De Maiziere und die Verfassung der DDR

Die Bundesregierung hat auf einen Kommentar zu den Ministerentlassungen in Ost-Berlin verzichtet. Das ist verständlich. Denn würde sie de Maizieres Kurzschluß- bzw. Kurz-vor-Schluß-Handlung begrüßen, hieße das, einen offenen Verfassungsbruch zu billigen oder gar Bundeskanzler Kohl in den Verdacht zu rücken, einen solchen Bruch angeraten zu haben. Der SPD-Vorsitzende Thierse hat nämlich vollkommen recht, wenn er dem Ministerpräsidenten „Verfassungsbruch“ vorwirft, und Walter Romberg hat recht, wenn er sagt: „Ich bin weiter Finanzminister der DDR.“

Nach der DDR-Verfassung hat der Ministerpräsident keine Richtlinienkompetenz; er hat auch nicht das Recht, Minister zu entlassen. Es ist eine kollegiale Kabinettsverfassung, wonach - ähnlich wie in den Verfassungen der Stadtstaaten Hamburg und Bremen - der Ministerpräsident der Verhandlungsleiter, also ein „Primus inter pares“ ist.

Nach Artikel 80, Absatz 1, wird der Ministerrat vom Ministerpräsidenten nur „geleitet“. Nach Artikel 50 hat allein die Volkskammer das Recht, Minister abzuberufen: „Die Volkskammer wählt (...) den Vorsitzenden und die Mitglieder des Ministerrates (...). Sie können jederzeit von der Volkskammer abberufen werden.“ Nach Artikel 78, Absatz 2, ist der Ministerrat „ein kollektiv arbeitendes Organ“. Artikel 79, Absatz 2, bestimmt: „Der Ministerrat leitet, koordiniert und kontrolliert die Tätigkeit der Ministerien“, und im Artikel 80, Absatz 6, steht: „Für die Tätigkeit des Ministerrates tragen alle seine Mitglieder die Verantwortung.“ Auch wenn de Maiziere im Vorgriff des Beitritts mit den Möglichkeiten einer Kanzlerdemokratie liebäugelt, verstößt er gegen die geltende Verfassung.

Klaus Hartung