Raumgleiter im „Plasmawindkanal“

■ Stuttgarter Wissenschaftler testen in einer neuen Experimentieranlage Hitzeschilder für Raumfahrzeuge der Zukunft Grundlagenforschung an neuartigen Triebwerken wird durch Bonn finanziert - und mit SDI-Mitteln des Pentagon

Wenn Meteoriten in die Erdatmosphäre eindringen, werden sie abgebremst und verglühen. Von unten sieht man Sternschnuppen. Ohne ihre Hitzeschutzschilder würden auch Raumtransporter bei ihrer Rückkehr zur Erde unweigerlich zu Sternschnuppen. Die in Erdnähe rund 28.000 Stundenkilometer schnellen Flugkörper werden beim Wiedereintritt in die Atmosphäre ziemlich unsanft abgebremst. Dabei müssen sie nicht nur Oberflächentemperaturen von bis zu 2000 Grad, sondern auch erheblichen Drücken standhalten.

Mit den Hochtemperaturproblemen künftiger Raumtransportsysteme befaßt sich ein neuer Sonderforschungsbereich der größten deutschen Luft- und Raumfahrtfakultät an der Universität Stuttgart. Das Institut für Raumfahrtsysteme hat im vergangenen Monat gleichzeitig eine in Europa einzigartige Experimentieranlage in Betrieb genommen: Im neuen lichtbogenbeheizten Plasmawindkanal kann die kritische „heiße“ Phase eines Raumflugs beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre simuliert werden. Bereits jetzt werden in Stuttgart laut Institutsdirektor Ernst Messerschmidt 80 Prozent aller europäischen Wärmebelastungstests für Hitzeschutzmaterialien durchgeführt, die beispielsweise für den geplanten Raumgleiter Hermes verwendet werden sollen. Ein erster zu diesem Zweck eingerichteter Plasmawindkanal ist auf Jahre ausgebucht. Die neue, rund 2,5 Millionen Mark teure Anlage soll ausschließlich der Grundlagenforschung dienen. Gebaut wurde die Simulationsanlage mit Geldern des Bundesministeriums für Forschung und Technologie.

Laut Messerschmidt hängt gerade von der Entwicklung des Hitzeschutzes die Realisierbarkeit einer neuen Generation wiederverwendbarer Raumtransporter entscheidend ab. Bei den Tests in der Stuttgarter Anlage sei in erster Linie Präzision gefragt. Ist die tatsächliche Temperatur beim Wiedereintritt nur um 50 Grad höher als zuvor im Simulator getestet, kann dies unmittelbar in die Katastrophe führen. In der Testanlage, einem evakuierten Stahltank von zwei Metern Durchmesser und fünf Metern Länge, wird der sogenannte „Plasmawind“ über eine Hochstromanlage mit Hilfe eines „Plasmabrenners“ erzeugt. Dieser „Wind“ - mit dem, was man gemeinhin darunter versteht, hat er wenig gemein besteht aus einem hochenergetischen Sauerstoff-Stickstoff -Luftgemisch. Am Ende des Vakuumtanks trifft das heiße Mikrobombardement auf die Werkstoffprobe. Die Wissenschaftler erhoffen sich von ihrem Plasmawind-Simulator neben neuen Erkenntnissen über hitzeresistente Werkstoffe auch solche über günstige Bauweisen und Strukturen künftiger Raumgleiter.

Die Wechselwirkungen zwischen dem Wandmaterial und der heißen Plasmaströmung sind noch weitgehend unbekannt. Relativ klar auf der Hand liegen dagegen die Anforderungen an die Werkstoffe: Sie müssen leicht sein, extreme Temperaturschocks schadlos überstehen und resistent gegen Erosionen sein. Seit der Entwicklung jener Keramikkacheln, die noch heute die amerikanischen Space-Shuttles vor der Reibungshitze schützen, sind erhebliche Fortschritte in der Werkstofftechnik erzielt worden. Das ist auch notwendig. Denn dieser Hitzeschutz wäre beispielsweise für den weit kleineren europäischen Raumgleiter Hermes viel zu schwer. Als aussichtsreich gelten heute faserverstärkte Keramiken, die den größten Teil des Wärmestroms wieder abstrahlen. Fasern, etwa aus Kohlenstoff und Siliciumcarbid, werden dazu zu einem Gewebe verflochten, mit Bindemitteln getränkt, gepreßt und anschließend verkokt.

Parallel zur Plasmawindkanal-Simulation befassen sich die Stuttgarter Raumfahrtforscher mit „Aerothermodynamik“. Anhand theoretischer Modelle sollen dabei die Wechselwirkungen zwischen Flugkörpern und Plasmaströmen und die resultierenden Gas-Oberflächen-Reaktionen beschrieben werden. Ziel ist es, Grundlagen zu liefern, für die laufende Neuorientierung in der Raumflugtechnik. Dabei sollen sogenannte Hyperschall-Raumflugzeuge, ausgestattet mit einer neuen Generation „luftatmender“ oder „magnetoplastischer“ Triebwerke, horizontal starten und landen können.

Bundesforschungsminister Riesenhuber ist als Geldgeber auch hier dabei - wie bei, allem was technisch kompliziert, prestigeträchtig und teuer ist. Der Technik-Freak in Bonn will die Entwicklung des vom Rüstungsunternehmen MBB vorgeschlagenen High-Tech-Vogels Sänger vorantreiben, ein zweistufiger Raumtransporter, dessen erste Stufe ein Hyperschall-Flugzeug mit Reiseflug-Fähigkeiten werden soll. Der Sprung in das neue, sündhaft teure Projekt ist heftig umstritten, seit die Bundesregierung vor drei Jahren ihr Jawort gab. Kritiker erinnern daran, daß die Bundesrepublik bereits ein Viertel der Entwicklungskosten für den europäischen Raumgleiter Hermes berappen muß - das allein kostet schlappe neun Milliarden. Sinkt Sänger in ein neues Milliardengrab? Die Stuttgarter Wissenschaftler machen sich da keine Sorgen. Vielmehr erwarten sie gerade von Sänger einen immensen Technologieschub, insbesondere für die zivile Luftfahrt. Sogenannte „magnetoplasmatische“ Triebwerke stehen allerdings auch auf der SDI-Liste des Pentagon. Das Institut des ehemaligen Wissenschaftsastronauten Messerschmidt geriet denn auch unter Verdacht, am US-amerikanischen „Krieg der Sterne„ -Projekt zu partizipieren. Das hat sich inzwischen bestätigt. Zwischen 1987 und 1989 schoben die Pentagon -Strategen rund 200.000 Dollar für die Arbeit an solchen Triebwerken rüber. Messerschmidt kann daran nichts finden. Im Grunde sei das wie bei der Erforschung von Motoren für Schwerlastwagen: „Sie können Kanonen daraufbauen, aber auch Raumstationen für den Mars“.

Erwin Single