Senatsbauverwaltung verpulvert Millionen

■ Schwere Vorwürfe der AL gegen die S-Bahn-Planer beim Senat / Protzbahnhöfe und teure Elektroniksysteme / Besonders bevorzugt: die Firma Siemens / AL fordert Untersuchung der bisherigen Vergabe von Aufträgen für den S- und U-Bahn-Bau

West-Berlin. Für die „Spitze eines Eisbergs“ hält Michael Cramer, verkehrspolitischer Sprecher der Alternativen Liste (AL), den jüngst bekanntgewordenen Korruptionsfall in der Senatsbauverwaltung. Ein Mitarbeiter war verhaftet worden, gegen sieben weitere wird ermittelt. Sie waren zuständig für den Signal- und Elektroanlagenbau der S-Bahn, was den Gleisbau mit einschließt. Der verhaftete Mitarbeiter soll einer Tiefbaufirma Informationen über geplante Ausschreibungen für die S-Bahn-Sanierung zwischen 1986 und 1988 zukommen lassen haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt in dem Zusammenhang auch gegen sieben Berliner Baufirmen. Cramer forderte gestern vor der Presse, alle bisherigen Auftragsvergaben im S- und U-Bahn-Bereich zu untersuchen, da womöglich auch woanders „Schmiergeld“ geflossen sei. Prinzipiell will die AL mehr Marktwirtschaft im öffentlichen Baubereich. Große Bauvorhaben müßten auch in Westdeutschland ausgeschrieben werden, da das Berliner Preisniveau im S-Bahn-Bereich um ein Vielfaches höher liegt.

Besonders im Visier hat Cramer das elekronische Zugsicherungssystem EZS 800 für die S-Bahn. Dieses von der Firma Siemens hergestellte System ist relativ teuer, technisch nicht ausgereift, frühestens in zwei Jahren fertig und darüber hinaus mit der S-Bahn in Ost-Berlin nicht kompatibel. Trotzdem bestand die Senatsbauverwaltung bisher darauf, dieses System für die Westberliner S-Bahn einzusetzen. Erst aufgrund eines Vetos des Finanzsenators wurde das EZS 800 zurückgestellt. Entschieden wurde über den Kauf des EZS 800 vom früheren Verkehrssenator Wronski (CDU), dem BVG-Abteilungsleiter Wuttke und dem technischen Direktor der BVG, Döpfer. Alle drei hatten früher bei Siemens gearbeitet. Für das EZS 800 ist bei der Senatsbauverwaltung das gleiche Referat zuständig, aus dem der nun verhaftete Mitarbeiter stammt. Cramer forderte das endgültige Aus für das EZS 800. Auch woanders würde man, so Cramer, ohne die Firma Siemens besser und billiger fahren. So seien die für den S-Bahn-Ausbau notwendigen Stellwerke ebenfalls bei Siemens bestellt worden, obwohl Siemens eine Lieferzeit von zwei Jahren dafür hat. Die Elektronikfirma SEL könne jedoch die Stellwerke quasi sofort liefern, auch die Bundesbahn könne Stellwerke ausleihen.

Ebenfalls merkwürdig findet die AL die Praxis der Ausschreibung bei der Senatsbauverwaltung. Eine 18 Kilometer lange S-Bahn-Strecke wurde zum Beispiel „scheibchenweise“ zur Sanierung ausgeschrieben. Westdeutsche Bau-Firmen haben jedoch kaum Interesse, wegen eines Bahnkilometers eigens nach Berlin zu fahren.

Geld verschwendet hat die Senatsbauverwaltung auch bei der Erneuerung des S-Bahnhofes Papestraße. Die Umbauten dort waren nötig geworden, weil die Autobahnlücke am Sachsendamm geschlossen werden sollte. Deshalb hätte man sich den Bahnhofsumbau aus Bundesmitteln für den Autobahnbau bezahlen lassen können. Darauf hatte der Senat jedoch verzichtet. Noch mehr Geld werde, so Cramer, für „überdimensionierte“ Bahnhöfe ausgegeben. Der Senat plant ein Empfangsgebäude für die S-Bahn am Bahnhof Witzleben, das 40 bis 50 Millionen kosten soll. Der S-Bahnhof Schichauweg hat allein 23 Millionen gekostet, während beispielsweise in Düsseldorf ein neuer S-Bahnhof für 2,9 Millionen zu haben sei. Auch für die U-Bahn ins Märkische Viertel würden trotz Maueröffnung 200 Millionen veranschlagt. Mit dem Geld könne man statt dessen bis Ende 1990 die S-Bahn nach Potsdam eröffnen. „Der Bausenator sollte wachen Auges in seine eigene Verwaltung schauen, statt sich laufend weitere Kompetenzen unter den Nagel zu reißen“, sagte Cramer.

Der Sprecher des Bausenators, Weninger, wies darauf hin, daß es sich bei den Verfahren, die bei der Staatsanwaltschaft anhängig sind, um „Altlasten“ aus der Zeit vor Nagel handele. Seit letzter Woche gebe es eine Arbeitsgruppe mit dem Rechnungshof, um Preisabsprachen künftig vorzubeugen. Falls Firmen dabei erwischt würden, würden sie womöglich aus dem Lieferantenverzeichnis gestrichen. Gegen die sieben Mitarbeiter werde es dienstrechtliche Konsequenzen geben.

esch