Berlins Angst vor 300.000 DDR-Staatsdienern

■ Die Schaffung des künftigen Stadtstaats Groß-Berlin wirft gewaltige Probleme auf: Die Konzentration staatlicher Institutionen in Ost-Berlin zwingt zur Übernahme von Hunderttausenden DDR-Staatsdienern / Keiner will die „SED-Betonköpfe“

Von Kordula Doerfler

Berlin (taz) - Erbt der künftige Stadtstaat Berlin den Löwenanteil des ehemaligen DDR-Staatsapparates? Mit dieser brisanten Frage beschäftigt sich seit einigen Tagen die Berliner Öffentlichkeit. Der künftige Stadtstaat Groß -Berlin, in dem sich die deutsch-deutsche Einigung exemplarisch auf engstem Raume vollzieht, steht mit der Einheit vor riesigen finanziellen und ökonomischen Problemen. In den Verhandlungen zum Zweiten Staatsvertrag wird derzeit hinter verschlossenen Türen unter anderem über die Modalitäten verhandelt, mit denen der öffentliche Dienst der DDR in den gesamtdeutschen Staat integriert werden soll. Dabei geht es auch um das Problem, was mit dem aufgeblähten DDR-Staatsapparat geschehen soll und welchen Ländern dessen rund 220.000 MitarbeiterInnen zugeschlagen werden sollen.

Ort der Institution entscheidet über die Übernahme

Nach dem Stand der Verhandlungen wird das Land Berlin dabei die Hauptlast tragen müssen, denn die Bundesregierung hat sich mit der DDR auf das Prinzip geeinigt, daß der Apparat nach dem sogenannten Belegenheitsprinzip verteilt wird. Das heißt, das Land, in dem die Institutionen liegen, muß sie auch künftig tragen - es sei denn, es handelt sich um ausgesprochene Bundesaufgaben. Der Bedarf der Bonner Behörden wird jedoch allgemein als „gering“ bezeichnet. Mit der Einführung einer föderativen Struktur gehen zudem viele bisher zentralistisch organisierte Institutionen auf die Länder über - wichtigster Bereich für Berlin ist die Polizei, die bisher immer noch dem DDR-Innenminister untersteht.

Konkurrenz des Kalten Krieges fordert ihre späten Opfer

Was damit auf Berlin zukommt, ist derzeit nur in Konturen erkennbar: Der Ostberliner Innenstadtrat Thomas Krüger (SPD) nannte letzte Woche im Gesprach mit der taz als erster Politiker eine Größenordnung. Auf 300.000 Menschen beläuft sich seinen Schätzungen zufolge die Zahl derer, die künftig zum ohnehin aufgeblähten Westberliner öffentlichen Dienst dazukommen.

In Berlin haben nicht nur die meisten Ministerien ihren Sitz, dazu kommt ein Konglomerat von wissenschaftlichen und kulturellen Einrichtungen wie die Akademie der Wissenschaften, die Humboldt-Universität, zahlreiche Theater etc. Mit der künftigen föderalen Struktur sollen die meisten, so stellt es sich Bonn vor, an die Länder übergehen - in West-Berlin gibt es jedoch in vielen Fällen spiegelbildliche Einrichtungen.

Der Westberliner Senat reagierte auf die Äußerungen Krügers ausgesprochen aufgeschreckt. Pressekonferenzen mehrerer Senatoren folgten rasch aufeinander, offen zu Tage trat vor allem eines: Die Westberliner Regierung ist auf diesen Fall überhaupt nicht vorbereitet und hat kaum konkrete Zahlen über das, was auf das Land zukommt. Als Lösung fiel den Berliner Regierungsmitgliedern nicht viel ein, was bei der angespannten Haushaltslage auch kaum möglich ist. In Richtung Bonn wurden dringende Appelle gerichtet, daß Berlin unmöglich das Erbe der DDR übernehmen könne. Mittlerweile wurde auch schriftlich beim Innenminister und beim Bundeskanzler protestiert. Bund und Länder, wird in dem Schreiben gefordert, sollen eine gemeinsame Stelle einrichten, die die Übernahme von ehemaligen DDR -Institutionen regeln soll.

Wenn der Bund nicht zahlt - wer dann?

Die Aussichten für Berlin sind den vagen Zahlen nach, die bisher bekannt sind, wahrlich nicht rosig. Der Westberliner Haushalt wird zu 50 Prozent aus Bundesmitteln finanziert Meldungen, daß diese Bundeshilfe gekappt werden soll, haben in den letzten Wochen immer wieder für Furore gesorgt. In Ost-Berlin sieht die Lage noch schlechter aus. Erst in der vergangenen Woche konnte für die zweite Jahreshälfte ein Haushalt aufgestellt werden, der aber zu 90 Prozent von der DDR-Regierung getragen werden muß. Ob diese dazu in der Lage ist, darf angesichts der ständigen Nachforderungen in Richtung Bonn bezweifelt werden. Für die Mitarbeiter von öffentlichen Institutionen gibt es kaum Aussichten, daß sie ihre Arbeitsplätze behalten werden. Der Westberliner öffentliche Dienst, in dem bereits über 100.000 Menschen beschäftigt sind, wurde wegen der Insellage der Stadt ohnehin immer zu üppig ausgestattet. Die künftige Gesamtberliner Verwaltung wird kaum zusätzlichen Personalbedarf haben, außer in einigen Gebieten auf bezirklicher Ebene. In Ost-Berlin arbeiten beim Magistrat und in den Bezirken über 70.000 Menschen. Dazu kommen Tausende, die bisher in Kombinaten beschäftigt waren, die jetzt von öffentlichen kommunalen Trägern übernommen werden.

Doubletten sollen zusammenwachsen

Wie die beiden Verwaltungen zusammengeführt werden sollen, ist immer noch völlig unklar. Die Bereitschaft von westlicher Seite aus, Kollegen aus dem Ostteil der Stadt zu übernehmen, ist zudem eher gering. Man will seine Pfründe sichern und mit „SED-Betonköpfen“ nichts zu tun haben. Das Bewußtsein, daß für die arbeitslosen Ostler auch das künftige Land Berlin aufkommen muß, ist nur sehr gering ausgebildet. Das Ansinnen des Ostberliner Stadtrats Krüger, der so viele Institutionen aus dem Osten wie möglich in die künftige Gesamtberliner Verwaltung hinüberretten will, stößt im Westen nur auf Ablehnung - auch unter der von Krüger gewünschten Bedingung, daß alle Mitarbeiter in Leitungsfunktionen auf ihre politische Vergangenheit überprüft werden.