Vorhang auf zum letzten Akt

■ Gestern reichten die verbliebenen fünf Minister der SPD in Ost-Berlin ihren Rücktritt ein, die Große Koalition ist damit nach 130 Tagen bereits am Ende. Mit dem Austritt der SPD verliert de Maiziere die Mehrheit für die Verabschiedung eines zweiten Staatsvertrages - nach Meinung der SPD ein Problem, das auch anders gelöst werden kann: zum Beispiel durch „Beitritt sofort“.

Nach dem Bruch der DDR-Regierungskoalition:

Im Chaos um die Übernahme der DDR hat am Montag mit dem Rücktritt der fünf verbliebenen SPD-Minister aus der Großen Koalition in Ost-Berlin der letzte Akt der Tragödie Deutsche Demokratische Republik begonnen. Über die Etappen „deutsche Vereinigung mit neuer gesamtdeutscher Verfassung“, hin zum „würdevollen Betritt“ geht es jetzt nur noch um das „Rette -sich-wer-kann“. Zur Rettung ihrer Wahlchancen Anfang Dezember, drückt nun vor allem die gesamtdeutsche SPD aufs Tempo.

„Beitritt sofort“, bekräftigt die finanzpolitische Sprecherin der Bundes-SPD, Ingrid Matthäus-Maier, in einem taz-Interview noch einmal ihre Position - die Kosten des Beitritts würden mit jedem Tag größer. Darüber hinaus geht es der SPD jedoch vor allem um eins: Die Verantwortung für das Chaos soll für den Wähler klar erkennbar dort angesiedelt werden, wo sie nach Meinung der SPD hingehört ins Kanzleramt.

Auch Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine möchte Helmut Kohl jetzt möglichst rasch zum gesamtdeutschen Kanzler machen, damit endlich die wichtigsten Sachfragen gelöst werden könnten. Für die SPD in West und Ost scheint mittlerweile unstrittig, daß der Beitritt spätestens nach Abschluß der Vier-plus-zwei-Verhandlungen am 12. September erfolgen soll und, wenn möglich, der dazu notwendige Beschluß bereits in dieser Woche von der Volkskammer gefaßt wird. Die Fraktion der DDR-SPD wird heute über einen Antrag auf sofortigen Beitritt beraten, der gute Chancen für eine Mehrheit hat. Sollte die bereits länger aus der Regierung ausgestiegene FDP-Fraktion am Mittwoch einen Antrag auf einen sofortigen Beitritt stellen, sieht der SPD-Abgeordnete Weißgerber ebenfalls eine Mehrheit innerhalb der SPD-Fraktion, die einen solchen Antrag unterstützen würde.

Die beiden CDU-Regierungschefs sehen dies natürlich anders. In Bonn wurden gestern die Verhandlungen zu einem zweiten Staatsvertrag fortgesetzt, von dessen Notwendigkeit vor allem Lothar de Maiziere überzeugt ist. Er wirft der SPD vor, sie gefährde durch ihr Verhalten den „für die Bevölkerung der DDR so wichtigen Einigungsvertrag“, den er in jedem Fall noch aushandeln und in die Volkskammer einbringen lassen will. Notfalls wolle er eine namentliche Abstimmung über den Einigungsvertrag durchführen lassen, damit „jeder Einzelne vor der Geschichte für seine Entscheidung gerade stehen muß“. In Bonn gibt man sich dagegegen auch in Regierungskreisen gelassener. „Sollte es zu einem früheren als dem bislang geplanten Termin 14. Oktober kommen“, so Kohls Kanzleramtsminister Seiters, „sei man auch darauf vorbereitet“. Tatsächlich aber hätte Kohl aus eben denjenigen Gründen, die die SPD zum „Beitritt sofort“ bewegen, lieber erst einen zweiten Staatsvertrag, anstatt im Zuge des Beitritts ein Überleitungsgesetz verabschieden zu lassen. Es sieht einfach besser aus, wenn eine noch existierende DDR-Regierung einem Vertrag zustimmt, als wenn der Bundestag, lediglich um 144 ehemalige Volkskammerabgeordnete angereichert, ein Gesetz zur Übernahmeregelung beschließt.

Für die SPD eine rein formale Unterscheidung, da die Sachfragen in beiden Varianten gleichermaßen geklärt werden könnten und sie sich über den Bundesrat einen erheblichen Einfluß erhofft. So betonte der Vorsitzende der SPD-Ost, Wolfgang Thierse, gestern noch einmal, die SPD werde selbstverständlich auch einen Einigungsvertrag mittragen, aber nur, wenn es sich dabei „um mehr als einen kaschierten Übergabevertrag handelt“. Die springenden Punkte für die Gesamt-SPD sind dabei die Eigentumsfrage, die Länderfinanzierung und die zukünftigen Investitionsbedingungen. Auch bei einem sofortigen Beitritt, so verschiedene SPD-Sprecher, können Übergangregelungen für die Inkraftsetzung einzelner Bundesgesetze vereinbart und dann in einem Überleitungsgesetz fixiert werden.

Ein letzter Grund für die plötzliche Eile der SPD gegenüber dem Zeitplan Kohls und de Maizieres dürften die Wahlen in den Ländern der ehemaligen DDR sein. Zumindestens theoretisch könnte die SPD nach diesen Wahlen ihre Mehrheit im Bundesrat wieder verlieren.

JG