Treppensturz im Polizei-Armdrehgriff

■ Punk holte sich am Neujahrsmorgen auf der Wache eine klaffende Platzwunde

Silvester 89/90: Auf der Sielwallkreuzung im Bremer Ostertor sammeln sich die Menschen - Nachbarn, Punks, Polizisten. Ein Lagerfeuer wird angezündet, Flaschen und Knaller fliegen, eine Schaufensterscheibe geht zu Bruch. Da riegelt ein Einsatzkommando der Polizei den Dobben ab, parkt die Mannschaftswagen vor dem offenen Ladenfenster. „Dann habe ich gesehen, wie mehrere Personen am Wagen hinter uns gerüttelt haben“, erinnerte sich gestern der damals beteiligte Polizist K. als Zeuge vor dem Amtsgericht. Er habe einen der Schüttler, („Der war leicht zu erkennen, hatte die Haare so blau-violett gefärbt“), bei einer Streifefahrt am frühen Neujahrsmorgen wiedererkannt und festgenommen. Angeklagt wegen Landfriedensbruch und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte saß der Punk Matthias S. gestern vor Gericht.

Im Mittelpunkt der Verneh

mung von drei Zeugen in Polizeiuniform stand dann allerdings nicht Matthias S. angeblicher Angriff auf die Staatsgewalt, sondern eine klaffende Platzwunde an der Stirn, die sich der zivildienstleistende Punk in Polizeigewahrsam zugezogen hatte. „Bei der Festnahme hatte er noch keine Stirnwunde“, war sich Polizist K. gestern ganz sicher. Durch ärztliches Attest belegt ist aber auch, daß Matthias S. ein blaues Auge und eine blutige Stirnwunde hatte, als er am Neujahrsmorgen die Polizeiwache 3 in der Hoyaer Straße wieder verließ.

Wie es zu der Verletzung kam, erklärte Polizist M. dem Gericht so: Nachdem der verhaftete Punk im Mannschaftswagen zur Wache gebracht worden war, sei ein Arzt zum Alkoholtest bestellt worden. Die Wartezeit sollte Matthias S. in einer Zelle verbringen. Doch auf der Treppe dorthin „hat er sich einfach fallenlassen und ist dann mit dem Kopf gegen eine

Tür auf dem ersten Treppenab satz gestoßen“. Dabei sei eine alte Wunde an der Stirn, die M. im Unterschied zu seinem Kollegen K. auch bereits bei der Verhaftung gesehen haben will, wieder aufgeplatzt. Allerdings hatten M. und sein Vorgesetzter W. den Punk auf dem Weg zur Zelle fest an den Armen gepackt, im „Armdrehgriff“, wie Polizist M. beim Verhör durch die Kripo angegeben hatte.

„Das muß ein Mißverständnis gewesen sein“, kommentierte er allerdings gestern diese Aussage. Er habe Matthias S. nur „am Oberarm und am Handgelenk gefaßt“, einen fachmännischen „Armdrehgriff“, habe er nicht angewandt.

Daß er in der Neujahrsnacht den Punk S. nicht im Armdrehgriff hatte, das wußte Polizist M. gestern noch genau. Überhaupt nicht erinnern konnte er sich allerdings, ob bei seiner späteren Vernehmung durch die Kripo

auch sein Chef W. mit im Zimmer war. „Ich weiß nur noch, daß wir zusammen hin- und auch wieder zurückgefahren sind“, sagte er. Und völlig verloren hatte er alle Erinnerung an ein Gespräch, daß er gestern direkt vor seiner Zeugenaussage auf dem Gerichtsflur geführt hatte.

Dort sei der Vorgang an der Polizeiwachen-Treppe nochmal durchgesprochen worden, hatte nämlich zuvor freimütig Zeuge K. berichtet. Natürlich sehe sowas in einem Vernehmungsprotokoll „komisch“ aus, hätten die beteiligten Polizisten M. und W. zugestanden, dann aber an einen Fernsehbericht erinnert, in dem ein Tatverdächtiger sich sogar mit einem Aschenbecher selber auf den Kopf geschlagen hatte. „Soweit ich mitbekommen habe, hat vor der Tür niemand über den

Vorfall gesprochen“, blieb dagegen M. bei seiner Aussage, die er auch beeidete. Beeidet hatte Polizist K. zuvor auch seinen Bericht vom dem Gespräch vor der Tür.

Der angeklagte Punk verweigerte unterdessen gestern die Aussage. Auf einem Flugblatt hatten seine Freunde allerdings die These aufgestellt, S. sei von der Polizei gezielt festgenommen, zusammengeschlagen und die Treppe auf der Wache hinuntergestoßen worden. Die Beamten der Wache 3 hätten ihn besonders auf dem Kicker gehabt, weil zwei Verfahren gegen ihn - eines davon nach der Silvesternacht 88/89 - bereits mangels Beweisen wieder eingestellt werden mußten.

Dirk Asendorpf

Die Verhandlung wird am 30.8., 14 Uhr, Raum 550 im Amtsgericht fortgesetzt.