gute Momper und die vier Senatorinnen - hat jetzt nicht nur für Berlin den provokanten Vorschlag einer Gesamtberliner Fristenregelung gemacht, sondern auch den Bundesrat aufgefordert, für eine gesamtdeutsche Fristenregelung aktiv zu werden. Diese Fristenregelung ginge in dem SPD-mehrheitlichen Ländergremium jetzt auch durch.

Also, worauf warten die Fraktionen der Grünen, der SPD, der FDP im Bundestag, endlich ein Gesetz zur Abschaffung des §218 und zur Einführung der Fristenregelung (ohne Zwangsberatung!) einzuführen? Demonstriert haben wir genug. Geredet wurde schon viel zu viel. Jetzt darf gehandelt werden. Dafür haben wir sie schließlich gewählt, die PolitikerInnen! Für mich ist klar: Ich gebe bei dieser Wahl nur einer Partei meine Stimme, die im Parlament die Initiative für die Fristenregelung ergreift.

Alice Schwarzer

Herausgeberin der Frauenzeitschrift 'Emma‘