Vom Lichtspielwesen

■ DEFA-Souvenirs: Geschichte und Geschichten aus der Babelsberger Traumfabrik. Eine Serie von Christoph Busch

Seit Anfang Juli ist die DEFA eine GmbH. Sie darf in der nächsten Saison noch sechs waschechte DDR-Filme produzieren, aber das Rezept für die Zukunft lautet: Auslandsaufträge. Als erster kam Loriot. Er dreht in Babelsberg Papa ante portas. Dennoch warten viele DDR-Filmschaffende zur Zeit auf ihre Entlassungspapiere: Die Zukunft der DEFA ist undurchsichtig. Eine Ursache sind Nachwirkungen der Vergangenheit: Abgestufte Privilegien, Konflikte zwischen „Künstlern“ und Belegschaft, zwischen ästhetischem Anspruch und Schrebergartenpflichterfüllung. Das DDR-Filmwesen war eingeklemmt zwischen Zensur und der Kunst der indirekten Rede einerseits und den soliden Arbeitsbedingungen andererseits. Christoph Busch hat für seine fünfteilige Serie in den Annalen gekramt, Experten konsultiert und mit Mitarbeitern gesprochen. Letzte Folge: Abenteuer eines Friedfertigen und Erinnerungen an Wolfgang Staudte.

Abenteuer eines Friedfertigen heißt die Koproduktion des DDR -Fernsehens mit der DEFA, die gerade im Babelsberger Freigelände abgedreht wird. Der Stoff aus den Befreiungskriegen zu Napoleons Zeiten hat zwölf Jahre gelegen. Der Regisseur will nicht erklären, woran das gelegen haben kann, damit die Leute scharf auf den einst „verbotenen“ Stoff bleiben. Der Autor erklärt es mit Dialogpassagen wie: „Heute erschossen und morgen rehabilitiert, wenn das um sich greift im Lande, wird's bald an braven Kerlen fehlen.“ Dabei fängt es auf Seite 1 des Drehbuchs so nett an: „Puttsiegel (der Held) versucht durch liebevolle Massage, der Ziege mehr Milch zu entlocken.“ Sein Monolog derweil: “...und einen wärmenden Gedanken an Frederike meine liebe Braut...“ Zuständiger Fernsehbereich: „Heitere Dramatik“. Regisseur Peter Hill: Nein, das sei keine Beschäftigungstherapie, sondern ein guter Stoff. Nur weil ehemals nicht genehm? Nein, sowieso und auch für den „Europäischen Markt“. Vielleicht ist das ein neues Wort für Komödienstadl. Im Titel vor der friedlichen Revolution waren es übrigens noch „Kriegerische Abenteuer...“

Harry Fuchs, Tonmeister dieses Abenteuer-Films, ist seit 36 Jahren bei der DEFA: „Wenn man mit Staudte zusammenarbeitete, wurde alles im Team besprochen: Wer hat einen Vorschlag? Wenn der gut war, wurde er realisiert. So ähnlich wie bei Fassbinder. Zum Beispiel hab‘ ich mal für Mutter Courage eine Idee gehabt. Mutter und Tochter hatten nur noch ein Stück Brot. Die Tochter wollte da ran. Nun hatten wir uns alle überlegt: Was könnte man daraus am besten machen? Und ich habe gesagt: Es wäre doch gar nicht schlecht, wenn ein richtiger Kampf zwischen den beiden entsteht, und das Brot zerkrümmelt, so daß keine von beiden was hat. Der Vorschlag wurde angenommen, und dafür gab es zehn Pfennig West als Belobigung.“

Szenenwechsel: Gertraude Acker wohnt in bester Ost -Berlinlage. Aber die Hochhausfassade bröckelt, die Alu -Eingangstüren sind von Tritten verbeult, und im Aufzug quietscht es beängstigend. Der Flur im 17.Stock ist mit gelber Ölfarbe gestrichen, auf dem Boden Linoleum, die Decke niedrig abgehängt, um Heizungsrohre zu verstecken. „Wie in einer Kasere“, sagt Frau Acker selbst.

Sie ist 67, hat volles, weißes Haar und energische Augen mit vielen kleinen Falten drumherum. Die gelernte Schauspielerin setzt ihre Stimme bewußt sein. Ihren Arbeitsstil beschreibt sie passend zum Hausnamen als „Tiefpflügen“ und sich selbst als „Zugpferd“. Sie will nicht erzählen, weil sie sich vor lauter Arbeit nichts hat merken können. Außerdem sei alles „Schnee von gestern“.

Seit sie vor sieben Jahren bei der DEFA aufgehört hat, versucht sie, die Vergangenheit zu löschen. Heute beschäftigen sie die Probleme von heute. Zum Beispiel die Ausländer. Sie habe gedarbt, um etwas für diese brennenden Menschen und gegen den Krieg in Vietnam zu tun. Nur einfache Kleider getragen. Und heute spuckten sie in der Kaufhalle nebenan dem Geschäftsführer auf die Theke, weil er ihnen nicht so viel Wurst wie gefordert geben wolle.

Angefangen hat sie als Schauspielerin „in der Republik“, was DDR-Deutsch ist für: Außerhalb der Hauptstadt. „Ganz ohne Beziehungen“, einfach übers Personalbüro bekommt sie eine Chance beim DEFA-Film - als Ateliersekretärin, was ostordentlich für Script steht. Mit Staudte schrieb sie 1952 über ein halbes Jahr das Szenario des Kleinen Muck zum präzisen Drehbuch um. Gearbeitet wird bei Staudte zu Hause, im Westen also. Der Regisseur habe viel Phantasie und immer alles richtig vor Augen gehabt. Das kam dann so exakt ins Drehbuch, daß es im Studio nur noch „umgesetzt“ werden mußte. Sie selbst habe hinterher schon im Voraus gewußt, daß die Elefanten von links kommen mußten, damit der Anschluß stimmt. Andere Regisseure, Namen soll ich nicht nennen, wären erst in der Dekoration auf Ideen gekommen, hätten erstmal rumgebrüllt, um Zeit für ihre Überlegungen (und Autorität) zu gewinnen. „Die erste Klappe fiel bei denen um halb zwölf.“

Wegen der guten Vorbereitung wurden Staudtes Filme auch bei großem Aufwand nich zu teuer. Pannen gab's natürlich trotzdem. Wie die mit den Eselsohren beim Kleinen Muck: „Die mußten ja abgeschnitten werden. Aber es war nur ein Paar angefertigt worden. Deshalb konnte die Einstellung nicht sofort wiederholt werden. Erst am nächsten Tag, nachdem drei weitere Paare aus Fellimitat gebastelt worden waren.“

Frau Acker hat auch selbst vor der Kamera gestanden, aber nur „klein-klein“, denn sie wechselte in die Besetzungsabteilung, war schließlich deren Leiterin und wollte nicht in den Verdacht kommen, sich schöne Rollen zuzuschustern und ihre Mitarbeiterinnen für sich mitarbeiten zu lassen. Wegen der Unbestechlichkeit hat sie sich auch immer „frei von Freundschaften“ in dieser Szene gehalten.

Um die richtigen Darsteller zu finden, waren Fotos eine wichige Arbeitsgrundlage. Bei geanuer Betrachtung habe sie manchmal über die DarstellerInnen mehr gewußt als deren Eltern oder Freunde. Auch verkannte Begabungen habe sie anhand von Fotos erkannt. Bezahlt wurden ihre „Gaukler“ nicht nach Namen, sondern nach Leistung: Der Schauspielstudent bekam maximal hundert Mark, nach dem Examen und zwei Pflichtjahren dann 150 bis 200. Mit der Anzahl der Filme und der Rollengröße stieg sein Tarif weiter. Bei tausend Mark wurde „eingefroren“. Sie hatte zehn Tausender. Nur die Weigel habe 1.300 gekriegt, wegen „Raffgier“. Aber das ist nicht über Frau Ackers Schreibtisch gegangen, sondern hintenrum.

Frau Acker war auch in der SED. Aus Überzeugung. In dem Bereich, in dem sie nicht nur „Kenntnis“, sondern das Sagen gehabt habe, sei es immer korrekt zugegangen. Sie ist entsetzt über „den Schlamm, der da hochgekommen ist“. „Wer in der DDR nur seine Arbeit gemacht hat, hat es zu nichts bringen können, finanziell.“ Und die jetzt mit ihren mehreren Gehältern und Nebeneinkünften und Häusern...

Auf Fotos von sich selbst hat sie nie Wert gelegt. Wenn ihr ein Kollege mal eines schenkte, habe sie es mit „Gib mal her“ zu den Akten genommen. Eine Ausnahme scheint das blasse, orwofarbige Foto zu machen, das sie aus einer Schublade holt. Es entstand bei den Dreharbeiten zum Kleinen Muck in herrlicher Aprilsonne. Staudte balanciert in kurzer Hose mit einem großen Gartensonnenschirm über einen Balken und auf die sitzende, schwarzhaarige, lachende Gertraude Acker im Sommerkleid zu.

Zurück zu den aktuellen Dreharbeiten. Des Abenteuers Tonmeister sitzt in der Sonne vor der engen Hütte, in der gerade inszeniert wird. Hinter ihm der künstliche Mühlbach, vor ihm über Monitor das Lachen des Teams. Herr Fuchs erinnert sich nochmal an Mutter Courage, Staudtes letzten Versuch, im Osten zu drehen. „Staudte wollte in Farbe drehen. Brecht war einverstanden. Nach 800 Metern Stopp, weil Brecht doch Schwarzweiß vorzog. Staudte fuhr dann mit Simone Signoret auf einem Leiterwagen herum. An dem hing ein Schild: Das ist das Ende.“ Ab 1955 arbeitet Wolfgang Staudte nur noch im Westen.