Schlimme Mischung

■ „Vincent van Gogh und die Moderne 1890-1914“ in Essen: Man sieht, was man weiß

Von Ulf Erdmann Ziegler

Der Maler des 19. Jahrhunderts, der sich bei der Pariser Materialienhandlung Tasset & l‘ Hote Leinwand bestellte, hatte die Auswahl zwischen drei Formatreihen: Figure, Paysage oder Marine. Die Leinwand für die Meeresthemen ist eher länglich, zur Figure hin wird sie kompakter. Dieses Format bevorzugte Vincent van Gogh.

Daß es nicht van Gogh war, der die Malerei von den engen Traditionen eines bürgerlichen Akademismus befreit hat, ist bekannt. Im Gegenteil. Ohne die Impressionisten wären wohl dem gescheiterten Prediger, der dem Pittoresken des düsteren Elends verfallen gewesen war, nie die Augen aufgegangen.

Welche Wirkung aber hatten, nachdem sich der französische Holländer mit 37 Jahren aus dem Leben geschossen hatte, seine Bilder auf die Maler der „Moderne“? Diese Frage versucht, in einem engen zeitlichen Rahmen (bis 1914), eine Ausstellung im Museum Folkwang in Essen zu beantworten. 186 Bilder, fast ausschließlich Ölbilder, sind zusammengebracht worden. 54 davon, also kein Drittel, stammen von Vincent van Gogh. Die restlichen 132 Bilder stammen von 52 anderen Künstlern, also im Schnitt gut zweieinhalb.

Das Rechenbeispiel zeigt, was die Ausstellung vielleicht leisten könnte: assoziative Zusammenhänge knüpfen; und was sie gewiß nicht kann: eine Beweiskette bilden.

Natürlich weiß man, daß Matisse, Munch, Picasso oder Beckmann bei van Gogh kaum für die Länge einer Werkphase verweilt sind. Deshalb kennen wir ihre Namen. Sie haben dazugelernt. Es ist aber schon verblüffend zu sehen, wie etwa Kandinsky von van Gogh das Motiv des Schlafzimmers in der Totalen übernimmt (das offene Fenster am oberen Bildrand und das Bett vom Fußende her gesehen, perspektivisch stark verkürzt). Sonnenblumen und Olivenhain, die Straße bei Nacht, bestimmte Typen von Portraits: Wer von van Gogh lernen wollte, mußte auch Motive übernehmen. Der Vorbildmaler hatte Motive und Farbe, Genre und Duktus offenbar zu unauflösbaren Paketen verschweißt.

Bei anderen Malern, Jan Sluyters etwa, Emile-Othon Friesz oder Max Pechstein, gerät der van Gogh-Einfluß in die Nähe des Plagiats. Man erschrickt dann doch. Vincent van Goghs Bilder sind ja keine schrillen Meisterwerke, tragen oft Spuren der Eile, lassen Fragen offen: aber in ihrer Bescheidenheit teilen sie klar leserlich mit, welcher Magnet den Maler anzog, und diesem Ereignis (eher als Gegenstand) sind sie in intensiver Bescheidenheit gewidmet. Den anderen läuft schon der Gegenstand weg. Max Pechstein oder Christian Rohlfs vergrößern den Duktus van Goghs (diesen „Regen“), schwemmen Wiesen und Bäume auf zu bunten Monstren. Bunt und öd, eine schlimme Mischung. Nicht daß sie ihn kopierten, stößt einem so übel auf, sondern wie sie den Gegenstand dafür benutzen, ohne ihn - wie dann Kandinsky - tatsächlich preiszugeben.

Wie es mit diesen Malern weiterging, muß man wissen oder raten. Die Ausstellung zeigt nur Beispiele, die nach Ländern geordnet sind: Erst die Franzosen, die van Gogh noch kannten (Gauguin) oder gleich nach seinem Tod Zugang zu den Bildern haben; die Holländer, für die van Gogh gleich im folgenden Jahrzehnt zum Nationalheld wird; die französischen „Wilden“, die van Goghs kommerzielles coming out in Paris erleben; und, sehr breit, die Deutschen der Brücke (Dresden) und des Blauen Reiters (München), bei denen durch die Teilpublikation der Briefe Vincent van Gogh erst als Figur (und in Schwarzweißreproduktionen), dann erst als Maler in Erscheinung tritt.

Wenn die Ausstellung also Vincent und die Seinen in Ländergruppen vorstellt, dann um eine Wirkung des Werks vorzustellen, die sich in zeitlichen Schüben ereignete und sehr unterschiedliche Muster der Vermittlung auf der Ebene von Presse, Museen, Galerien und zu den Künstlern hin hervorbrachte. Das wird durchaus deutlich, wenn Roland Dorn, für die van Gogh-Show als Gastkurator im Museum Folkwang engagiert, mit dem Kritiker der taz den Rundgang macht. Gerade seine eher kryptischen Erklärungen machen deutlich, daß unverzichtbare Hinweise sehr wohl auf Texttafeln gepaßt hätten. Die einzigen Texte, die dem Besucher beim Rundgang zur Verfügung stehen, sind kleine Schildchen, die zu jedem Bild van Goghs klären, auf welchen wichtigen Ausstellungen bis 1914 es zu sehen war, sowie die üblichen Nachweise.

Es bleibt bei einer Bilderschau, ein großer Rundgang mit vielen Durchbrüchen, gleichmäßiges fahles Neonlicht, durchschnittliches museales Ambiente. Nicht nur der Text fehlt, es fehlt jede Art visueller, räumlicher oder graphischer Aufbereitung. Abgesehen davon, daß eine Rezeptionsgeschichte nun wirklich nicht nur in Bildern nachweisbar ist. Wenn, wie Fred Leeman im Katalog erwähnt, in den ersten Jahren nach dem Tod des Malers achtzig Kritiken in Zeitungen Hollands erschienen - eine Vitrine mit diesen Texten würde mir eine Ahnung der Resonanz verschaffen. Die Vermittler, allen voran die Schwägerin Johanna van Gogh-Bonger, die den Nachlass von über 550 Gemälden, Hunderten von Zeichnungen und Briefen verwaltete und unter die Leute brachte, hat doch Gesicht und Namen. Wenn Vincent van Gogh nun schon für (stattgefundene) Ausstellungen (nicht verwirklichte) konkrete Ideen hatte, wie die Bilder zu hängen seien, wie Dorn im Katalog herausstreicht - warum gibt es dann nicht eine Rekonstruktion?

Von der Museumspädagogik, von umfassenden Versuchen in den achtziger Jahren, atmosphärische, suggestive Ambientes einzurichten, ist in Essen nichts geblieben als die Biederkeit. Zudem beginnen die Sicherungsanlagen die Einrichtung zu dominieren. Nicht nur, daß alle Bilder (van Goghs) unter Glas sind - das ist bedauerlich, aber einzusehen. Durch die ganze Ausstellung läuft eine etwa dreißig Zentimeter tiefe Fußleiste (elektronische Sicherung der Distanz zum Bild), die - auf hellem Boden dunkel, auf dunklem Teppich hell - die gesamte Ausstellung visuell beherrscht.

Zu dieser Präsentation paßt dann auch die Pressekonferenz, auf der Bekanntes wiederholt und Gefragtes nicht beantwortet wird. Die neue Strategie heißt Mauern. Zum Beispiel behauptet Georg-W. Költzsch, Direktor des Museums, man habe keine Schwierigkeit gehabt, wichtige Bilder zu bekommen. Es ist aber nur zu deutlich, daß Beckmanns Straße bei Nacht van Goghs Nachtcafe zum Vorbild hat. Das Nachtcafe aber ist nicht da.

Dreister noch Klaus Liesen, Vorstandsvorsitzender der Ruhrgas AG Essen, die die Ausstellung gegen entsprechende Reklame fördert. Er unterhält die Journalisten mit Details aus der Unternehmensphilosophie des Erdgasimports und Platitüden über die Kunst. Nur, was das Unternehmen begesteuert hat, will er nicht sagen, explizit nicht. Herr Költzsch wird aber dem Steuerzahler die komplette Schlußrechnung nicht vorenthalten können.

Für den, der Zeit mitbringt, ist eine schlecht gemachte Ausstellung keine Katastrophe. Es gibt immer Bilder zu entdecken, zumal jene, die sonst im Privatbesitz sind. Enttäuschend ist aber der Katalog. Da gibt es zwar kompetente und gut lesbare Beiträge, vor allem von Roland Dorn, aber die Rezeptionsgeschichte bleibt oft zu vage. Und zwar, weil die Begriffe nicht geklärt sind. War das Dogma der Impressionisten („objektive Widergabe der Natur“), dem Vincent van Gogh bis zum Ende seines Lebens verfallen war, haltbar; wurde es durch van Gogh malend widerlegt (warum konnte oder wollte er es dann nicht formulieren?); hat van Gogh den Expressionismus wirklich vorweggenommen, oder handelt es sich um eine unzulässige postume Vereinnahmung? Van Gogh ist auf der Schwelle. Hier muß auch Schwellenkunde betrieben werden. Die Theorie fehlt weitgehend.

Die Farbwiedergabe des Katalogs ist übrigens mehr als ungefähr. Eine graphische Betreuung fand nur für den Einband statt - das Ergebnis ist fürchterlich; für die Katalogseiten verließ man sich aufs Gutdünken. Aufbau, Konzeption, Autoren, generelle Artikel und Bildkommentar sind schlecht auszumachen oder zu unterscheiden. Dafür gibt es Mittel: Fettdruck, Kapitälchen, unterschiedliche Satzspiegel, etc. Der Katalog komplettiert einen fatalen Eindruck: Die Museumsleute sind zufrieden, wenn die teuren Bilder angekommen sind. Daß die eigentliche Arbeit darin besteht, den Besuchern die Bilder nahezubringen, Erkenntnisse zu vermitteln, ist in Vergessenheit geraten. Anders gesagt: Die Essener waren faul. Der Rummel kommt sowieso. Es ist wohl kein Zufall, daß Direktor Költzsch die Eintrittspreise (15 DM/ 5 DM) versuchte im Vergleich mit dem Bochumer Starlight Express in ein gutes Licht zu rücken.

Vincent van Gogh und die Moderne, 1890 bis 1914; Museum Folkwang, Essen, bis zum 4. November 1990, dienstags bis sonntags, 10 bis 20 Uhr, freitags bis 24 Uhr. Anmeldungen von Gruppen unter 0201/888 422.