Bagatellen - Ich, Walburga

■ Lebens-Geschichten von Ernestine Zielke, Schauspielerin / Bisher unveröffentlichte Auszüge / taz-Sommer-Serie, Folge 2

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Vielen BremerInnen ist sie ein Begriff: Ernestine Zielke, streitbare Schauspielerin, seit '62 in Bremen und ein Bild von einer sogenannten „unwürdigen Alten“, mit ihrer knallroten Löckchenpracht. Seit einiger Zeit schreibt sie, eine vom Jahrgang 1923, an ihren Erinnerungen entlang. Es ist keine Autobiographie, aber alles könnte zumindest genauso gewesen sein.

Lieber Gott, behüte mich und meine Eltern gnädiglich....

Ich, Walburga, weiß, daß Mama hinter der Tür steht und horcht - nein, sie lauscht, das ist etwas anderes. Ich bete lauter, das wird sie freuen...

....auch meine Schwestern vor Gefahr mit deinem starken Arm bewahr. Amen.

Das Licht hinter der Tür geht aus. Walburga hatte sehr früh lernen müssen, genau hinzusehen, sie rannte immer mit weitaufgerissenen Augen herum. Besonders genau betrachtete sie die Gesichter. Sie weinte viel, ohne Anlass, wie man sagte. Sie hat am Wasser gebaut, sagte die Mutter.

Wenn das Licht ausgegangen war, atmete sie erleichtert auf. Jetzt hatte sie Zeit, unbeobachtet zu spielen, und sie konnte Fragen stellen, ohne ausgelacht zu werden.

Ich verstehe nicht, was das heißt: Du wirst es schon machen. Was ist ES ? Mama sagt, sie vertraut mir. Worin ? Sie traut mir etwas zu. Was ?

Ich habe alle Kinder gleich lieb, sagt sie nur zu mir - mit einer Handbewegung wie BASTA und SIMSALABIM. Als mir einmal ein Zahn gezogen war, hat sie mich huckepack nach Hause getragen. Ich konnte meinen Kopf auf ihre Schulter legen. Das war schön. Gestern Nacht hat sie die nasse Bettwäsche unter mir weggezogen und sich dann zu mir gelegt. Ich lag mit meinem Bauch an ihrem Rücken. Wir nennen es Löffelchenkästchen. Wir haben echte silberne Teelöffel, die liegen genauso in einem Kästchen auf weichem Samt - dabei ist es Mamas vorstehendes Schulterblatt. Wenn ich aufwache, ist sie schon weg, und das nasse Bettzeug ist verschwunden. „Das geht keinen was an“, sagt sie, und wieder macht sie dabei die Handbewegung wie BASTA und SIMSALABIM, die ich nie vergessen werde. Sie bewahrte mich vor dem ZIPZIPZIP meiner Geschwister, die bei jedem ZIP mit dem linken Zeigefinger auf mich zeigten und mit dem rechten Zeigefinger darüberstrichen.

Aber heute war ich wütend. Ich habe die verpißte Wäsche aus dem Versteck geholt und mitten in die gute Stube geschmissen. Ich habe nicht geweint - auch nicht allein. Den Zauberstab meiner Mutter habe ich kaputt gemacht - darüber möchte ich weinen.

Ich will wissen, was dieses ZipZipZip für eine Bedeutung hatte. Auf dem Schulhof haben wir gespielt: „Ist die schwarze Köchin da ? Neinneinnein Dreimal muß sie rummarschieren das vierte Mal den Kopf verlieren das fünfte Mal komm mit - mit - mit Da steht sie ja, da steht sie ja Zip Zip Zip“.

Zip gleich Schipp. Das jiddisch-mitteldeutsche Schipp bedeutete auch „Du bist erkannt“. Dabei deutete man mit dem linken Zeigefinger auf die am Pranger Stehenden. Mit dem rechten Zeigefinger wehrte man den BÖSEN BLICK ab.

Walburga hat den Pranger besser ausgehalten als Mutters Versteck. Daß die Schwestern sie „Auf die Schippe“ nahmen, den Spott, den konnte sie zurückzahlen durch Unverletzlichkeit. Sie verdarb ihnen den Spaß.