Auch Berliner bald an die Waffen?

■ Senatsvorlage sieht Übernahme der Wehrpflicht mit dem Tag der Vereinigung vor / Betroffen sind die nicht älter als 17jährigen / Heute Beschluß im Senat, Zustimmung Bonns ist noch ungewiß

Berlin (taz) - Mit dem Tag der Vereinigung wird auch für Berlin die wehrpflichtfreie Zeit zu Ende sein. In seiner heutigen Sitzung will der Westberliner Senat einen Beschluß fassen, der die Übernahme der allgemeinen Wehrpflicht in ganz Berlin regelt. In einer Sitzungsvorlage der zuständigen Bundessenatorin Heide Pfarr (SPD) wird vorgeschlagen, daß die Wehr- und Zivildienstpflicht mit dem Tag der Vereinigung für alle Berliner beginnt, „die nicht älter als 17 Jahre sind“. Berliner im wehrfähigen Alter zwischen 18 und 32 Jahren blieben also im Sinne eines Vertrauensschutzes verschont. In der Vorlage plädiert die Senatorin dafür, daß die heute in der DDR bestehende Wahlfreiheit zwischen Wehr- und Zivildienst auf West-Berlin ausgedehnt werden solle - es sei denn, im Einigungsvertrag werde diese Regelung aufgehoben. Das hieße, daß sich Berliner Wehrdienstverweigerer dann nicht der Gewissensprüfung unterziehen müßten. Bonn wird gebeten, die Ausdehnung der allgemeinen Wehrplicht auf Berlin im Rahmen eines Überleitungsgesetzes zu regeln.

Der Berliner Senat reagierte damit auf den Wunsch des Bundesverteidigungsministers, wonach die Wehrverfassung in West-Berlin uneingeschränkt und ohne Übergangsfrist in Kraft treten soll. Die Hardthöhe wollte auch keine Ausnahmeregelungen für Wehrflüchtige zulassen, die schon seit Jahren in Berlin leben. In der Beschlußvorlage des Senats ist zwar von den Wehrflüchtigen und einer Härtefallregelung nicht ausdrücklich die Rede, sie werden aber indirekt miteinbezogen: „Die in Berlin lebenden, jetzt von der Wehrpflicht betroffenen Bevölkerungsgruppen, haben ihre Lebens- und Berufsplanung im Hinblick auf die bisher in Berlin (West) geltende Rechtslage vorgenommen. Zur Wahrung des allgemeinen Vertrauensschutzes sollte die Bundesregierung daher die Überleitungsregelung so gestalten, daß Vorschriften über die Wehrpflicht nur für die Männer Anwendung finden, die bei Inkrafttreten (...) ihren ständigen Wohnsitz in Berlin haben und das 18.Lebensjahr noch nicht vollendet haben.“ Ob dieser Wunsch in Bonn auf Gegenliebe stößt, bleibt abzuwarten. Erzwingen kann der Berliner Senat nichts, denn die Wehrgesetzgebung liegt in der Kompetenz des Bundes. Sollte sich Stoltenberg durchsetzen, sähe die Lage für die Berliner Männer anders aus: Nach Art.1 des Wehrpflichtgesetzes können dann alle Berliner mit vollendetem 18. Lebensjahr einberufen werden, bzw. zum Grundwehrdienst alle, die das 28. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Scharfe Kritik an der Vorlage von Pfarr übte der Abgeordnete der AL Hopmann: Pfarr gehe den Weg des geringsten Widerstandes, indem sie die Wehrpflicht auf die nächste Generation abwälze, sich aber nicht grundsätzlich gegen die Einführung des Kriegsdienstes stelle.

Kordula Doerfler